Startseite > Aktuelles > Artikel Nr. 317 (Juni 2009)
Kitesurfen im Nationalpark: weitere Flächen genehmigt
Boom trotz Verbots im Nationalparkgesetz
Es fing ganz bescheiden an: Zur "Kanalisierung" der Trendsportart Kitesurfen genehmigte die Nationalparkverwaltung 2007 in der Zwischenzone (zweitstrengste Schutzzone) des Nationalpark bei Schillig und Hooksiel (LK Friesland) Flächen für Kitesurfer (siehe auf unseren Seiten vom Juni 2007: "Kitesurfen in der Zwischenzone des Nationalparks bei Schillig erlaubt"). Kitesurfer erreichen enorme Geschwindigkeiten (bis 100km/h), das Zugsegel vertreibt großräumig die empfindlicheren Vogelarten des Watts.
Kitesurfer in der Zwischenzone des Nationalparks, Norderney/Riffgat, Juli 2009, Foto: Wattenrat
Die §§ 6 und 12 des Nationalparkgesetzes verbieten die Verwendung von Drachen in der Ruhe- und Zwischenzone des Nationalparks, eine Genehmigung kann nur über eine sog. "Befreiung" von den Verboten erfolgen. Voraussetzung für eine Befreiung ist aber, dass dem Antragsteller durch die Versagung der Genehmigung nicht beabsichtigte Härten entstehen oder das Wohl der Allgemeinheit beeinträchtigt wird. Beides trifft nicht zu, in einem Nationalpark hat die Abwägung längst zu Gunsten des Naturschutzes stattgefunden. Die Genehmigung durch die Nationalparkverwaltung ist nach Auffassung vieler Fachleute einfach nur rechtswidrig, müsste also beklagt werden. Nur: Von den großen "anerkannten" klagebefugten Naturschutzverbänden wie BUND oder NABU hört man nichts in der Sache. Ein Schreiben des Wattenrates an den BUND-Niedersachsen in der Sache blieb unbeantwortet.
Kitesurfer im Wattenmeer
Nun wurde im LK Aurich erneut eine Fläche genehmigt, die zunächst illegal ohne Genehmigung genutzt wurde. Der Nationalparkleiter Südbeck genehmigte eine Fläche in der Zwischenzone vor Upleward, in unmittelbarer Nähe einer Muschelschillbank (siehe auf unseren Seiten vom Mai 2007: "Muschelbank im Nationalpark stört Deichschützer"), die als Brut- und Rastgebiet für Limikolen bekannt ist. Die Genehmigung ist zunächst befristet, Verstöße sollen von den Gemeindearbeitern kontrolliert werden.
Für den Nationalparkleiter Südbeck mag das konsequent sein, entdeckte er doch schon 2007, ganz im Sinne seines Umweltministers Sander, den "Spaßfaktor" im Nationalpark.
Zusätzliche zu der bereits "probeweise" (das wird dann mit Sicherheit dauerhaft verlängert!) genehmigten Fläche bei Upleward im LK Aurich liegt ein Antrag der Stadt Norden für ein Befreiungsverfahren für eine Kitesurfer-Fläche in Norddeich vor. Die beantragte Fläche liegt ebenfalls in der Zwischenzone in unmittelbarer Nähe der Ruhezone des Nationalparks vor dem Freibad. Kurz darauf stellte die Insel Baltrum am 05. Mai 2009 einen Antrag für die Ausweisung einer riesigen Kitesurfer-Fläche im Westen der Insel, ein Dominoeffekt. Die Begründung der Gemeinde Baltrum in dem Antrag an die Nationalparkverwaltung ist abenteuerlich:
Gemeinde Baltrum an die Nationalparkverwaltung Niedersächsisches Wattenmeer, 05. Mai 2009:
[...] Die blau dargestellten Bereiche in der angefügten Übersichtskarte wurden im Vorfeld mit Ihnen, dem Nationalparkwart *** und den Kitesurfern vor Ort abgestimmt.
Zur Begründung möchte ich ausführen, dass 99,9 % der Inselbewohner vom Fremdenverkehr leben und somit die ganze Infrastruktur auf der Insel darauf abgestellt ist, den Gästen die sog. "Schönste Zeit des Jahres" so angenehm wie möglich zu gestalten und um zu erreichen, den Gast an die Insel binden zu können. Zu einem Ferienort, der gleichzeitig noch Insel ist, gehört unweigerlich auch die Möglichkeit Wassersport betreiben zu können. Dieses wird heute von den jüngeren Gästen erwartet.
