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Prof. Rullkötter und der Zustand des Wattenmeeres  

Wenn Professoren unerforschtes Gebiet betreten, nicht alles entschlüsseln, aber dennoch feststellen, dass das System vom Menschen nicht beeinflusst wird

Nun wird wieder mit öffentlichen Mitteln im Wattenmeer bei Spiekeroog geforscht. "Zudem haben wir festgestellt, dass das System im Wesentlichen naturgesteuert ist und nicht vom Menschen beeinflusst wird", so die Aussage von Prof. Rullkötter vom Institut für Chemie und Biologie des Meeres an der Universität Oldenburg. Die Tagespresse, und nicht nur die regionale, nahm die beruhigenden Worte des Akademikers dankbar auf.

Aus diesem Grunde wurde ein Brief an Herrn Prof. Rullkötter geschrieben, der aber nicht beantwortet wurde.

 

Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Rullkötter,

in der ostfriesischen Lokalpresse erscheint Ihr Name in den letzten Wochen wiederholt im Zusammenhang mit Ihren Untersuchungen im Wattenmeer bei Spiekeroog. Sie äußern sich auch zu Schutzzonen im Wattenmeer und werden so zitiert, dass Sie die Schutzvorschriften im Wattenmeer "für ausreichend" halten.

Ihrer Vita entnehme ich, dass Sie an molekularen Fossilien in Tiefseesedimenten gearbeitet haben, sich mit bio-geochemischen Prozessen im Wattenmeer beschäftigen und an einem mathematischen Ökosystem-Modell für das Wattenmeer arbeiten.

Ich vermute, dass Sie mit den Schutzvorschriften für das Wattenmeer, insbesondere der Europäischen Vogelschutzrichtlinie und der Flora-Fauna-Habitatrichtlinie (Natura-2000) und der Novellierung des Nationalparkgesetzes Niedersächsisches Wattenmeer nicht besonders vertraut sind.

Es ist zweifellos keinesfalls so, dass "Schutzzonen ausgeweitet" wurden und spürbare "Beschränkungen für den Tourismus und die Fischerei" bestehen, mit Ausnahme der Einstellung der Herzmuschelfischerei. Auch vor der Einrichtung des Nationalparks gab es Naturschutz- oder Landschaftsschutzgebiete mit z.T. wesentlich strengeren Schutzvorschriften als im heutigen Nationalpark Nieders. Wattenmeer.

Mit der politisch brachial durchgesetzten Novellierung des Nationalparkgesetzes vom 01. August 2001 ist man ausschließlich den Wünschen der Tourismusindustrie auf den Inseln und auf dem Festland entgegengekommen, unter Beschneidung und Verkleinerung von bestehenden Natura-2000-Gebieten und der Zulassung von zusätzlichen Nutzungen.

Dies führte zu einer sehr umfangreichen Beschwerde des Wattenrates-Ostfriesland, den ich koordiniere, bei der Europäischen Kommission, die die Beschwerde annahm und derzeit bearbeitet. Es handelt sich dabei um ca. 90 Gebiete im Nationalpark, überwiegend auf den Inseln.

Ich kann auch nicht erkennen, dass die Schutzvorschriften "ausreichend" sind, um das Wattenmeer "in gesundem Zustand zu erhalten"; dafür ist das Nationalparkgesetz überhaupt nicht das geeignete Instrument. Möglicherweise meinen Sie andere Vorschriften, die dann aber näher bezeichnet werden sollten.

Vor dem Hintergrund des Eiderentensterben, der Seehund-Epidemie, der Überfischung und der Eutrophierung des Wattenmeeres (gerade haben wir wieder einmal eine Algenexplosion im Watt), der ständigen Unruhe durch den Massentourismus in den Brut- und Rastgebieten oder den gigantischen Wind"park"-Planungen kann von einem "gesunden Zustand" überhaupt keine Rede sein. Ca. 280.000 ha Nationalparkfläche werden von gerade mal 7 hauptamtlichen Nationalparkwächtern und 15 Zivildienstleistenden "überwacht", beide Gruppen verfügen weder über Kompetenzen noch Fahrzeuge. Dem steht ein Heer von 13 Millionen registrierten Übernachtungen an der ostfriesischen Küste entgegen, erfasst werden nur Häuser ab 9 Betten, die Zahl ist also wesentlich höher; dazu kommen Legionen von Tagesgästen.

