Startseite > Aktuelles > Artikel Nr. 97 (03.04.2005)
"Umweltminister" Hans-Heinrich Sander auf den Punkt
…getroffen!
Hans-Heinrich Sander, Niedersachsens Umweltminister, sorgt immer wieder für Schlagzeilen. Thomas Schumacher hat ihn in der "Waterkant" Nr. 1/2005 ganz polemisch aufgespießt: "Heinerich, mir graut's vor dir", köstlicher Lesestoff! (Dieser Artikel ist bei der "Waterkant", Zeitschrift der Aktionskonferenz Nordsee e.V. (AKN) erschienen und auf deren Seiten hier zu finden.
Heinerich, mir graut's vor Dir!
Niedersachsens Umweltminister Sander leidet an seinem Amt - und will es abschaffen
Eine Polemik von Thomas Schumacher
Die "Frankfurter Rundschau" war ratlos: "Warum Sander Umweltminister wurde, weiß keiner so richtig", schrieb sie 2003 zur dessen Amtseinführung. Die Zeitung vermutete, der "Nobody hängte sich an die Führer der Koalitionsverhandlungen zwischen FDP und CDU". Nach einer Art politischem Flaschendrehen zeigte irgendwann, mangels weiterer Mitspieler, die Pulle auf Sander.
Der Mann aus Holzminden war sich über den Inhalt seines Portefeuilles nicht im Klaren. Anfänglich wilderte er im Wirtschaftsressort: "Wir müssen die Umweltverwaltung den Bedürfnissen der Betriebe anpassen." Dann machte er gehaltvolle Bemerkungen zur Bildungspolitik, indem er vorschlug, die geschassten Fachleute des Niedersächsischen Landesamtes für Ökologie könnten sich als Hilfslehrer bewerben. Legendär sind seine Bemerkungen zur Innenpolitik: Kommunale Verbände seien "korrupte Banden" und "undemokratische Haufen", analysierte Sander. Später konnte er sich an diesen Ausspruch nicht mehr erinnern. Seine Kompetenz im Umweltschutz belegte er in einer amtlichen Mitteilung derart, dass er zuhause für die Mülltrennung zuständig sei. Um seine Banalitäten kontrollieren zu können, schaffte sein Ministerium die bis dato übliche öffentliche Dienstbesprechung mit allen Experten des Landes einmal im Jahr in der Alfred-Töpfer-Akademie in Schneverdingen ab.
Doch schließlich fand Sander dann sein Metier: den Menschen. Sein Lieblingswort: "Wir machen endlich keine Politik mehr gegen die Menschen, sondern mit den Menschen." Da das mehr mit Theologie als mit Umweltpolitik zu tun hat, gab Sander auch die Richtung seines Handelns vor: "Staatlichen Umweltschutz können wir uns nicht leisten" (1). Seitdem betreibt Sander statt Umweltpolitik - Abschaffpolitik.
Ärgerliche Kontrollen der niedersächsischen Atomkraftwerke mag Sander nicht. Denn: "Wirksamer Umweltschutz ist wirtschaftlicher Umweltschutz", so Sander. Wirtschaftlicher Umweltschutz ist einer, der der Wirtschaft nutzt - das ist feine FDP-Logik. Da der Minister nebenberuflich als Werbeträger für die Atomindustrie tätig ist - bei einer Begehung des geplanten Atomlagers in Gorleben posierte er in einem T-Shirt mit der Aufschrift: "Atomkraft ist kerngesund" -, schafft er die dummen Kontrollen ab. Eine schwammige Einheitsbehörde "Energie, Atomaufsicht und Strahlenschutz" kümmert sich eher um das Wohl als um das Wehe der Atomindustrie. "Ein Betrieb über 2012 hinaus ist durchaus denkbar, so war es, so ist es und so soll es auch bleiben - für das nächste Vierteljahrhundert", verspricht Prophet Sander als Festredner auf der 25-Jahr-Feier des Atomkraftwerks Esenshamm an der Unterweser.
Aber kommen wir zurück zum Menschen. Den will Sander immer an die Hand nehmen und in die Natur führen. Die ist bekanntlich wild und muss befriedet werden. Hatte Sanders' Vorgänger im Amt (Wolfgang Jüttner, SPD) noch grüblerisch philosophiert, man müsse ergründen, wie viel Wildnis eine moderne Zivilisation zulassen müsse, gab Sander handfest die Antwort: Eigentlich keine. Das Umweltministerium genehmigte den Abschuss von Kormoranen. So freigeschossen, sieht Sander auf dem Weg des Menschen zurück zur Natur nur noch wenige Hindernisse: Wertvolle Biotope, Vogelschutzgebiete, FFH-Gebiete und Nationalparke.
