Wattenrat

Ost-Friesland

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Startseite > Aktuelles > Artikel Nr. 89 (09.11.2004)

Wattenmeerforum

Am 09. November stellte das "Wattenmeerforum" seine Arbeitsergebnisse auf einer Regionalkonferenz in Aurich vor

Ein Mitglied des Wattenrates war dabei. Das Gremium hat nach zwei Jahren Diskussion seine Visionen, Strategien, Empfehlungen und Projekte zusammengestellt, um den Wattenmeerraum "nachhaltig" nutzen zu können. Naturschutz hat darin keinen Platz mehr. Die Koordination erfolgt im Common Wadden Sea Secretariat in Wilhelmshaven. www.waddensea-forum.org

Stellungnahme des Wattenrates Ost-Friesland zum "Wattenmeerforum", im Nov. 2004

"Wer Visionen hat, sollte zum Augenarzt gehen" (Helmut Schmidt, Bundeskanzler a.D.)

Erarbeitet auf der Grundlage der Veröffentlichung des Wattenmeerforums "Die Wattenmeerregion- Strategien für eine nachhaltige Entwicklung", vorgestellt auf der Regionalkonferenz in Aurich, Niedersachen am 09. November 2004

Um einen Allgemeinplatz vorweg zu nehmen: Das Wattenmeer ist eines der letzten, wenn auch durch die Übernutzungen nicht intakten, Naturräume Europas. Aus diesem Grunde haben die Wattenmeeranrainerstaaten, zumindest auf dem Papier, umfangreiche Naturschutzbestimmung für den Wattenraum erlassen. In Deutschland sind es die Unterschutzstellungen als Wattenmeer-Nationalparke. In Deutschland werden in § 24 BNatSchG Nationalparke als "einheitlich zu schützende Gebiete"…."die…in einem überwiegenden Teil ihres Gebietes die Voraussetzungen eines Naturschutzgebietes erfüllen…geeignet sind, sich in einen Zustand zu entwickeln oder in einen Zustand entwickelt zu werden, der einen möglichst ungestörten Ablauf der Naturvorgänge in ihrer natürlichen Dynamik gewährleistet"…"Soweit es der Schutzzweck erlaubt, sollen Nationalparke auch der wissenschaftlichen Umweltbeobachtung, der naturkundlichen Bildung und dem Naturerlebnis der Bevölkerung dienen." Und schließlich in Absatz 3: "Die Länder stellen sicher, dass Nationalparke unter Berücksichtigung ihres besonderen Schutzzwecks sowie der durch die Großräumigkeit und Besiedelung gebotenen Ausnahmen wie Naturschutzgebiete geschützt werden." Auf europäischer Ebene geben die Vogelschutz- und FFH-Richtlinie den Weg vor. Der gesamte Nationalpark in Niedersachen ist EU-Vogelschutzgebiet und zum größten Teil FFH-Gebiet.

Dies sind also die wesentlichen Geschäftsgrundlagen einer Diskussion über sog "nachhaltige" Nutzungen in Wattenmeer-Nationalparken, die nach wie vor in Deutschland weit von den gesetzlich postulierten Zielen entfernt sind.

Die "Internationale" des Wattenmeerforums aus Dänemark, Deutschland und den Niederlanden als Zusammenschluss der wirtschaftlichen Nutzer dieses Lebensraumes will die "nachhaltige Nutzung" fördern und seine Nutzungs-Empfehlungen als pressure-group anlässlich der 10. trilateralen Ministerkonferenz 2005 auf Schiermonnigkoog den Regierungsvertretern dieser drei Länder überreichen.

In den Rubriken "Vision, Strategie, Empfehlungen und Projekte" stellen sich die nachfolgenden Nutzergruppen des Wattenmeerforums in sog. "Sektoren" vor: Küstenschutz, Schifffahrt, Landwirtschaft, Fischerei, Industrie- und Hafenwirtschaft, Energie und Tourismus.

