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"Manche Probleme des Naturschutzes ließen sich bereits mit einem Grundmaß an Kenntnissen, Haltung und Anstand überwinden."

Eine Philippika wider den neo-liberalen Zeitgeist im Natur- und Landschaftsschutz von Wilhelm Breuer - (mit freundlicher Genehmigung des Autors)

Simon Wankner und Helmut Wartner sind professionelle Auftragnehmer im Bund Deutscher Landschaftsarchitekten (BDLA) und haben sich Gedanken zum Natur- und Landschaftsschutz gemacht: "Abschied von alten Ärgernissen - neue Aufgaben für die Landschaftsplanung" heißt ihr Beitrag in der Fachzeitschrift "Naturschutz und Landschaftsplanung" im Eugen Ulmer Verlag.

Sie stellen u.a. diese bemerkenswerte Thesen auf:

Wilhelm Breuer, fachlich versierter Autor zahllloser Beiträge zum Natur- und Landschaftsschutz und engagierter Eulenschützer in der Gesellschaft zur Erhaltung der Eulen e.V. hat in seiner Philippika den Herren Wankner und Wartner die Leviten gelesen, und das wollen wir Ihnen nicht vorenthalten. Chapeau, Herr Breuer!

Mit freundlicher Genehmigung des Autors, erschienen in "Naturschutz und Landschaftsplanung", Ulmer Verlag, Heft 2/2009.

31. Januar 2009

Gesellschaftliche Änderungen sind an der Zeit.

Eine Replik auf den Beitrag von Simon Wankner und Helmut Wartner

Von Wilhelm Breuer

Naturschutz (einschließlich der ihm zur Durchsetzung an die Seite gestellten Instrumente Landschaftsplanung und Eingriffsregelung) ist nicht nur (vielleicht am wenigsten) das heitere, allseits konsensfähige Abenteuer mit Spaßfaktor, zu dem bemerkenswerter Weise vor allem Naturschützer, weniger die Gegenseite, den Naturschutz mitunter zu vereinfachen und verharmlosen suchen. Tatsächlich ist Naturschutz in Deutschland eine durch Gesetze für Staat und Bürger verpflichtende Sache, die im Widerstreit mit egoistischen Interessen und anderen öffentlich legitimierten Belangen leicht als Ärgernis empfunden wird und sich zumal angesichts der ungebrochen beispiellosen Ökonomisierung aller Lebensbereiche und einer anhaltenden Entstaatlichung des Naturschutzes nur schwer durchsetzt.

Die Überwindung der Durchsetzungsprobleme der Staatsaufgabe Naturschutz verlangt weniger das fortgesetzte Infragestellen seiner Ziele als vielmehr zeitgerechte Lösungen zu ihrer Verwirklichung. In diesem Rahmen ist jeder Diskussionsbeitrag über Strategien willkommen. Der Sache des Naturschutzes ist aber nicht damit gedient, vereinzelt oder auch mehrheitlich als Ärgernis empfundene Ansprüche zu relativieren oder einfach aufzugeben, auch nicht im Namen der Akzeptanz. Die Wege des Naturschutzes können sich ändern - die Ziele bleiben. Das gilt für alle drei Teilziele des Naturschutzes:

Erstens: die Gewährleistung "ungestörte Entwicklung", d.h. sich selbst organisierende Natur, Natur Natur sein lassen, möglichst auf großer Fläche.

Zweitens: die Erhaltung "historischer Kulturlandschaften", d.h. dort, wo sie noch existiert, wenigstens aber in repräsentativen Ausschnitten; an ihrer Stelle keine unhistorische und vor allem keine Unkulturlandschaft.

Drittens: die Bindung der Nutzung an Kriterien der Nachhaltigkeit, d.h. die Ökosysteme nicht übernutzen, keinen Raubbau betreiben, stattdessen Wirtschafts- und Nutzungsweisen, vor denen Natur und Landschaft nicht geschützt zu werden brauchen, Naturschutz außerhalb von Schutzgebieten. So ist - nehmen wir alle drei Ziele zusammen - Naturschutz, wenngleich mit abgestufter Intensität und nach Lage und Umfang unterschiedlichen Flächenansprüchen ein alle Politikbereiche und 100 % des Raumes durchdringendes Handlungs- und Gestaltungsprinzip. An dieser Zielbestimmung gemessen erweist sich eine Mehrzahl der Thesen der beiden Autoren als im Ansatz fragwürdig oder fehlgeleitet.

