Wattenrat

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Startseite > Aktuelles > Artikel Nr. 81 (14.10.2004)

Schutzgebiet Leybucht - Landkreis Aurich

Trotz Planfeststellungsbeschluss neue Begehrlichkeiten am Ostdeich

Nach Jahren der Ruhe entstehen wieder touristische Nutzungsbegehrlichkeiten im Naturschutzgebiet Leyhörn und an der Schutzfläche "Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer", trotz eines rechtsgültigen Planfeststellungsbeschlusses und eines Urteils des Europäischen Gerichtshofes, der die Baumaßnhame Leybucht ausschließlich für Küstenschutzzwecke zuließ. Der niedersächsische Umweltminister Sander (FDP), bekannt dafür, Naturschutzgebiete für den Tourismus öffnen zu wollen, ist wieder mit in vorderster Linie dabei. Unterstützt wird er nach Zeitungsmeldungen dabei auch von einer Mitarbeiterin des Niedersächsischen Landesbetriebes für Wasserwirtschaft und Küstenschutz (NLWK), der demnächst, wenn das Niedersächsische Landesamt für Ökologie aufgelöst wird, den Naturschutzteil übernehmen soll. Welche Aussichten für den Naturschutz an der Küste!

Wir zitieren aus der Ostfriesen Zeitung und lassen Ulrich Filbrandt, Verfasser des Landschaftspflegerischen Begleitsplanes zur Leybucht, zu Wort kommen. Dazu gibt es eine Pressemitteilung des Wattenrates unter "Presse".

Ostfriesen-Zeitung 14.10.2004 (S. A 27)

Minister setzt sich für Öffnung des Ostdeiches ein

LEYBUCHT -- Hans-Heinrich Sander hält eine versuchsweise und zeitlich begrenzte Freigabe am Leyhörn für möglich

Das Betretungsverbot ist seit Jahren umstritten. Es soll ein Kompromiss gefunden werden.

GREETSIEL / MÜ - Der niedersächsische Umweltminister Hans-Heinrich Sander (FDP) will sich dafür einsetzen, dass der östliche Deich der Leybuchtnase für Radfahrer und Spaziergänger versuchsweise und zeitlich begrenzt geöffnet wird. Das kündigte er vorgestern bei einem Besuch an der Leybucht an.

Der östliche Deich darf derzeit nicht betreten werden. Das regelt die Verordnung für das Naturschutzgebiet Leyhörn. Das Verbot ist seit Jahren umstritten. Viele Krummhörner fühlen sich ausgegrenzt. Die Gemeinde und die Tourismusbranche plädieren ebenfalls für die Freigabe, zumal damit ein Rundweg geschaffen werden würde.

Eine begrenzte Öffnung des Deiches ist nach Auffassung von Sander und der Leiterin des Niedersächsischen Landesbetriebs für Wasserwirtschaft und Küstenschutz (NLWK), Anne Rickmeyer, aber nicht ohne Beteiligung der Naturschützer möglich. "Es kann nur einen Kompromiss geben", sagte Sander. Er regte Gespräche aller Beteiligten über mögliche Lockerungen des Naturschutzes in und an der Leybuchtnase an. Der Planfeststellungsbeschluss für das Leyhörn-Gebiet sei zunächst bindend. Sander: "Wenn es aber Dinge gibt, die vor drei bis zehn Jahren festgelegt wurden, aber nicht praxistauglich sind, müssen wir da ran." Der Minister ist grundsätzlich dafür, Natur-Tourismus stärker in den Vordergrund zu stellen. Naturschutz habe zwar "absoluten Vorrang", dürfe "aber nicht als Keule benutzt werden, um andere Ziele zu erreichen".

Gegen die Freigabe des Ostdeiches ist Oberdeichrichter Giesbert Wiltfang. Gewisse Beschränkungen müssten in Kauf genommen werden. Es könne nicht sein, dass man ein Jahr nach Abschluss des Leybucht-Projektes nicht mehr zu den Abmachungen stehe, die mit den Naturschützern getroffen worden seien. "Dann wird man völlig unglaubwürdig", warnte der Oberdeichrichter.

Ostfriesen-Zeitung 16.10.2004 (S. A 31)

"Gretchen" soll anlegen dürfen NATURSCHUTZ -- Landesbetrieb hat keine Bedenken gegen Stopps am Leysiel

Die täglichen Schleusungen des Ausflugsschiffes verursachen nur Kosten. Das erklärt Behördenchefin Anne Rickmeyer.

VON HEIKO MÜLLER

GREETSIEL - In der Leybucht stellt sich die "Gretchen"-Frage: Es geht darum, ob das Ausflugsschiff "Gretchen" am Sperrwerk Leysiel anlegen darf oder nicht. Bislang verbietet das die Verordnung für das Naturschutzgebiet Leyhörn innerhalb der so genannten Leybuchtnase. Sie untersagt auch jede touristische Nutzung des Leysiels. Das soll sich ändern.