Ende der 70er Jahre kam der Windsurfsport nach Baltrum, vor etwa zehn Jahren das Kajakfahren. Diese beiden Sportarten haben sich in das Strandleben integriert und erfreuen sich einer sehr großen Beliebtheit. Als neue Sportart, die bereits seit dem Jahre 2000 betrieben wird, soll nun auch das Kiten im Bereich der Insel Baltrum hinzukommen. Um die sportlichen Aktivitäten zu kanalisieren und die Ruhezone zu schützen, ist an die Ausweisung von zwei Flächen [Anmerkung Wattenrat: in der Zwischenzone!] gedacht, die die Möglichkeit zulassen, diesen Sport zu betreiben. Diese Flächen befinden sich an der Nordseite der Insel vor der Erholungszone und südwestlich des Baltrumer Hafens. Hierdurch wird der Zweck des Nationalparks "Niedersächsisches Wattenmeer" nochmals unterstrichen. Die Fläche südwestlich des Hafens soll jedoch nur bei gezeitenungünstigen Bedingungen genutzt werden. Die überwiegende Ausübung des Sports soll an der Nordseite der Insel stattfinden.
Die Verantwortung für den ordnungsgemäßen Betrieb und einer eventuell notwendigen Gebietskennzeichnung würde ich der Surf- und Kiteschule bzw. der Kiteschule übertragen, die selbst ein Interesse auf strikte Einhaltung der Grenzen haben, um den Sport auch im Bereich der Insel Baltrum ausüben zu dürfen.[...]
Im Klartext: Die Zwischenzone, die ebenfalls eine Schutzzone ist, soll für Kitesurfer genutzt werden, um die strengste Schutzzone, die Ruhezone, zu schützen. Dies wirft ein Schlaglicht auf das Naturschutz- und Vermarktungsbewusstsein in diesem "Nationalpark" und UNESCO-Weltnaturerbe!
Kitesurfer im Juister Watt innerhalb der Ruhezone I, Foto: Wattenrat
In Dornumersiel im LK Aurich wird seit längerem illegal außerhalb der Erholungszone westlich und östlich vom Badestrand gesurft, über Pfingsten waren dort bis 10 Kitesurfer bis in die angrenzende Ruhezone aktiv, Aufsicht: keine. Hinter dem Deich in Dornumersiel liegt eine Polderfläche, die bis zur Gesetzesnovellierung des Nationalparkgesetzes 2001 Zwischenzone im Nationalpark war und dann für die Tourismusindustrie zusammen mit ca. 90 Flächen aus dem Nationalpark herausgenommen wurde. Hier werden jetzt auch "Kite Landboarding Events" veranstaltet: "Ein spektakuläres Event für alle, die auf Fun, Action und Nervenkitzel stehen".
Das Brutvorkommen auf dieser ehemaligen Nationalparkfläche ist erloschen, im Herbst und Winter versuchen hier noch Ringelgänse satt zu werden, stets dichtgedrängt unter sichtbarem Stress, bis Kite-Buggies oder Lenkdrachen sie verscheuchen.
Damit wird es allein im LK Aurich vier Stellen im Nationalpark geben, in denen Kitesurfer ihren Funsport ausüben können, in einem Nationalpark ist das nicht tolerierbar!
Nun will der Nationalparkleiter Peter Südbeck sogar Gutachten über die Auswirkungen von Kitesurfern im Nationalpark anfertigen lassen, das hätte er allerdings bereits vor der Flächengenehmigung mit einer FFH-Verträglichkeitsprüfung laut Bundesnaturschutzgesetz veranlassen müssen; der Nationalpark ist Bestandteil eines FFH- und EU-Vogelschutzgebietes. Nur ist eine Verträglichkeitsprüfung entbehrlich, das Drachenfliegen ist eindeutig laut Nationalparkgesetz verboten, der Scheucheffekt ist auch ohne Gutachten klar ersichtlich.
Statt hier das geltende Nationalparkgesetz zu beachten, wird über Befreiungsverfahren der Schutz aufgeweicht und die Absicht des Umweltministers Sander umgesetzt, Naturschutzgebiete erlebbar zu machen. Der Nationalparkleiter Südbeck ist offenbar der willige Gehilfe seines Ministers, his master´s voice.
