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Der Präsident des Landesumweltamtes schreibt zu Vogelschlag an WKA

Windkraftnutzung und Vogelschlag - ein unterschätztes Problem

Der nachfolgende Aufsatz von Dr. Freude, Präsident des Landesumweltamtes in Brandenburg, war im August 2004 Bestandteil der Berichterstattung in vielen Medien. Wie viele Tiere würde man eigentlich bei systematischen Langzeituntersuchungen unter den Rotoren erschlagen finden? Wie sucht und dokumentiert man eigentlich Vogelschlagopfer unter Windkraftanlagen auf See in den Hauptzugrouten?

Vom Windrotor erschlagene Moewe

Halbierte Silbermöwe im Windpark Utgast bei Esens, LK Wittmund, Foto: Knake

 

Prof. Dr. Matthias Freude Präsident Landesumweltamt Brandenburg

Windkraftnutzung und Vogelschlag - ein unterschätztes Problem

Für mich gibt es keinen Zweifel: regenerativen Energien gehört die Zukunft. Vielleicht schon die nähere Zukunft, die gegenwärtige Ölpreishysterie erscheint wie ein Wink mit dem Zaunpfahl. Zwangsläufig müssen neue Wege der Energieversorgung beschritten werden. Windenergienutzung gehört dazu. Die Frage ist nur: wann, wie viele und an welcher Stelle wir uns Windkraftanlagen leisten können und wollen.

Wie so oft bei neuen Technologien werden die Risiken erst nach und nach bekannt. Nicht zu übersehen ist der Beitrag der Windkraftanlagen zur Landschaftsgestaltung. Wobei die Emp-findlichkeitsschwelle der Bevölkerung mit zunehmender Anzahl der Anlagen überproportional zu sinken scheint. Auch über zusätzliche Kosten für den Verbraucher ist viel diskutiert worden. Das Problem des Vogelschlags an Windkraftanlagen drang dagegen bisher kaum ins öffentliche Bewusstsein.

Es ist ja auch nur schwer zu verstehen, dass Vögel in die weithin sichtbaren Windräder hineinfliegen und - wenn sie es denn tun - dann auch noch von den offensichtlich langsam drehenden Rotorenflügeln erschlagen werden sollen. Wahrscheinlich ist es der gleiche Irrtum dem Mensch und Vogel hier unterliegen und der mittlerweile für tausende Vögel tödlich endet: die Rotoren drehen sich an windigen Tagen keineswegs langsam, sondern - zumindest an den Flügelenden - sogar ausgesprochen schnell. Über die Winkelgeschwindigkeit erschließt sich der Zusammenhang: Um so weiter vom Drehpunkt entfernt, desto höher die Geschwindigkeit der Rotorenflügel. An den Spitzen können das weit über 200 km/h sein.

Auf solche Geschwindigkeiten hat die Evolution selbst unsere besten Flieger nicht vorbereitet. Sogar Mauersegler, die mit ca. 180 km/h schnellsten einheimischen Vögel, wurden unter Windrädern gefunden. Rote Milane, die elegantesten und manövrierfähigsten Greifvögel Deutschlands, gehören sogar zu den Hauptopfern der Windkraftanlagen.

Dem Irrtum mit den nur scheinbar langsam drehenden Rotorblättern ist auch der Autor (Verhaltensbiologe und Ökologe) dieses Beitrags erlegen. Noch vor wenigen Jahren hätte ich nicht mit einem ernsthaften Problem des Vogelschlags an Windkraftanlagen gerechnet. Mittlerweile haben uns die Tatsachen eines besseren belehrt. Die Erkenntnis wuchs mit den ersten Zufallsfunden.