Beispiele:

1. Naturschutz umfasst notwendigerweise und naturschutzrechtlich verankert auch den Schutz historischer Kulturlandschaften (u.U. einschließlich einer "musealen Pflege"). Dass diese Landschaften nicht leicht zu erhalten sind, steht außer Frage; sie bleiben aber schon als kulturelles Erbe schutzwürdig und schutzbedürftig. Billig ist nur, sie als "heilige Kühe" abzuwerten und verkommen zu lassen. Die für die Pflege solcher Landschaften erforderlichen ökonomischen Anreize könnte der Staat durchaus in einem weit größeren Umfang als heute schaffen. Der unzureichende Schutz historischer Landschaften und des Landschaftsbildes ist ein Hauptproblem des Naturschutzes, nicht (wie die Autoren meinen) der Umstand, dass der Naturschutz an ihrem Schutz festhält.

2. Das Landschaftsbild ist keine bloße Ansichtssache oder (wie die Autoren annehmen) nur das "geistige Konstrukt im Kopf des Betrachters", sondern ein Gut, dass im Naturschutzhandeln nach nachvollziehbaren Kriterien zu erfassen, zu bewerten und (gleichrangig wie der Naturhaushalt) vor negativen zivilisatorischen Trends zu schützen ist. Das schließt eine Fortentwicklung des Landschaftsbildes nicht überall aus, bestimmte Landnutzungen (manchmal sogar alle oder gerade die "neuen") in bestimmten Gebieten aber schon. Wie geschichtsvergessen muss man sein, diese Aufgabe des Naturschutzes und der Landschaftspflege als überholt abzutun, und wie gleichgültig der allfälligen Verunstaltungen des Landschaftsbildes und der Auflösung der naturräumlichen Identität ganzer Landschaften gegenüber? Diese Entwertung vollzieht sich schließlich nicht (allein) zu Lasten vielleicht seltener Pflanzen- und Tierarten, sondern unmittelbar der Menschen selbst.

3. Der Schutz von Natur und Landschaft verdankt sich mitunter einzig und allein des gemeinschaftsrechtlichen Artenschutzrechts. Zu kritisieren ist, dass dieser Schutz nicht der gesamten Biodiversität, bei weitem auch nicht allen gefährdeten, sondern - jedenfalls gegenüber den Hauptverursachern des Artenrückganges - nur den wenigen gemeinschaftsrechtlich geschützten Arten zuteil wird. Zu einem "Zentrum juristischer Auseinandersetzung" ist das Artenschutzrecht nur deswegen geworden, weil es zumeist selbst dort nicht hinreichend angewandt wird, wo es unbestritten gilt. Wer das gewährte Schutzniveau in die Nähe "religiöser Unantastbarkeit" rückt, dürfte die tatsächliche Lage gründlich verkennen. Bestimmte Arten können zudem - mögen die Autoren das auch als "Käseglockennaturschutz" gering schätzen - nur bei strikter Abwehr zivilisatorischer Einflüsse erhalten werden. Diese Aufgabe verliert nicht schon angesichts eines veränderlichen Klimas an Bedeutung, denn die Vielzahl der Arten füllt die Roten Listen nicht wegen eines tatsächlichen oder vermeintlichen Klimawandels, sondern aufgrund verschiedenster nicht hinreichend an die Erfordernisse des Naturschutzes und der Landschaftspflege angepasster Landnutzungen. Diesen Landnutzungen, die wahrlich kein Garant der Biodiversität sind, stehen die Autoren ("die Landschaft als dynamisches Produkt menschlicher Nutzung") seltsam unkritisch gegenüber.

4. Die Erkenntnis, dass sich das Klima verändert und diese Veränderungen nicht mehr nur natürlich, sondern seit jüngster Zeit auch anthropogen sein könnten, stellt die Landschaftsplanung unbestritten vor neue Herausforderungen. Deswegen müssen aber nicht alle Naturschutzziele einer Neubewertung unterworfen oder die Landschaftsplanung komplett neu ausgerichtet werden. Die Landschaftsplanung kann die negativen Auswirkungen des Klimawandels bestenfalls mildern. Sie müsste dazu aber zu einer Vergrößerung des Anteils "ungestörter Natur", der Vernetzung solcher Gebiete sowie einer standortangepassten, ressourcenschonenden Landnutzung führen. Tatsächlich bemüht sich die Landschaftsplanung um einen solchen Beitrag schon lange, bevor der Klimawandel mediale Aufmerksamkeit erlangte. Statt "neuer Aufgaben" würde es genügen, die alten zu erledigen. Dass die Bemühungen zumeist auf dem Papier enden, hat weniger innerfachliche Gründe. Eine Überwindung der Vollzugsprobleme verlangt vielmehr rechtliche, nicht zuletzt besitzrechtliche und finanzielle und damit deutlich politischere Konsequenzen, als sie die Autoren in Erwägung ziehen.