Flugs führte er ein Frühwarnsystem ein gegen seine eigenen, behördlichen Kartierer. Wollen die sich einer privaten Fläche in forscherischer Absicht nähern, müssen sie sich beim Besitzer anmelden. Der hat, wenn er den Zutritt überhaupt zulässt, genug Zeit, ein mögliches Biotop verschwinden zu lassen. Effektive Arbeit der Behörde wird in Bürokratie erstickt. Wie er den Menschen in ein Vogelschutzgebiet hineinführt, hat Sander im Petkumer Deichvorland bei Emden demonstriert - per Betonweg. Zwar hätten die Radfahrer, Spaziergänger und Hunde problemlos außerhalb des Schutzgebietes hinter dem Deich lustwandeln und vom Deich aus die Natur beobachten können, aber Sander will ja in die Natur. Jetzt sind Bläss- und Weißwangengänse weg, das Schutzgebiet zerstört.
Ähnliches hat Hans-Heinrich Sander mit dem Leybuchtpolder vor. Diese wichtigste Küstenschutzmaßnahme nach dem Krieg war ausdrücklich durch den Planfeststellungsbeschluss nur zu Küstenschutzzwecken genehmigt worden. Jetzt möchte Sander das Gebiet für den Tourismus öffnen. Die entsprechenden EU-Richtlinien umgeht er dabei. Das macht nichts.
Auch die fällige Ausweisung der Ästuare von Ems und Weser als FFH-Gebiete unterlässt er. Dass die EU mit millionenschweren Strafen droht, ficht den Freien Demokraten nicht an. Sein Kommentar: "Wir sind nicht Musterschüler der EU. (...) Diese ewigen Drohungen mit der EU. Wir sollten eine Nichtmeldung (der FFH-Gebiete an Ems und Weser, d. Verf.) riskieren. Soll doch die EU die Bundesrepublik verklagen, das wollen wir mal testen."
Richtig dicke ist der Minister zur Zeit mit der Windkraftindustrie. Die will auch in die Natur. Enova und Energiekontor planen so genannte "nearshore"-Windmühlen im Wattenmeer innerhalb der 12-Meilen-Zone. Der Minister gab vollmundig Schützenhilfe und versuchte, im Bundesrat das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) zu torpedieren - aber nicht um die den Ausbau der Windkraft zu behindern. Im EEG heißt es, Windanlagen, die in wichtigen Vogelschutzgebieten gebaut werden, sollten nicht über den Stromabnahmepreis subventioniert werden. Diesen Passus wollte Sander - vergeblich - kippen. Immerhin bemerkte er, dass seine eigenen Experten wichtige Vogelgebiete just dort kartiert hatten, wo Windmühlen installiert werden sollten. Sofort verdonnerte der Naturfreund seine Leute, die Karten mit den "Erkenntnissen" der Windkraftbetreiber "abzugleichen".
In einem Fall allerdings wird der Menschenführer sein Ziel nicht erreichen können: Er wird die Menschen nicht mehr exklusiv in den "Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer" leiten können. Die sind nämlich schon da, die Menschen, die ehemalige SPD-Regierung hat vorgearbeitet: Jährlich mehr als zwölf Millionen Zuzügler verzeichnen die niedersächsische Nordseeküste und das Wattenmeer als Hardcore-Touristenballungsgebiet. Daneben gibt es natürlich noch die "normale" Nutzung durch Landwirtschaft, Gas- und Ölleitungen und anderes mehr: Künstliche Strände sind hinterm Deich aufgeschüttet, Golfplätze liegen in Vogelschutzgebieten, Campingplätze werden ins Deichvorland gebaut, Parkplätze plätten Schutzzonen, Flugplätze bieten sich an zur Kette aufgereiht auf den Inseln, ferner Hotels und Feriensiedlungen ohne Ende.
Und es wird weiter geplant und gebaut. Küste und Wattenmeer sind ein Vergnügungspark, allerdings mit vergleichsweise schlechten Dienstleistungen. Das weisen die Tourismusinstitute aus. Da braucht man den Nationalpark, allerdings nur als marktschreierisches Werbeschild. Aber Hans-Heinrich Sander wäre nicht der zupackende Umweltminister, wenn er nicht auch hier noch etwas "nachbessern" könnte, "effektivieren" nennt er das.