Nach Angaben der Leiterin des Niedersächsischen Landesbetriebs für Wasserwirtschaft und Küstenschutz (NLWK), Anne Rickmeyer, schreibt die Verordnung vor, dass Schiffe das Naturschutzgebiet Leyhörn nur durchfahren dürfen. Für die "Gretchen" bedeutet das, dass sie bei jeder Rundfahrt durch die Schleuse und zurück muss. Durch die Schleusungen fallen für den NLWK aber zusätzliche Kosten an. Schon aus diesem Grund hat Rickmeyer keine Bedenken, den vorhandenen Betriebsanleger am Leysiel für das Ausflugsschiff zu öffnen.

Das sieht auch der niedersächsische Umweltminister Hans-Heinrich Sander (FDP) so. So wie es jetzt laufe, sei es "nicht gewollt und auch nicht nachvollziehbar", sagte er diese Woche bei einem Besuch an der Leybucht.

Die Öffnung der Anlegestelle für die "Gretchen" steht auf der Liste von Wünschen zur behutsamen Lockerung des Naturschutzes am Leyhörn, die FDP-Kreisvorsitzender Hanno Kunz (Pilsum) dem Minister vortrug. Kunz hat dabei einen Hintergedanken: Wenn das Ausflugsschiff am Leysiel festmachen darf, könnte es auch als Zubringer zur Natur-Badestelle am Westdeich der Leybuchtnase genutzt werden. Das wünschen sich die Gemeinde Krummhörn und der Fremdenverkehrsverein Greetsiel.

Die im Jahr 2001 aufgespülte Badestelle liegt weit außerhalb des Dorfes Greetsiel. Hin kommt man bislang nur mit dem Fahrrad oder zu Fuß über die Straße, die vom Parkplatz am Pilsumer Leuchtturm Binnendeichs zum Leysiel führt.

Gemeinde Krummhörn, Fremdenverkehrsbranche und Parteien sind sich einig, dass die Badestelle für den Tourismus weiter entwickelt und besser erschlossen werden muss. Es liegt unter anderem der Vorschlag auf dem Tisch, Elektrofahrzeuge oder Pferdekutschen verkehren zu lassen. In dem Fall müssten auch Sanitäranlagen gebaut werden. Das würde einen Konflikt mit den Naturschützern bedeuten. Denn nach der Schutzgebietsverordnung sind dort keine festen baulichen Anlagen zulässig.

Die nachfolgende Stellungnahme von Ulrich Filbrandt, der vor Jahren den "Landschaftspflegerischen Begleitplan" für die Leybucht erstellte und auch als Leiter der damaligen Regionalgeschäftsstelle in Aurich des NABU (bis 1996) wesentlichen Einfluss auf die naturschutzfachliche Begleitung der umstrittenen Deichbaumaßnahme genommen hat, wird den Redaktionen zur Kenntnis und ggf. zur redaktionellen Bearbeitung übersandt. Als Leserbrief ist seine Stellungnahme sicher zu lang. Gerade wegen des entwicklungsgeschichtlichen Hintergrundes bedarf der Vorstoß der FDP und die offensichtliche Unterstützung des NLWK zur touristischen Nutzung einer fachlichen Kommentierung.

Ulrich Filbrandt, Aurich:

Wenn sich ein Umweltminister zu einem der sensibelsten Naturschutzgebiete an der Nordseeküste äußert, dann sollte man Zuspruch und Unterstützung erwarten. Nicht so in Niedersachsen. Hier stellt der Minister offenbar Errungenschaften in Frage, die das Ergebnis langwieriger Verhandlungen waren und heute gesetzlich oder per Verordnung verankert sind. Diesen Ambitionen, katalysiert durch Krummhörner Kommunalpolitik, muß jeder widersprechen, der die Geschichte des Gebietes kennt. Andernfalls setzt sich hier eine Entwicklung fort, die in Petkum ihren unrühmlichen Einstand gefeiert hat.

Der fragliche Ostdeich ist Teil eines der spektakulärsten Deichbauvorhaben in Deutschland. Nach dem "Generalplan Küstenschutz" (1973) sollte die 3.000 ha große Leybucht ursprünglich komplett eingedeicht werden. Unter dem Protest von Wissenschaftlern und damals noch aktiven Naturschutzverbänden rückte das Land von der geplanten Volleindeichung ab. Trotzdem verschwanden am Ende 740 Hektar Watt, Vorland und Sommerpolder hinter dem neuen Deich. Dessen prominentester Abschnitt, das Leyhörn, ragt heute als "Nase" weit in die Nordsee hinaus.