Der Naturschutz hat offensichtlich keine eigenen Visionen, Strategien, Empfehlungen und Projekte anzubieten, obwohl drei bekannte Naturschutzvertreter aus Deutschland, nämlich Holger Wesemüller (früher WWF) mit seinem Vertreter Carl-Wilhelm Bodenstein-Dresler (BUND) für Niedersachsen und Dr. Hans-Ulrich Rösner (WWF) für Schleswig-Holstein als Mitglieder des Wattenforums aufgelistet werden.

Der Naturschutz kommt mit einer eigenständigen inhaltliche Darstellung in der Veröffentlichung des Wattenforums gar nicht mehr vor, "Natur" findet sich im Abschnitt "nachhaltiger Tourismus" unter den "Empfehlungen". Und dort wird die "Natur" lediglich als Anhängsel der Tourismusindustrie abgearbeitet. Zitat: "Wann immer möglich sollten Vorschriften durch Information ersetzt werden".

Die Nutzer kommen in der Broschüre schnell zur Sache: Im Abschnitt "Die Wattenmeerregion" wird die "große Anzahl von Bestimmungen und Verordnungen" erwähnt und dann die Aussage getroffen: "Während die Richtlinien das europäische Naturerbe weitgehend in [der] gesamten EU schützen, ist hierdurch die Entscheidungsfindung zu Aktivitäten im Wattenmeergebiet und in angrenzenden Gebieten deutlich komplizierter als in anderen Gebieten, für die es keine solche Richtlinien gibt." Soll damit angedeutet werden, dass die Vorschriften des europäischen Netzes NATURA-2000 die weitere Ausbeutung des Wattenmeeres stören könnten? Immerhin bedienen sich die Wattenanrainer großzügig aus EU-Fördergeldern.

Zur Sache geht es auch bei der "nachhaltigen Energie", um ein Beispiel zu nennen: "Windenergie hat einen bedeutenden Anteil an der Stromproduktion in der Wattenregion"…Zusätzlich ist eine vernetzte Planung eine notwendige Voraussetzung, um alle nötigen Maßnahmen im Hinblick auf den Einsatz der besten verfügbaren Umwelttechnologie sowie die Minimierung der Umweltauswirkungen durchzuführen".

Wie wahr. Nur wird verschwiegen, dass die bisher installierte Windenergieleistung z.B. in Ostfriesland zwar gelegentlich und völlig unvorhersehbar viel Strom produzieren kann, der aber nicht "on demand" dem Verbraucher zur Verfügung steht; Wärmekraftwerke müssen stets im "stand by-Betrieb" mitlaufen, um die Leitungsstabilität zu gewährleisten; zudem "leistet" die Windkraft in Ostfriesland durch den unsteten Wind gemessen an möglichen 8760 Jahresstunden gerade mal 16,03 Prozent im Jahr etwas, aber eben völlig unregelmäßig. Diese sehr geringe Auslastung lässt sich nach den vorgelegten Zahlen der IHK für Ostfriesland und Papenburg einfach nachrechnen. An 14 Standorten in Ostfriesland wurden sog. Wind"parks" in Important Bird Areas errichtet, in wichtigen Vogellebensräumen also, die vom Land aus wirtschaftlichen Gründen entgegen der EU-Vogelschutzrichtlinie nicht nach Brüssel gemeldet wurden. Eine vom Wattenmeerforum geforderte "Minimierung von Umweltauswirkungen" durch Windkraftanlagen hat es also nie gegeben, im Gegenteil.

Es ist anzuerkennen, dass das Wattenmeerforum sich kritisch und ablehnend zum Bau von Offshore Wind"parks" innerhalb der 12 Seemeilen-Zone äußert; allerdings findet sich eine bemerkenswerte Aussagen zu den geplanten riesigen Offshore-Windturbinenfelder außerhalb der 12-Seemeilen-Zone: "Bau von Offshore Windparks nur außerhalb der 12 sm Zone".

