Startseite > Verbände > Artikel Nr. 29 (Mai 2007)
Zoff im Naturschutzund NABU Niedersachsen
"Tour de NABU": Rad fahren nun ohne Umweltminister Sander
Der NABU Landesverband Niedersachsen will Rad fahren: "60 Jahre für Mensch und Natur". Dafür soll auf einer "Tour de NABU" von April bis September kräftig gestrampelt werden. Als Doping-Ersatz und PR-Zugpferd dachten sich die NABU-Oberen in Hannover ausgerechnet den niedersächsischen Umweltminister Sander aus, er sollte als "Schirmherr" fungieren. Was in der regierungsnahen NABU-Geschäftsstelle in Hannover als Tourenbeschleuniger geplant war, erwies sich schnell als Bremse: Viele NABU-Untergliederungen auf Orts- oder Kreisebene zeigten dem Landesvorsitzenden Helm die Rote Karte: Mit Minister Sander als Schirmherr wollten sie nicht in die Pedale treten.
Die Ortsgruppe Moormerland im Landkreis Leer hat die Faxen besonders dicke mit dem umstrittenen Umweltminister. Dort liegt zum Beispiel das berühmt-berüchtigte Naturschutzgebiet "Petkumer Deichvorland" (siehe auf unseren Seiten "Dokumentation über das Naturschutzgebiet 'Petkumer Deichvorland'"), in dem Umweltminister Sander auf Empfehlung der Stadt Emden und seines Parteifreundes Bolinius aus Emden zwar nicht die Puppen tanzen, dafür aber die Menschen laufen lässt, zum Schaden der dortigen Brut- und Rastvögel.
Transparent: “Teekweg-Minister Sander (FDP) Totengräber des Naturschutzes”
Die Moormerländer NABUben informierten alle Kreisgruppen in Niedersachsen, dann rauchte es im Naturschutzverband: Zahlreiche Orts- und Kreisgruppen des NABU zeigten sich solidarisch mit den Moormerländern und forderten den Landesverband des NABU auf, auf die Schirmherrschaft des Umweltministers zu verzichten. Siehe das Schreiben der Ortsgruppe Moormerland an den NABU-LV Niedersachsen (pdf-Datei, ca. 35 KB).
Dem Vernehmen nach war der Landesvorsitzende Helm verärgert über die Sander Kritik aus den eigenen Reihen und drohte sogar, das Vereins-Handtuch zu werfen. Helm sang 2005 noch persönlich auf dem 60ten des Umweltministers Sander ein Ständchen (siehe auf unseren Seiten "NABU-Vorsitzender besingt Umweltminister Sander").
Eine Schreiben des Wattenrates an den NABU, den Minister wegen des Verstoßes gegen die Verbandssatzung im konktreten Falle des Naturschutzgebietes "Petkumer Deichvorland" bei Emden auszuschließen, wurde gar nicht erst beantwortet (siehe auf unseren Seiten: "Wattenrat für Ausschluss Sanders aus dem NABU").
Nach den vielen Protesten ruderte der Landesvorsitzende Helm zurück, Sander wurde die Schirmherrschaft entzogen. Geschickt wurden nun des Umweltministers Verfehlungen im Landesnaturschutz angeprangert und als Grund für die entzogene Schirmherrschaft vorgeschoben. Die waren aber schon bei der Nominierung des Ministers als Schirmherr lange bekannt gewesen. Es gibt also im NABU Niedersachsen ein deutlich gespaltenes Wahrnehmungs- und Handlungsdefizit zwischen einigen rührigen und aufmerksamen Orts- und Kreisverbänden und der offensichtlich völlig abgehobenen Landesgeschäftsstelle mit dem Vorstand.
Wir zitieren aus der taz vom 20 April 2007:
taz Nord Nr. 8255 vom 20.4.2007, Seite 21, 165 TAZ-Bericht GERNOT KNÖDLER
Schirmherr mit Kettensäge
Niedersachsens Umweltminister Hans-Heinrich Sander wirbt für die Klimaschutz-Radtour des Naturschutzbundes. Manchen Mitgliedern ist das gar nicht recht: Profiliert hat sich der FDP-Minister immer wieder auf Kosten des Naturschutzes
VON GERNOT KNÖDLER
Dass sich ein Umweltminister mit spektakulären Aktionen gegen den Naturschutz hervortut, ist von Amts wegen ungewöhnlich. Hans-Heinrich Sander aus Niedersachsen ficht das nicht an. Im November ließ der FDP-Mann sich in Schutzmontur mit Motorsäge ablichten, wie er im Deichvorland bei Bleckede eine Weide fällte - mitten im Naturschutzgebiet. Das Kettensägen-Massaker, angeblich zum Hochwasserschutz, war eine von vielen Gelegenheiten, bei denen Sander die Umweltverbände düpierte.