1992 erkannte die UNESCO das Wattenmeer als Bioreservat an. Die Schutzkriterien entsprachen ungefähr denen des Nationalparks. Durch die Umwandlung der Nationalparkverordnung in ein Gesetz, noch durch die alte SPD-Regierung, wurden diese Kriterien aufgeweicht. Andererseits verschärfte die UNESCO ihrerseits die Schutzkriterien für Bioreservate. Jetzt bemängelt sie den niedrigen Schutzstatus des Nationalparks. Aber keine Angst, Hans-Heinrich weiß Rat: Ehe das Markenzeichen "Nationalpark" durch UNESCO-Krittelei in Verruf kommt, will er "die Menschen" an der Küste abstimmen lassen, ob sie überhaupt ein Bioreservat wollen. Womöglich eines, dass ihre wirtschaftlichen Aktivitäten einschränkt. Motto: Wollt ihr denn total weniger verdienen? Wenn nicht, könnte man vorsorglich auf das Reservat verzichten.
Mit seiner aktuellen und pauschalen Forderung, im Deichvorland Klei abzubauen, hätte Sander eigentlich gleich zurücktreten müssen. Denn ein dichtes Netz von nationalem und internationalem Recht schützt weite Teile des Deichvorlandes. Außerdem gibt es regionale Initiativen, umweltfreundlich und kostengünstig Klei für den Deichbau abzubauen. Die Idee, den gegenüber dem Naturschutz privilegierten Küstenschutz ausschließlich der Kostenminimierung unterzuordnen und sogar bei Eingriffen in die Natur auf Ausgleichsmaßnahmen zu verzichten, ist für Sander natürlich verführerisch. Schließlich hat die Verwaltungsreform seiner Landesregierung das Niedersächsische Landesamt für Ökologie platt gemacht und den amtlichen Naturschutz der Küstenschutzbehörde einverleibt: Der Niedersächsische Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz ist eine ähnliche Einheitsbehörde wie Sanders Energiebehörde. Der Antragsteller einer Baumaßnahme ist zugleich auch Genehmigungsbehörde.
Hier wird der große Banalisator kryptisch. Er will aufräumen "mit der heilen Welt ehemals richtiger Maßnahmen", so züngelte er in den "Bremer Nachrichten" (2). War die Welt des Naturschutzes jemals heil? Aber genauso wenig wie seine Worte sollte man Sanders' Rechtsauffassung auf die Waage legen. Immerhin bleibt abzuwarten, ob - und wenn ja wie - er seine Forderung nach ungezügelter Verfügbarkeit von geschützten Flächen durchsetzen wird. Da warten jede Menge juristischer Probleme.
Bleibt zum Schluss nur die Frage: Darf der Mann das alles? Es wäre zu bequem zu behaupten, es sei Ziel der CDU-Landesregierung, den behördlichen und präventiven Umweltschutz abzuschaffen. Sicher läuft es darauf hinaus, und die Tollpatschigkeit des Umweltministers hat System. In Zeiten wirtschaftlicher Flaute ist Umweltschutz ein ökonomischer Faktor, der nach Gebrauchswert gehandelt wird. Schwerer wiegt, dass es heute wenig kritische Öffentlichkeit in Bezug auf Umweltschutz gibt. Die Umweltverbände, so es sie überhaupt noch gibt, kämpfen ums materielle Überleben. Sie haben sich nach einer vorübergehenden öffentlichen Akzeptanz des Umwelt- und Naturschutzes nicht neu positioniert. Sie haben nicht die Option gewählt, sich zu radikalisieren und den Schutzgedanken aggressiver zu vertreten. Sie haben sich in ökonomischen Nischen wie Umweltbauernhöfen, Naturtourismus, Öko-Landwirtschaft und Bio-Vertrieb etabliert. Das kann ja gut sein. Aber hier sind sie ganz normale Unternehmen, die sich am Markt behaupten müssen. Statt für die Natur zu kämpfen, kämpfen sie um Märkte.
Auf diesem Hintergrund kann NABU-Mitglied Sander spinnert krachteln: "Wenn sich ideologische Naturschützer wie Künast durchsetzen, gibt's bald keine Landwirtschaft mehr in Deutschland, aber auch Autofahren wäre nicht mehr erlaubt." Wenn's doch so wäre…
Anmerkungen:
1. beim FDP-Fest in Twistingen (Emsland) im November 2003.
2. Interview in den "Bremer Nachrichten" vom 28. Februar 2005.