Wattenrat

Ost-Friesland

- unabhängiger Naturschutz für die Küste -

Startseite > Aktuelles > Artikel Nr. 91 (24.12.2004)

Artikel bei der taz über den Wattenrat

Die ehrenamtlich Unbequemen

Thomas Schumacher beschreibt in einem Artikel bei der taz die Arbeit des Wattenrats.

Wir zitieren aus der taz:

taz Nord Nr. 7548 vom 24.12.2004, Seite 31:

Idioten, Spinner, Geisteskranke, das sind die Attribute, mit denen die Mitglieder des ostfriesischen Wattenrates belegt werden. Dieser engagiert sich als letzte ehrenamtliche Naturschutzinitiative vor Ort für das Wattenmeer und die Küste - und macht sich damit bei Politikern und Lokalpresse unbeliebt

Vom Wattenmeer - Thomas Schumacher

Ginge es nach der Emder Zeitung, sollte dem ostfriesischen Wattenrat der Mund verboten werden. Unflätig giftete ein Kommentator der Zeitung gegen einen Sprecher des Rates. Mitglieder der Initiative hatten die Wut des Zeitungsmannes geschürt, weil sie Störungen in einem Naturschutzgebiet an der Ems angezeigt hatten. Eigentlich kein Brüller. Aber, so Uilke van der Meer vom Wattenrat: "Viele kleine Verletzungen schlagen eben auch Wunden. Die dürfen neben den großen Eingriffen in die Natur nicht vergessen werden."

Und davon gibt es genug. Fast 20 Millionen Übernachtungen müssen jedes Jahr auf den Inseln und an der Küste verkraftet werden. Neben den Windparks an Land sollen jetzt auch Industrieanlagen off-shore auf Hochsee installiert werden. Die Nordsee ist überfischt, die Liste der Umweltsünden lang. "Wir wollen dem Naturschutz eine Stimme geben. Wir pochen einfach auf geltendes Naturschutzrecht, das macht uns für viele unerträglich", sagt Manfred Knake, einer der Sprecher des Wattenrates, ein Zusammenschluss verbandsunabhängiger Naturschützer aus der Küstenregion Ost-Friesland, der aus der "Konferenz der Natur- und Umweltschutzverbände" hervorgegangen ist.

Eigentlich müssten sich Verbände, Parteien und Institutionen um den Wattenrat reißen. Denn der verkörpert das, was anderen gesellschaftlichen Organisationen ansonsten wegbricht: die Basis. Drastisch drückt es Uilke van der Meer aus: "Wir sind die Leute, die sich ehrenamtlich für den Naturschutz den Arsch aufreißen." Dabei nutzt der international vernetzte Wattenrat die modernen Medien für eine effektive Medienarbeit. Fachwissen und ein umfangreiches Archiv sind die Grundlage für zahlreiche Anfragen, Eingaben oder Klagen bis zum europäischen Gerichtshof.

Gegner des Wattenrates sind die wirtschaftlichen Nutzer und politische Planer an der niedersächsischen Nordseeküste. Also ziemlich alles, was in Niedersachsen Rang und Namen hat: Landwirtschaft, Fischer, Windkraftindustrie und Fremdenverkehr.

Das fundierte Faktenwissen des Wattenrat ist dabei gefürchtet und gehasst. Zwar wird den NaturschützerInnen regelmäßig Inkompetenz vorgeworfen, doch bestellten die Behörden selbst zahlreiche Mitglieder des Wattenrats über lange Jahrzehnte zu ehrenamtlichen Landschaftswarten und Vogelbeobachtern. Beispielsweise Eilert Voß aus Petkum. Vom passionierten Angler hat sich der Vermessungstechniker zum Fotografen geläutert. Seit nunmehr über 40 Jahren schippert er durch die Ems und zwischen den ostfriesischen Inseln. Seine Bilder erschienen im Stern und Geo oder waren Grundlage für bedeutende Ausstellungen über die Ökologie des Wattenmeeres.

Oder Reiner Schopf. 30 Jahre lebte er als Vogelwart auf der Vogelinsel Memmert vor Juist. Er dokumentierte jeden Vogelflug und jede Veränderung an der Küste. Uilke van der Meer wiederum hat als Umweltaktivist über Jahrzehnte Material gesammelt. Keine Baumaßnahme, keine Verordnung die Natur betreffend ist ihm entgangen. Manfred Knake aus Esens war über 20 Jahre als ehrenamtlicher Landschaftswart für den Landkreis Aurich tätig. Heute ist er, wie seine Mitstreiter auch, geschasst. "Der Landrat teilte uns mit, er hätte kein Vertrauen mehr in uns", sagt Knake.

Landrat Walter Theuerkauf aus Aurich gilt auf der Suche nach neuen Arbeitsplätzen als wenig zimperlich. Einerseits vertritt er die Interessen der Wirtschaft im internationalen Wattenmeerforum und soll andererseits gleichzeitig als Vorsitzender des Beirates des Nationalparks Wattenmeer die Natur schützen.

Die politischen Biographien der Aktivisten des Wattenrates ähneln sich. Sie standen in der ersten Reihe der Demonstranten, als in den siebziger Jahren im Rheiderland Salzkavernen für die Endlagerung von Giftmüll ausgespült werden sollten. Als die gesamte Emsmündung zu einem gigantischen Hafen ausgebaut werden sollte, agitierten sie dagegen. Und als in die Ems ein Stauwerk gebaut wurde, um Schiffsüberführungen der Papenburger Meyer Werft zu erleichtern, versuchte auch der Wattenrat das Bauwerk zu verhindern.

"Der größte Erfolg der Naturschutzes war die Einrichtung des Nationalparks Wattenmeer vor gut 20 Jahren. Da arbeiteten die Umweltverbände und wir Aktivisten noch Hand in Hand", erinnert sich Manfred Knake. Heute kritisiert der Wattenrat, dass sich NABU, BUND und WWF aus der aktiven Naturschutzarbeit in die politischen Gremien zurückgezogen hätten. "Die versuchen zwischen Natur und wirtschaftlicher Nutzung auszugleichen und Kompromisse zu schließen. Das ist Unfug. Wer zu Lasten der Natur jahrelang Kompromisse schließt, zerstört sie", sagt van der Meer. Denn so mache sich der vom niedersächsischen Umweltminister Hans-Heinrich Sander geforderte "Serengeti"-Effekt breit: Aus Natur wird Staffage, die letztlich von einer Kunstwelt ersetzt werden kann.

Diesen Weg hat Ostfriesland bereits eingeschlagen. Immer größere Erlebnisbäder werden hinter dem Deich und auf den Inseln gebaut, ein Center Park an der Küste ist geplant, in der Krummhörn ersetzt ein Kunststrand am Deich bereits den "echten" Strand.

 
Zum Seitenanfang