In Teilen des Naturschutzbundes (NABU) stößt es deshalb auf Unverständnis, dass Sander die Schirmherrschaft für die "Tour de NABU" übernehmen durfte - eine 2.000 Kilometer lange Fahrradtour durch das Land zum 60-jährigen Jubiläum des Landesverbands Niedersachsen. Auch ein Ausschluss des NABU-Mitglieds Sander ist im Verband schon einmal gefordert worden.
Wegen der kürzlich gestarteten Radtour hat sich jetzt die Ortsgruppe Moormerland - das ist der Landstrich zwischen Leer und Emden - an den Landesverband gewandt: Die Tour sei eine tolle Idee, der Vorstand der Ortsgruppe habe jedoch "Schwierigkeiten mit der Schirmherrschaft des Umweltministers" und werde diese auf der Hauptversammlung am kommenden Dienstag "kaum positiv vermitteln" können. Die Bevölkerung könnte den Eindruck gewinnen, der NABU unterstütze Aktionen wie das Kettensägen-Massaker. Eine Teilnahme könne sich der Vorstand der Ortsgruppe nur vorstellen, "wenn wir uns öffentlich von den bisherigen Handlungen des Ministers distanzieren können".
Sander hat das Landesamt für Ökologie abgeschafft, das Naturschutzgesetz entschärft, den Landesorganisationen der Umweltverbände das Geld gekürzt, und er setzt sich für den problematischen Klei-Abbau in Salzwiesen vor den Deichen ein. Vor Ort ärgert Alfred Buss, den Vorsitzenden des NABU Moormerland besonders, dass Sander es zuließ, dass das Petkumer Deichvorland ganzjährig für Fußgänger und Radfahrer geöffnet wurde. In das europäische Vogelschutzgebiet war zunächst ohne naturschutzrechtliche Genehmigung ein Betonweg gebaut und dann für Touristen geöffnet worden, die die Vögel beim Brüten stören.
"Das ist eine Frechheit, dass man bei all dem, was passiert ist, Sander als Schirmherrn nimmt", sagt Buss. Er könnte sich vorstellen, an der Tour zwar teilzunehmen, dabei aber gegen den Minister zu demonstrieren. Die Rückmeldungen aus anderen Ortsgruppen zeigten, dass sich viele Mitglieder über die Schirmherrschaft ärgerten. Im Landkreis Goslar etwa will das "noch NABU-Mitglied" Olaf Bokemüller bei der nächsten Mitgliederversammlung einen ähnlichen Antrag einreichen.
Das Unbehagen über Sanders NABU-Mitgliedschaft ist im Verband schon früher geäußert worden. Vor zwei Jahren hatten Oldenburger Umweltschützer gefordert, der Minister solle austreten, "um dem NABU weitere Peinlichkeiten zu ersparen". Von außen machte der auf eigene Faust agierende Wattenrat Ostfriesland Druck, indem er Sanders Ausschluss anregte. Der Wattenrat unterstellte dem NABU-Landesvorsitzenden Hans-Jörg Helm zudem, er stehe Sander bedenklich nahe. Einem Zeitungsbericht zufolge sang Helm dem Minister zu dessen 60. Geburtstag gar ein Lied.
"Wir können, soweit es unsere Region betrifft, nichts Negatives über Sander sagen", stellt dagegen Wilhelm Kaufmann fest, der Vorsitzende der Kreisgruppe Wilhelmshaven. Sicherlich habe sich der Minister in vielen Fällen nicht sehr sensibel verhalten. Als es um die Erhaltung des EU-Schutzgebietes Voslapper Groden ging, habe Sander jedoch den NABU unterstützt. Und die Kleientnahme könne man in Ausnahmefällen akzeptieren. "Küstenschutz ist ein heißes Thema", sagt Kaufmann. Die Frage der Schirmherrschaft müsse Sander mit sich selbst ausmachen. Ein Ausschluss sei von der Landesvertreterversammlung abgelehnt worden.