Hier wird die viel zitierte "NIMBY"-Einstellung ("Not in my back yard" ) des Wattenmeerforums deutlich. Auch jenseits des Sichtweite von der Küste können sich diese Wind"parks" erheblich auf den Vogelzug auswirken das Kollisionsrisiko mit Seeschiffen erhöhen. Diese Anlagen werden nicht deshalb umweltverträglicher, nur weil sie jenseits des Horizonts , also "aus den Augen, aus dem Sinn", liegen. Die terrestrischen Auswirkungen der Riesen-Turbinenfelder werden derzeit gerade heftig in den Küsten-Kommunen diskutiert , weil riesige neue Hochspannungstrassen für 380 kV-Leitungen für die Offshore-Anlagen nötig werden, die man nicht unterirdisch verlegen kann und die das Landschaftsbild noch mehr beeinträchtigen werden.

Vergleicht man diese Forderungen mit der "Ministererklärung der sechsten Trilateralen Regierungskonferenz zum Schutz des Wattenmeeres" am 13. November 1991 in Esbjerg, wird der Paradigmenwechsel vollends deutlich: In "Energiereserven" und "Windenergie" wurde damals festgehalten: "11.1 verbieten sie den Bau von Windkraftanlagen im Wattenmeer auf der dem Meer zugewandten Seite der Deiche und der Küste; 11.2 berücksichtigen Sie beim Bau von Windenergieanlagen auf den Inseln und in einer an das Wattenmeer angrenzenden Zone im Rahmen von Einzelfallprüfungen insbesondere den Erhalt und den Schutz des Gesamtcharakters des Wattenmeeres hinsichtlich Ökologie und landschaftlicher Schönheit."

Heute hat die Planung von Windturbinenfeldern im Wattenmeer knapp außerhalb der Nationalparkgrenzen bei Borkum ("Riffgat") und Wangerooge ("Nordergründe") ganz konkrete Dimensionen angenommen. Mit politischem Druck und trickreicher Einflussnahme der niedersächsischen Landesregierung auf die Staatliche Vogelschutzwarte und die Autoren wurden bestehende kritische Vogelschutzgutachten im Oktober 2004 nachträglich so abgeändert und die Planungsgrenzen in faktischen Vogelschutzgebieten so verschoben, dass die Planung für Betreiber und deren politische Wegbereiter im Lande Niedersachsen "passte", ein Skandal. Auf dem Festland ist Ostfriesland nach dem großflächigen Zubau mit Windenergieanlagen der vergangenen 15 Jahre landschaftlich kaum wieder zu erkennen. Die Ministererklärung von Esbjerg hat offensichtlich niemanden der Planer und Genehmigungsbehörden beeindruckt, genau wie heute FFH- und Vogelschutzrichtlinie weitgehend unbeachtet bleiben. Für die Planungen im Wattenbereich kann man die regionalen Protagonisten des Wattenmeerforums zweifellos nicht verantwortlich machen, hiergegen gibt es erheblichen Widerstand. Anders sieht es aber bei den küstennahen Wind"parks" im Binnenland aus.

In mehreren Landkreisen, und gerade im Landkreis Aurich, in dem der Anlagenhersteller Enercon produziert, wurden Windkraftanlagen an umstrittenen Standorten sehr großzügig genehmigt. Der Hauptverwaltungsbeamte dieses Landkreises ist Walter Theuerkauf (SPD), der auch als Mitarbeiter für die Regionen in Niedersachsen beim "Wattenmeerforum" aufgeführt ist. Theuerkauf ist gleichzeitig Vorsitzender des Nationalparkbeirates des Nationalparks Niedersächsisches Wattenmeer. In dieser Position hat sich Theuerkauf zusammen mit der Mehrheit dieses fast ausschließlichen Nutzergremiums aus Tourismus, Landwirtschaft, Fischerei, Wirtschaft und Sport (und zwei Vertretern des Naturschutzes) stets gegen inhaltliche Naturschutzverbesserungen im Nationalpark ausgesprochen, dafür aber vehement für die Aufnahme des Watttenmeeres als UNESCO- Naturerbe geworben, allerdings ausschließlich unter Marketinggesichtspunkten für die Tourismusindustrie.

Wo bleibt also der echte fachliche Naturschutz, der noch vor zehn Jahren dominierend in der Wattenmeerdiskussion war und nun offenkundig (fast) verstummt ist?