Im Sommerurlaub 2001 entdeckte ein Kollege aus der Staatlichen Vogelschutzwarte Brandenburg einige offensichtlich erschlagene Vögel unter holländischen Windrädern nahe der Küste. Unerwarteterweise fanden sich bei einer Nachsuche im brandenburgischen Binnenland ebenfalls tote Vögel unter Windrädern. Seitdem wird zumindest stichprobenhaft von Ornithologen, Zivildienstleistenden und ehrenamtlichen Helfern unter Windkraftanlagen nach verunglückten Vögeln gesucht. Überraschenderweise fanden sich dabei auch erschlagene Fledermäuse. Umso genauer man suchte, desto mehr der im Gras und Gebüsch nur schwer aufzuspürenden Fledermausüberreste wurden entdeckt.

Vögel und Fledermäuse werden häufig von den Windrädern regelrecht halbiert oder Teile abgeschlagen. Hinzu kommen Verluste durch Luftwirbel an den Rotorblättern. Wie Sichtbeobachtungen belegen, können sich Vögel und Fledermäuse in diesem Falle mitunter noch kurz über dem Boden abfangen. Auch die Wirkung von starken Druckunterschieden (Unterdruck) in den turbulenten Strömungen wird in letzter Zeit als Todesursache von Kleinvögeln und Fledermäusen diskutiert.

Die Nachsuche unter Windkraftanlagen ist zeitaufwändig und erfordert Fachwissen. Syste-matische Untersuchungen liegen noch nicht vor. Die in der aktuellen Tabelle dargestellten Fundzahlen von Vögeln und Fledermäusen sind zumeist Zufallsfunde oder Ergebnisse von Stichprobenkontrollen. So wurden in Brandenburg in den letzten drei Jahren bei 2.059 Kon-trolluntersuchungen unter 239 Windkraftanlagen 87 tote Vögel und 69 Fledermäuse gefun-den. Bei einer durchschnittlichen Kontrollhäufigkeit von weniger als drei Nachsuchen pro Jahr an lediglich 239 der ca. 1.700 Windkraftanlagen allein in Brandenburg lässt sich zumindest die Dimension des Problems erahnen. Überdies dürften Fuchs und andere Kleinraubsäuger bei der Suche unter Windkraftanlagen mindestens ebenso effektiv wie menschliche Beobachter sein - und dabei zumeist eher zur Stelle. Um die Dunkelziffer wenigstens ansatzweise berücksichtigen zu können, wurden tote Küken unter Windkraftanlagen ausgelegt und danach die Fundrate und Fundgeschwindigkeit durch den Fuchs abgeschätzt. Ein erstes Zwischenergebnis vom letzten Sommer zeigt, dass nach einer Woche durchschnittlich 83 % der teilweise gut versteckten Küken von Raubsäugern und Vögeln abgesammelt worden waren. In einigen Fällen waren schon am 2. Tag alle Küken verschwunden.

Totfunde von Vögeln und Fledermäusen unter Windkraftanlagen in Deutschland von 1989 - 2004. Zufallsfunde und Stichproben.

Zentrale Fundkartei der Staatlichen Vogelschutzwarte im Landesumweltamt Brandenburg. Stand 18.08.2004

Rotmilan 40, Großer Abendsegler 115, Mäusebussard 23, Rauhautfledermaus 44, Seeadler 13, Zwergfledermaus 22, Silbermöwe 11, Pipistrellus spec 17, Turmfalke 10, Zweifarbfledermaus 8, Höckerschwan 8, Kleiner Abendsegler 7, Weißstorch 6, Mausohr 7, Weißwangengans 6, Sonstige Fledermäuse 113, Schwarzmilan 6, sonstige Nicht-Singvögel 69, Singvögel 52.

Summe (70 Arten) 477

Die Tabelle der Totfunde von Vögeln und Fledermäusen unter Windkraftanlagen weist 477 Anflugopfer aus, die zu fast 90 % in den letzten zwei Jahren gefunden wurden. Insgesamt verunglückten Vertreter von 60 Vogelarten und 10 Fledermausarten.