Ihre missverständlichen Aussagen werden offenbar dankbar von der regionalen Tagespresse aufgenommen, um das Bild der endlich akademisch attestierten heilen Wattenwelt als Kulisse für einen ungezügelten Massentourismus sedierend und umsatzfördernd zu transportieren.

Vor einigen Jahren, als "Ökologie" noch kein Schimpfwort war, gab es noch wesentlich differenziertere Aussagen zum Zustand des Wattenmeeres; ich erinnere an das Sondergutachten vom Juni 1980 des Rates von Sachverständigen für Umweltfragen "Umweltprobleme der Nordsee", das in vielen Teilen bis heutige traurige Gültigkeit hat; und ich erinnere an das 1994 erschienene Buch "Warnsignale aus dem Wattenmeer".

Ganz aktuell sind die Untersuchungen des Alfred-Wegener-Instituts in Bremerhaven zu Spätfolgen der Elbeflut des vergangenen Jahres im nördlichen Wattenmeer, ablesbar an Insektiziden in Muscheln und Flundern. Man darf gespannt sein, ob die Lokalpresse diese Belastungen vor der beginnenden Muschelsaison in die Öffentlichkeit bringt oder sie einfach verschweigt oder, zeitgeistgerecht, ganz einfach wieder schön schreibt.

Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie ebenfalls mehr auf eine Differenzierung Ihrer Aussagen Wert legten, um sich nicht dem Vorwurf der Schönrednerei auszusetzen. Ich rege abschließend an, einmal unsere Web-Seite aufzurufen.

Mit freundlichem Gruß

Ihr

Manfred Knake

 

Ostfriesen-Zeitung 02.08.2003 (S. 13)

Untersuchung ist Basis für Schutz des Wattenmeers

NEUHARLINGERSIEL - Die Untersuchungen, die kürzlich im Wattenmeer bei Spiekeroog durchgeführt wurden (die OZ berichtete), können nach Einschätzung von Professor Dr. Jürgen Rullkötter später Basis für die Beurteilung von Schutzmaßnahmen sein. Er ist Leitet des Projekts "Bio-Geo-Chemie des Watts", dem Wissenschaftler mehrerer Institute angehören. Die Einrichtung des Nationalparks Niedersächsisches Wattenmeer habe Einschränkungen für den Tourismus und Fischerei mit sich gebracht. Schutzzonen für Vögel seien ausgeweitet worden. Die derzeitigen Schutzvorschriften hält Rullkötter für ausreichend, um das Wattenmeer in gesundem Zustand zu erhalten. Die Untersuchungen würden die Kenntnisse über die Abläufe im Wattenmeer erweitern und könnten als wissenschaftliche Basis für den Schutz des Wattenmeeres dienen.

 

Sächsische Zeitung Montag, 4. August 2003

URL: http://www.sz-online.de/nachrichten/artikel.asp?id=508698

Exoten im Schlickboden Physiker, Chemiker, Biologen und Mathematiker untersuchen das Watt
Ökosystem weitgehend intakt


Von Normann Berg

Zwischen den Inseln Spiekerooge und Langeooge wurde im vergangen Jahr eine Messstation zur Untersuchung des Wattgebiets installiert. Foto: ddp

Beäugt von Touristen und Fischern gingen vergangene Woche rund 40 Forscher dem Wattboden an der ostfriesischen Nordseeküste auf den Grund.

Während die Wissenschaftler in dem empfindlichen Ökosystem buddeln und messen, fahren die Passagierfähren und Fischerboote zwischen Neuharlingersiel und der Insel Spiekeroog an ihnen vorbei. Die Mitglieder der Forschergruppe BioGeoChemie des Watts lassen sich davon nicht ablenken. Endlich haben sie die Chance, ihre seit drei Jahren oftmals in der Theorie gesammelten Daten praktisch abzugleichen.