Wir zitieren aus der Presse:
dpa, 10. Juni 2009 in verschiedenen Tageszeitungen:
Kitesurfer bedrohen Vogelschutzgebiete
WATTENMEER Naturschützer kritisieren massive Störungen - Studie angekündigt
Naturschützer beschweren sich über massive Störungen in Vogelschutzgebieten des Wattenmeers durch die zunehmende Zahl von Kitesurfern und Ultraleichtflugzeugen.
WILHELMSHAVEN/UPLEWARD - Nach massiven Störungen durch Kitesurfer und Ultraleichtflugzeuge an empfindlichen Vogelschutzgebieten im Wattenmeer haben Naturschützer Alarm geschlagen. Der Nationalpark verkomme immer mehr zum Freizeitpark, beschwerten sich die im Wattenrat zusammengeschlossenen Naturschützer in den vergangenen Tagen.
Sie kritisierten die Nationalparkverwaltung in Wilhelmshaven, die eine Zone für Kitesurfer ausgeweitet habe. Die Verwaltung wies die Vorwürfe zurück. Neue Genehmigungen für Surfer, die mit Lenkdrachen unterwegs seien, werde es nur unter strengen Auflagen geben, sagte der Leiter Peter Südbeck am Dienstag.
In jüngster Zeit seien immer wieder unkontrollierte Kitesurfer vor Schutzgebieten beobachtet worden, sagte Wattenrat-Sprecher Manfred Knake. [...]
OSTFRIESISCHER KURIER, Norden, KRUMMHÖRN SONNABEND, 6. JUNI 2009 / SEITE 41:
Naturschützer kritisieren unkontrolliertes Kitesurfen im Wattenmeer
Genehmigung Muschelschillbank bei Upleward wird durch Ausweitung der Zone beeinträchtigt - "Ausverkauf des Nationalparks"
KRUMMHÖRN - Heftige Kritik an der Ausdehnung der Kitesurfer-Zone in Upleward üben der Wattenrat Ost-Friesland und der ehemalige Memmert-Vogt Reiner Schopf. Dabei prangern sie vor allem an, dass Peter Südbeck als Leiter der Nationalpark-Verwaltung die Vorgaben des Nationalpark-Gesetzes außer Kraft setze.
"Als Ex-Memmert-Vogt verfolge ich mit fassungslosem Staunen, wie die Personen, die für den Schutz des Wattenmeeres zuständig sein sollten, seinen Ausverkauf betreiben", heißt es in dem Schreiben von Schopf. Gerade Südbeck als ehemaligem Leiter der staatlichen Vogelwarte dürfte bekannt sein, welche verhängnisvollen Folgen die Störungen in dem sensiblen Bereich haben. "Es ist nicht zu leugnen: Kitesurfer sind Vogelscheuchen par excellence! In Minutenschnelle sind Vögel aus riesigen Gebieten vertrieben." Dabei legen sie Fluchtdistanzen von einem Kilometer und mehr zurück.
Manfred Knake vom Wattenrat versteht nicht, dass eine, wenn auch befristete und mit Auflagen versehene, Genehmigung für die Zwischenzone vor Upleward erteilt wurde, denn "in unmittelbarer Nähe der nun zugelassenen Kitesurfer-Zone liegt ein Kleinod des Nationalparks Niedersächsisches Wattenmeer, eine natürlich gewachsene Muschelschillbank als Brut- und Rastplatz von Watvögeln." Das Nationalpark-Gesetz verbietet Störungen in der Zwischen- und Ruhezone, wobei Drachensteigen, Modellflugzeuge und andere Kleinflugkörper ausdrücklich untersagt werden.
"Peter Südbeck setzt sich wider alle Vernunft und entgegen den kritischen Stellungnahmen von Fachleuten über das Verbot hinweg, um einen weiteren Teil des Schutzgebiets in einen Freizeitpark umzuwandeln", moniert Schopf. "Von keinerlei Sorge und Verantwortung um die Natur berührt, verknüpft er offenbar Eigeninteressen (Karriere) mit den Interessen der Lobby, die den Nationalpark als Freizeitpark vermarktet. Umweltminister Sander, der bekanntlich Naturschutzgebiete mit Flächen für Freizeitspaß verwechselt, weiß es sicher zu schätzen, dass ihm Südbeek zur Hand geht, um Gesetze zu umgehen. Naturschutz- und Nationalparkgesetz, Flora-Fauna-Habitat- (FFH) und EU-Vogelschutzrichtlinien oder der Artikel 20a des Grundgesetzes, der die Tiere schützen soll, werden allesamt in bemerkenswert rücksichtsloser Weise brutal außer Kraft gesetzt. Wird so nicht die Ausnahme von den Regeln zum Normalfall, oder ist die Abschaffung aller Normen das Ziel?" [...]