Flächendeckende Hochrechnungen der Gesamtverluste lassen sich aus dem vorliegenden Datenmaterial noch nicht ableiten. Erste wissenschaftlich fundierte Aussagen werden frühes-tens zum Jahresende vorgestellt werden können, wenn die Zwischenergebnisse einer deutschlandweiten Datensammlung vorliegen. Deutschlandweit sind erst wenige Prozent der 15.800 Windkraftanlagen überhaupt abgesucht worden und auch das zumeist nur sporadisch. Nur aus zehn Bundesländern liegen Daten vor, davon fünf mit weniger als 10 gemeldeten Vögeln.

Mit 40 % aller Anflugopfer stehen die Greifvögel an der Spitze der betroffenen Vogelarten. Häufiger als jede andere Vogelart wird der Rotmilan unter Windkraftanlagen gefunden. Seine Verluste sind fast doppelt so hoch wie die des in Deutschland siebenmal häufigeren Mäusebussards. Besonders besorgniserregend ist die Tatsache, dass fast alle Rotmilane während der Brutzeit verunglückten und in vielen Fällen Eier oder Jungvögel zu versorgen hatten. Gerade für den Rotmilan hat Deutschland eine besondere internationale Verantwortung, da hier der weltweite Hauptverbreitungsschwerpunkt liegt. Hier muss es darum gehen, weitere, möglicherweise bestandsbeeinträchtigende Verluste zu verhindern. Mit 13 registrierten Anflugopfern erweisen sich Windkraftanlagen auch für den Seeadler als zunehmend problematisch. Auch hier kam es zusätzlich zu Verlusten an Gelegen bzw. Jungvögeln.

Die Populationen häufigerer Arten wie Lachmöwe oder Mäusebussard sind sicher leichter in der Lage, Anflugopfer wieder auszugleichen. Aber auch hier addieren sich die Verluste an Windkraftanlagen zu den bereits bekannten Gefahrenquellen wie Glasfassaden, Freileitungen und schnell fahrende Kraftfahrzeuge. Auch unter diesem Gesichtspunkt dürfen die Anflugverluste an Windkraftanlagen nicht weiter ignoriert werden, zumal sie für einige Arten zu ernsthaften Problemen führen dürften.

Bereits jetzt lassen sich aus der Datensammlung der Anflugopfer Schlussfolgerungen für den weiteren Umgang mit Windkraftanlagen ziehen: An bekannten Vogelzugtrassen und in der unmittelbaren Umgebung von Müllhalden sollte auf Windkraftanlagen verzichtet werden, da hier die Anflugopferzahlen deutlich über dem Durchschnitt liegen. In unmittelbarer Nähe zum Waldrand oder im Wald verunglücken besonders viele Fledermäuse und Kleinvögel. Eine Bündelung der Windkraftanlagen zu Windparks kann die durchschnittliche Anflugrate deutlich senken. Verhalten und Lebensraumansprüche besonders gefährdeter Arten, wie des Rotmilans, sind verstärkt zu berücksichtigen. Auf zusätzliche Freileitungen (als weitere Ge-fahrenquellen) sollte zugunsten von Erdkabeln verzichtet werden.

Bei der weiterhin zu erwartenden starken Zunahme von Windkraftanlagen in Deutschland kommt einer möglichst vogelgerechten Anlage von Windparks eine besondere Bedeutung zu, andernfalls setzen wir uns dem berechtigten Vorwurf von Ignoranz gegenüber der belebten Natur zugunsten einer "grünen" Energie aus.

Hinweise aller bekannten und bekannt werdenden Funde an die unten genannte Adresse helfen die Wissensbasis zu verbreitern und die Diskussion auf einer sachlichen Ebene zu führen.

Landesumweltamt Brandenburg
Staatliche Vogelschutzwarte
Dorfstraße 34
14715 Buckow
Tel. u. Fax: (033 878) 602 57
Torsten.Langgemach@lua.brandenburg.de

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