Auch Franz-Otto Müller, der Leiter der Kreisgruppe Wesermarsch, hält die Forderung nach einem Ausschluss Sanders für schwierig. Er hält Sanders Wirken zwar für politisch gefährlich, findet aber, der Minister sollte sich besser beraten lassen und dann auch auf den Rat der Fachleute hören, statt aus dem Bauch heraus zu argumentieren. Selbst wenn es eine persönliche Nähe zwischen dem Landesvorsitzenden Helm und Sander geben sollte, lägen beide inhaltlich weit auseinander.
Helm kann die Kritik an der Schirmherrschaft nicht nachvollziehen: Zweck der Radtour sei es unter anderem, für den Klimaschutz zu werben, und dabei sei die Schirmherrschaft hilfreich. "Es geht hier um das Amt und nicht um die Person", argumentiert er. Der NABU setze sich inhaltlich scharf mit den Positionen Sanders auseinander, was in den vielen Dutzend kritischen Stellungnahmen nachzulesen sei. Das heiße aber nicht, dass man nicht miteinander rede. "Man kann einem Politiker nichts nahe bringen", findet der Landesvorsitzende, "wenn man nicht mit ihm redet."
Wir zitieren aus der taz Nord vom 24.4.2007, Seite 22, 19 LeserInnenbrief (Der Verfasser Schopf ist Mitglied im Wattenrat):
Moralische Posse im NABU
Betr.: "Schirmherr mit Kettensäge", taz nord 24. 4. 2007
Bei jeder Gelegenheit profiliert sich Niedersachsens Umweltminister Sander - mit und ohne Kettensäge - als Naturschutzkahlschläger. Der NABU-Landesverband hat es vorgezogen sich opportunistisch und oft in vorauseilendem Gehorsam an diese Naturschutzverhinderungs-Politik anzupassen. Die Mitglieder, die sich in den Ortsgruppen engagieren, müssen sich durch die Schirmherrschaft des Ministers ebenso verhöhnt fühlen wie durch die Komplizenschaft des Landesverbandes mit einem Minister, der die Naturschutzverhinderungs-Lobby anführt.
Wenn es ums Klima geht, werden Naturschutzziele und rechte schnell Opfer einer längst überwunden geglaubten Anthropozentrik. Auch der Rest an Engagement für Naturschutzbelange und der Rest an Redlichkeit gegenüber den NABU-Mitgliedern fällt dem grenzenlosen Opportunismus zum Opfer. Die Schirmherrschaft des Ministers zählt zu den politischen Possen, die Zweifel am geistigen und moralischen Zustand der Verantwortlichen aufkommen lassen.
REINER SCHOPF, Jakobsdorf
Wir zitieren eine ddp-Meldung vom 25. Mai 2007:
ddp-nrd vom 25.05.2007
Der NABU Niedersachsen hat Umweltminister Hans-Heinrich Sander (FDP) die Schirmherrschaft über die Jubiläumsradtour anlässlich des 60. Geburtstags des Umweltverbandes entzogen. Sander, der die Kritik von Umweltverbänden nicht ernst nehme, habe "Türen und Ohren gegenüber dem ehrenamtlich tätigen Naturschutz im ganzen Land und vor Ort verschlossen", sagte NABU-Landesvorsitzender Hans-Jörg Helm zur Begründung am Donnerstag in Hannover. Ein Schirmherr für die "Tour de NABU" müsse Argumenten von Naturschützern gegenüber offen sein. "Das Ehrenamt darf nicht mit Füßen getreten werden", betonte Helm. Denn ohne ehrenamtliches Engagement wäre es um die Lebensgrundlagen der Menschen schlecht bestellt. Die Missachtung des Ehrenamtes zeige sich beispielsweise bei Planvorhaben des Ministeriums. Die kostenlose Kartierung von Pflanzen und Tieren durch zahlreiche Ehrenamtliche werde gern entgegengenommen. Die Stellungnahmen der Ehrenamtlichen gegenüber behördlichen Planungen seien aber nicht gewollt, argumentierte Helm. Sander hatte auf einer Veranstaltung in Mulmshorn (Landkreis Rotenburg) geäußert, dass er die Kritik von Umweltverbänden nicht ernst nehme. Berater seien für ihn vielmehr die Wirtschaft, Landwirtschaft und Industrie. ddp/tan/muc