Ostfriesen Zeitung, Teil Hinte/Krummhörn/Emden, S.14, 02. Juni 2009:
Kitesurfer starten am Trockenstrand durch
TOURISMUS Nach Teilgenehmigung: Schule macht in Upleward wieder Angebote
Nach einem Gespräch mit der Gemeinde geht es jetzt um Details. Die vergrößerte Kitesurfzone wird wahrscheinlich mit Bojen kenntlich gemacht.
UPLEWARD /SR - Erst kam die gute Nachricht, dann ein gutes Gespräch bei der Gemeinde Krummhörn. Und jetzt sagte Volker Wicht: "Wir werden am Trockenstrand Upleward wieder Angebote machen." Wicht leitet die Kitesurfing-Schule Emden. In diesem Jahr hatte er noch keine Kurse angeboten, weil der Trendsport Kitesurfen - rasantes Surfen an einem Lenkdrachen - am Trockenstrand Upleward nur noch eingeschränkt ausgeübt werden durfte. Erlaubt war es wegen der Nähe des Nationalparks Wattenmeer nur in einem 190 mal 870 Meter langen Gebiet am Deich. Zu Konflikten mit dieser Regelung war es gekommen, weil sich immer mehr Kitesurfer in Upleward wohlfühlten. Von der Regelung wussten die meisten nichts.
Kitesurfen ist aber ein Sport, der viel Platz braucht. Wegen der Rechtsunsicherheit hatte Wicht den Betrieb vorläufig ruhen lassen. Die Situation hat sich geändert, nachdem die Nationalparkverwaltung in Wilhelmshaven auf Antrag der Gemeinde Krummhörn eine vorerst befristete und mit Auflagen versehene Genehmigung erteilt hat, ein deutlich größeres Gebiet zu nutzen. In einem Gespräch verständigten sich am Freitag die Gemeinde Krummhörn und Wicht darüber, dass der Kitesurfbetrieb wieder aufgenommen wird. Heute wird es ein weiteres Gespräch geben, an dem auch ein Vertreter der Nationalparkverwaltung teilnehmen wird. Im Moment sieht es danach aus, dass das neue, größere Gebiet für die Kitesurfer durch Bojen kenntlich gemacht wird. "Die Begeisterung für das Kitesurfen ist immer noch da", meint Wicht. Nach Upleward kämen Kitesurfer aus dem ganzen Raum Ostfriesland. Die Bedingungen in Upleward sind gerade für Anfänger geeignet, weil man im Wasser stehen kann.
Ostfriesischer Kurier, Norden, online, S. 18, 02. Juni 2009:
Zone für Kitesurfer in Upleward ist auf Probe ausgedehnt worden
Erlaubnis Nationalparkverwaltung erstellt Gutachten
Upleward/GGM - Die Zone für Kitesurfer ist an der Badestelle vor Uplewards Trockenstrand in den Bereich des Nationalparks Wattenmeer ausgedehnt worden. Die Surfer mit den Lenkdrachen dürfen sich jetzt offiziell vom Wind weiter in die Ems hinaustragen lassen. Vorher war der Bereich auf 190 Meter beschränkt. Die Nationalparkverwaltung hat eine vorläufige und befristete Genehmigung bis Ende 2010 erteilt und längst nicht alle Wünsche der Gemeinde erfüllt, wie Arndt Meyer-Vosgerau von der Nationalparkverwaltung mitteilt. "Wir haben das Areal erheblich verkleinert."
Die Verwaltung hatte vor einem Jahr entsprechende Anträge gestellt, um die einzige offizielle Badestelle im Gemeindegebiet attraktiver zu machen. Sie muss jetzt ein Gutachten darüber erstellen, ob Störungen von den Kite-Surfern in der sogenannten Zwischenzone zu erwarten sind. Im Wasser müssen Markierungen den erweiterten Bereich für die Kitesurfer kenntlich machen. Am Strand betreibt die Kite-Schule Emden eine mobile Station. Kite-Surfer erreichen mit den bis zu 20 Meter langen Lenkdrachen hohe Geschwindigkeiten bis zu 100 Stundenkilometer und dürfen aus der Erholungszone, in der das Bootfahren zwar erlaubt, das Kite-Surfen mit Lenkdrachen aber nicht, in die strenger geschützte Zwischenzonen fahren. Völlig tabu sind im Nationalpark dagegen die Bereiche der Ruhezonen.