5. Die Nutzung regenerativer Energien erfordert wie die Nutzung anderer Energiequellen und jede Landnutzung die Integration der Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege. In einem bestimmten Umfang und an vielen Standorten ist eine solche Integration durchaus möglich. Das gilt beispielsweise für den Anbau nachwachsender Rohstoffe, der unter bestimmten Bedingungen zum Schutz von Arten, Böden und des Landschaftsbildes im Agrarraum oder auch in Siedlungsnähe beitragen könnte. Eine solche Berücksichtigung findet aber größtenteils wegen unzureichender gesetzlicher Vorgaben und fehlender ökonomischer Anreize gar nicht statt. Es genügt deshalb nicht, solche Konzepte in der Landschaftsplanung zu erarbeiten, wenn die rechtlichen und administrativen Voraussetzungen für die Integration dieser Konzepte gar nicht gegeben sind. Wer an dieser Stelle nur eine "Partnerschaft mit Investoren" oder ein "gemeinsames Nachdenken mit Landbewirtschaftern" anmahnt und diese Kritik an die Adresse der Landschaftsplanung adressiert, versteht wenig von den realen Akzeptanzproblemen des Naturschutzes im Agrarraum. Zudem beschränkt sich der Anspruch des Naturschutzes und der Landschaftspflege (und insofern auch der ihm verpflichteten Landschaftsplanung) nicht auf eine "nachhaltige Nutzung", sondern der Anspruch umfasst um nichts weniger zumindest auf Teilflächen auch den Verzicht auf jede Nutzung, was die Autoren in der Annahme, "Landschaft (sei) immer der bewirtschaftete Teil der Erdoberfläche" offenbar (wie die Erhaltung historischer Kulturlandschaft), aus dem Blick verloren haben.

Schon diese Beispiele zeigen, dass den Thesen der beiden Autoren keine ausreichende Problemanalyse zugrunde liegt, jeder der darin angesprochenen Einzelaspekte einer Klarstellung und Einordnung bedürfte und es daher auch nicht verwundert, dass die Thesen nicht wirklich weiterführen. Die Thesen sind eher ein Zwischenruf aus der Praxis von Landschaftsplanung und Eingriffsregelung - mit einigen berechtigten Forderungen, nämlich nach Beachtung der Grundsätze guter fachlicher Praxis, so etwa wenn die Verfasser

Am Zustandekommen der Mängel, auf denen sich diese Forderungen beziehen, wirken Personen in Planungsbüros und Naturschutzbehörden mit - verstrickt zwischen ökonomischen Zwängen und finanziellen und anderen Verlockungen, denen nicht eben wenige erliegen. Wechseln Investoren und Behörden etwa nicht mit Erfolg den Gutachter so lange, bis das Ergebnis stimmt und alles in die Unerheblichkeit oder Machbarkeit hinein definiert ist - mit Gewinn für alle Beteiligten, nur nicht für die Sache des Naturschutzes? Manche Probleme des Naturschutzes ließen sich bereits mit einem Grundmaß an Kenntnissen, Haltung und Anstand überwinden.

Die Gründe für die unzureichende Wirksamkeit von Eingriffsregelung und Landschaftsplanung dürften deshalb vor allem hier zu suchen sein: in der Dominanz des Marktes über dem Menschen, der Entstaatlichung des Naturschutzes, Bildungsverlusten, der Freiheit ohne Verantwortung und fehlender Sozialbindung des Eigentums. Diese Ärgernisse verlangen nicht nach neuen Aufgaben der Landschaftsplanung, sondern - wie die internationale Krise der Finanzmärkte - einer Neuausrichtung von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Dass der Naturschutz einschließlich seiner Verbände die intellektuelle und moralische Kraft hätte, dazu beizutragen, darf bezweifelt werden. Der neoliberale Zeitgeist hat die Akteure des Naturschutzes längst selbst erfasst.

Anschrift des Verfassers: Wilhelm Breuer, EGE - Gesellschaft zur Erhaltung der Eulen e.V., European Group of Experts on Ecology, Genetics and Conservation, Breitestraße 6, D-53902 Bad Münstereifel, E-Mail egeeulen@t-online.de.

 
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