Die eigentliche Leybucht gehört seit 1986 als Ruhezone zum Nationalpark "Niedersächsisches Wattenmeer". Als dann vor 10 Jahren die Ausweisung des Leyhörns als Naturschutzgebiet bevorstand, wurde die Deichstrecke zwischen dem Leysiel und der Klappbrücke bei Greetsiel - der Ostdeich - ausdrücklich mit einbezogen, "um eine nicht durch äußere Störungen und Beeinträchtigungen beeinflußte, nahtlose Vernetzung zwischen der Ruhezone I des Nationalparkes "Niedersächsisches Wattenmeer" und dem geplanten Naturschutzgebiet und damit zwischen zwei unterschiedlichen, jedoch in engerem Wechselbezug stehenden Ökosystembereichen zu gewährleisten". Damit erfüllte die Bezirksregierung Weser-Ems nicht nur einen Kompensationsauftrag. Sie entsprach auch dem einschlägigen Urteil des Europäischen Gerichtshofes. Dieser hatte 1991 am Beispiel der Leybucht verdeutlicht, daß für die Verkleinerung eines besonderen Schutzgebietes im Sinne der EU-Vogelschutzrichtlinie "wirtschaftliche und freizeitbedingte Erfordernisse nicht in Betracht kommen" können. Im konkreten Fall wertete das Gericht die Stillegung der Schiffahrtswege in der eigentlichen Leybucht, die dort einkehrende "völlige Ruhe" und die "strengen Schutzvorschriften für das Leyhörngebiet" jedoch als ausreichende ökologische Kompensation des Eingriffs. Nur deshalb durfte die Maßnahme, die weit mehr als nur dem Schutz der Küste diente, überhaupt weitergeführt werden.

Das Projekt "Küstenschutz Leybucht" brachte für Natur und Landschaft an der Leybucht erhebliche Beeinträchtigungen, die weder zu vermeiden noch auszugleichen waren. Naturschutzrechtlich blieb damit das Instrument der Ersatzmaßnahmen, um die zerstörten Funktionen oder Werte zu kompensieren. Das bedeutete vor allem, mit der restlichen Substanz behutsam umzugehen. Anderweitige Begehrlichkeiten vor Augen führte der Planfeststellungsabeschluß "Küstenschutz Leybucht" 1985 aus: "Dabei gilt insbesondere hinsichtlich der Belange des Fremdenverkehrs und der Erholung, daß sie die Situationsgebundenheit der Leybucht für den Naturschutz anzuerkennen haben und sich daraus natürliche Beschränkungen und auch Entwicklungsgrenzen auf diesen Gebieten ergeben. Die Gemeinde Krummhörn und der Fremdenverkehrsverein Greetsiel haben dies ausdrücklich gebilligt".

Soweit so gut, könnte man meinen. Doch mit schöner Regelmäßigkeit kommt in der Krummhörn ein Katalog mit Fremdenverkehrswünschen auf den Tisch. Der ist zwar nicht neu, aber offensichtlich immer dann zur Hand, wenn in Hannover die Personalien wechseln. Die Forderung nach Öffnung des Ostdeiches ist also bekannt und ebenso alt wie die Planung des Leyhörns. Das gleiche gilt übrigens für die Badestelle am Westdeich. Sie wurde allerdings trotz strenger Schutzbestimmungen per (geändertem) Nationalpark-Gesetz schon aus der Ruhezone herausgenommen. Jetzt soll sie - ein weiterer Wunsch umtriebiger Lokalpolitiker - mit Zubringerverkehr und sanitären Einrichtungen erschlossen werden. Fischimbiß und Eisverkäufer wären dann nur noch eine Frage der Zeit.

Eine planerische oder gesetzliche Grundlage gibt es allerdings für keinen dieser Vorstöße. Dahingestellt sei auch, wem die Öffnung des Ostdeiches überhaupt nützen soll. Nach eigener Beobachtung sucht der Großteil der Besucher am Parkplatz Leyhörn eher den schnellen Blick über den Deich oder beginnt dort seinen Spaziergang zum Pilsumer Leuchtturm. Weit weniger wagen den langen Marsch zum Leysiel und zurück. Auch Fahrradfahrer scheinen zufrieden, wenn sich auf Hin- und Rückweg unterschiedliche Pisten wählen können - die Straße zum Leysiel oder die asphaltierte seeseitige Deichberme. (Nicht wenige dürften froh sein, bei Sturm und Gegenwind ihren Ausgangspunkt am Parkplatz nach wenigen Kilometern wieder erreicht zu haben.) Das Ziel ist in jedem Fall das Leysiel, und daran würde sich auch nichts ändern, wäre der Ostdeich offen. Somit besteht auch aus touristischer Sicht keine Notwendigkeit, eine weitere Deichstrecke an der Leybucht zu öffnen. Wer längere Radtouren bevorzugt, findet dafür in Ostfriesland genügend Alternativen und ein gut ausgebautes Radwegenetz. Im übrigen hat die Gemeinde mit der Badestelle am Westdeich schon Konzessionen erreicht, die in der Nationalparkverordnung aus gutem Grund nicht vorgesehen waren.

Der Naturschutz hat an der Leybucht durch die Eindeichung weitreichende Einschnitte hinnehmen müssen. Er lebt heute mit vielen Kompromissen. Für weitere Zugeständnisse gibt es keinen Anlaß, auch nicht den Wunschzettel von Parteigenossen. Sein gespaltenes Verhältnis zum Naturschutz hat dem niedersächsischen Umweltminister erst kürzlich den Unmut aus Bonn und Brüssel eingebracht. Sollte er jetzt am Schutz der ohnehin strapazierten Leybucht rütteln, sind weitere Konflikte vorgezeichnet.

 
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