"Wir betreten hier zum Teil unerforschtes Gebiet", sagt Jürgen Rullkötter vom Institut für Chemie und Biologie des Meeres an der Universität Oldenburg, der das Projekt leitet. Trotz aller naturwissenschaftlichen Unbekannten wagt sich der Biologe in einer ersten Einschätzung weit vor: "Nach meinem Eindruck müssen keine großen Maßnahmen ergriffen werden, um dieses Ökosystem zu schützen", sagt er. Voraussetzung sei jedoch, dass die Abwässer der menschlichen Zivilisation weiterhin ordnungsgemäß geklärt, der Fischfang reguliert wird und Vogelschutzgebiete in ausreichender Zahl ausgewiesen werden.

"Teile des Watts konnten wir entschlüsseln. Mehr ging noch nicht", sagt der Wissenschaftler. "Zudem haben wir festgestellt, dass das System im Wesentlichen naturgesteuert ist und nicht vom Menschen beeinflusst wird", betont Rullkötter.

Rund ein halbes Prozent lebende Biomasse

Vor drei Jahren machte sich die aus insgesamt 70 Physikern, Chemikern, Biologen und Mathematikern bestehende Forschergruppe an die Arbeit. Ziel ist es, die Lebensabläufe im Watt zu erkennen und zu verstehen. Mit drei Millionen Euro vom Land Niedersachsen und der Deutschen Forschungsgemeinschaft ausgestattet, ließ das Team zunächst ein 40 Meter langes Rohr in den Meeresboden vor Spiekeroog rammen und darauf eine Forschungsstation errichten. Unter Wasser werden die Sedimente analysiert. Auch Salz- und Sauerstoffgehalt sowie Wassergeschwindigkeit und Temperatur des Wattenmeers werden gemessen.

Im Mittelpunkt des Forschungsprojekts stehen die Kleinstlebewesen des Watts. Mittlerweile wissen die Forscher, dass rund 0,5 Prozent des Schlickbodens aus lebender Biomasse bestehen. Vieles ist aber immer noch unbekannt, beispielsweise die Nahrungsquelle. Der benötigte Kohlenstoff stammt entweder aus Torfablagerungen in den Prielen oder dem Porenwasser der Sedimente. "Manche Bakterien im tiefer gelegenen Watt sind für uns so exotisch wie ihre Verwandten in den heißen Quellen des Yellowstone-Nationalparks", sagt Rullkötter.

Im Wesentlichen naturgesteuert

An der dreitägigen Tag-und-Nacht-Aktion in der vergangenen Woche zwischen Neuharlingersiel und Spiekeroog nahmen nun fünf Forschungseinrichtungen aus Oldenburg, Wilhelmshaven, Bremen und Geesthacht mit sechs Schiffen und einem Flugzeug teil. Die konzertierte Messkampagne ist bisher einmalig an der deutschen Küste. Die Geräte wurden geeicht und die bisherigen Daten abgeglichen, um sie dann online in das Oldenburger Universitätszentrum zu senden, wo die Mathematiker ein Ökosystemmodell entwickeln.

Das Forschungsprojekt ist auf insgesamt sechs Jahre ausgelegt. Im November wird in Hannover entschieden, ob auch die zweite "Halbzeit" mit weiteren 2,5 Millionen Euro finanziert wird. Rullkötter ist guter Dinge, dass das Vorhaben fortgesetzt werden kann. "Teile des Watts konnten wir entschlüsseln. Mehr ging noch nicht", sagt der Wissenschaftler. "Zudem haben wir festgestellt, dass das System im Wesentlichen naturgesteuert ist und nicht vom Menschen beeinflusst wird", betont Rullkötter.

Als Untermauerung dieser These führt er den Bau der Gasleitung Europipe an. Nur ein Jahr nach den Arbeiten habe sich das Wattenmeer bereits wieder regeneriert. (ddp)

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