Die vorher erwähnten Naturschutzvertreter aus Deutschland haben es sichtbar nicht erreicht, ihre Position in der Veröffentlichung des Wattenmeerforums unterzubringen. Bereits das ist als ein unverhohlener Affront dieses Gremiums gegen den organisierten Naturschutz zu werten und zeigt auch hier den Paradigmenwechsel vom Schutz zum inflationär gebrauchten Begriff "nachhaltige Nutzung" als modischer, aber inzwischen inhaltsleerer Nachhall einer erst seit kurzem vergangenen ökologischen und fachlichen Betrachtungsweise.

Die Naturschutzvertreter hätten lediglich ihre jahrelang erhobenen Forderungen, die in mehreren gemeinsamen Nationalpark-"Bilanzen" verschiedener Naturschutzverbände unter der Federführung des WWF (damals Holger Wesemüller) stets mit großer Pressebegleitung veröffentlicht wurden, in das Wattenmeerforum einbinden müssen. Diese detaillierten naturschutzfachlichen Forderungen beinhalteten z.B. Aussagen zur Zonierung, zur Aufsicht durch Ranger, zum Nationalpark-Beirat und den Nutzungskonflikten mit dem Tourismus, dem Küstenschutz, der Jagd oder der Fischerei.

Diese Einbindung ihrer eigenen Positionen ist ihnen nicht gelungen, eine Rücksprache und Abstimmung mit den Mitgliedern der vor Jahren noch sehr aktiven "AG-Nationalpark" der Umweltverbände, Tagungsort in Bremen beim WWF, und der Mitautoren der Nationalpark-Bilanzen fand nie statt. Die nach wie vor brennenden Nutzungskonflikte werden vom Wattenmeerforum inhaltlich nicht mehr thematisiert; die Entwicklung des Wattenraumes ist aber ohne den weit reichenden Gesichtspunkt "Naturschutz" gar nicht vorstellbar. Die Vertreter des Naturschutzes müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, nun mit der Veröffentlichung und den darin skizzierten Nutzungszielen des Wattenmeerforums identifiziert zu werden, auch wenn in kleinen Fußnoten der Veröffentlichung an wenigen Stellen Dissens mit dem Naturschutz sichtbar wird, z.B. beim Ausbau der Autobahn A1 oder der Gas- und Ölexploration im Wattenmeer.

Wenn erkennbar war, dass der Naturschutz seine Positionen in diesem Forum nicht annähernd angemessen artikulieren konnte, hätten seine Vertreter dieses Forum verlassen und zurückkehren müssen zu einer eigenständigen Strategie, die derzeit allerdings nicht mehr wahrnehmbar ist.

Fachliche Naturschutzinteressen im Wattenmeer werden durch die anerkannten Naturschutzverbände, davon allein 13 in Niedersachsen, kaum noch geäußert. Dabei haben die Nutzungskonflikte in Niedersachsen seit der Novellierung des Nationalparkgesetzes 2001 mit der Herausnahme von ca. 90 Flächen aus dem Geltungsbereich des Nationalparks für die touristische Nutzung dramatisch zugenommen. Dies ist Gegenstand einer EU-Beschwerde, die vom Wattenrat eingereicht wurde.

Die Gelegenheit, diesen Zerfall zumindest deutlich zu artikulieren, wurde versäumt.

Für dieses Versagen sind die Naturschutzvertreter verantwortlich. Sie wurden zunächst das Opfer einer geschickten Umarmungsstrategie, die sie schließlich erdrückte. Jahrelang speisten sie mit langen Löffeln am Tische der großen Nutzer und der politischen Akteure, verloren dabei die gesetzliche Geschäftsgrundlage des Wattenmeerschutzes aus den Augen und wurden schließlich selber gefressen.

Manfred Knake
Reiner Schopf

Beide Unterzeichner haben jahrelang in der "AG-Nationalpark" der Naturschutzverbände mitgearbeitet und waren an der Erstellung der Verbände-Nationalpark-Bilanzen beteiligt. Knake war 5 Jahre lang Mitglied des Nationalparkbeirates und 20 Jahre lang Landschaftswart im LK Aurich, Schopf war mehr als 30 Jahre lang Vogelwart auf der Insel Memmert und gleichzeitig hauptamtlicher Nationalparkwächter.

 
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