Wattenrat

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Startseite > Aktuelles > Artikel Nr. 262 (Dezember 2007)

Bundestag novelliert Artenschutzrecht: zum Nachteil der Arten

Windkraftbranche frohlockt

Der Bundestag hat einen Teil des Bundesnaturschutzgesetzes hinsichtlich der artenschutzrechlichen Vorschriften novelliert,eindeutig zum Nachteil vieler Arten. Naturnutzer sind in Feierlaune, ganz oben an der Bundesverband Windenergie, der schon mit einem Seminar frohlockt, denn das neue Artenschutzrecht soll angeblich WKA-Bauvorhaben "beschleunigen" helfen: (Siehe Faltblatt, pdf-Datei, ca. 172 KB): "Wie können Sie Ihre laufenden und geplanten Vorhaben trotz Widerstand erfolgreich angehen und durchsetzen?"

Das Geschmäckle am Seminar:

Referent ist u.a. Günther Ratzbor vom Planungsbüro Schmal und Ratzbor in Lehrte, bekannt u.a. für die unsägliche Windparkplanung im faktischen Vogelschutzgebiet "Wybelsumer Polder" bei Emden (siehe "'Blauer Brief' aus Brüssel"), die es (fast) bis vor den Europäischen Gerichtshof geschafft hätte, wäre da nicht die Politik dazwischengekommen. Herr Ratzbor firmiert auch für den "Deutschen Naturschutzring" (DNR) als Leiter der DNR-Infokampagne "Windkraft im Visier", eher eine Desinformationskampagne des organisierten Naturschutzes(!) zum Schönsehen der Windkraft. 2. Platz des damit verbundenen Fotowettbewerbs: 1 Windkraftanlage aus Emden!

Den nachfolgenden Beitrag zum Artenschutzrecht und das Bild der toten Schleiereule entnahmen wir mit freundlicher Genehmigung der "Gesellschaft zur Erhaltung der Eulen e.V." von deren WebSeite.

Tote Schleiereule

Am 24. Oktober 2007 hat der deutsche Bundestag einen Teil der artenschutzrechtlichen Vorschriften des Bundesnaturschutzgesetzes novelliert. Es ist dies die so genannte "kleine Novelle". Sie tritt voraussichtlich noch in diesem Jahr in Kraft. Die Novellierung war notwendig geworden, weil sich Deutschland im Bundesnaturschutzgesetz jahrelang mehr Ausnahmen von den Schädigungs- und Störungsverboten herausgenommen hatte, als das Gemeinschaftsrechtsrecht (d. h. die EG-Vogelschutzrichtlinie von 1979 und die FFH-Richtlinie von 1992) erlaubt. Deshalb war Deutschland am 10. Januar 2006 vom Europäischen Gerichtshof verurteilt worden (Urteil des EuGH in der Rechtssache C-98/03 1). Die EGE berichtete über Verurteilung und Novellierungsbestrebungen in den letzten Monaten mehrfach auf dieser Seite.

Was hat der Bundestag beschlossen?

Die artenschutzrechtlichen Zugriffsverbote sind in § 42 Abs. 1 des Bundesnaturschutzgesetzes neu formuliert worden (sie entsprechen aber ungefähr den bisherigen Verboten).

Es ist verboten,

Massive Ausnahmen

Allerdings hat der Gesetzgeber zugleich den Schutz vor bestimmten Nutzungen, Eingriffen und Vorhaben drastisch eingeschränkt. Die Ausnahmen lesen sich wie die Beschreibung der Nebenwirkungen eines Medikaments. Etwas vereinfachend stellt sich die Lage so dar:

Was ist zu dieser Neuregelung zu sagen?

Auch künftig sind die für den einzelnen Bürger beachtlichen Vorschriften zum Schutz bestimmter Pflanzen- und Tierarten streng. Das besondere Artenschutzrecht schützt weiterhin ca. 2.600 Pflanzen- und Tierarten vor Spaziergängern, stellt Staat, Kommunen, Industrie und Wirtschaft hingegen von nahezu allen Verboten frei. Es beschränkt das Artenschutzrecht für Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft sowie für Planungen ganz überwiegend auf den Schutz von 600 gemeinschaftsrechtlich geschützten Arten. Alle übrigen Arten spielen praktisch keine Rolle mehr.

Darauf hatte der deutsche Gesetzgeber das Artenschutzrecht zwar schon immer beschränkt. Diese Beschränkung war aber aufgrund des so genannten "Caretta-Urteils" des Europäischen Gerichtshofs vom 30.01.2002 in der Rechtssache C-103/00 und der nachfolgenden Rechtsprechung deutscher Gerichte ins Wanken geraten. Im Unterschied zum deutschen Artenschutzrecht verbietet nämlich das Gemeinschaftsrecht schon wissentlich begangene Schädigungen und Störungen bestimmter Arten. Deutschland indessen wollte die Verbote auf zielgerichtetes Schädigen und Stören verengen. Das ist dem Bundesgesetzgeber nun für alle nur national geschützten Arten auch gelungen. Dagegen wird die Europäische Kommission nichts unternehmen, weil diese Arten im Unterschied zu den Arten des Anhanges IV der FFH-Richtlinie und europäischen Vogelarten nicht Gegenstand des Artenschutzrechts der Gemeinschaft sind.

Der Gesetzgeber gibt vor, mit der Neuregung nun wenigstens die Vorgaben des Gemeinschaftsrechts zu erfüllen. Tatsächlich werden diese Maßstäbe erneut verfehlt:

Während EG-Vogelschutz- und FFH-Richtlinie die Zulässigkeit neuer Eingriffe in Natur und Landschaft generell an den Schutz der europäischen Vogelarten und der Arten des Anhanges IV der FFH-Richtlinie, z. T. bereits des Individuums, nicht erst der Population knüpft, senkt das neue deutsche Recht dieses Schutzniveau ab, erklärt für zulässig, was die beiden Richtlinien verbieten und entlässt regelmäßig Eingriffe aus der artenschutzrechtlichen Prüfungspflicht, die allenfalls im Ausnahmefall zugelassen werden können.

Der Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft erlaubt sie alles, was den Erhaltungszustand der Arten nicht weiter verschlechtert. Auch zugunsten von Planungen bleibt sie hinter dem Gemeinschaftsrecht zurück. Die FFH-Richtlinie erlaubt einen Zugriff auf die Arten des Anhanges IV nur, wenn mindestens zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses den Zugriff erfordern, es keine anderweitige zufrieden stellende Lösung gibt und der Erhaltungszustand der Population der betroffenen Art trotz der Ausnahme günstig bleibt. Die EG-Vogelschutzrichtlinie schränkt die Ausnahmegründe im Falle einer Betroffenheit europäischer Vogelarten sogar noch weiter ein.

Die Ermächtigung zur Anordnung von Bewirtschaftungsauflagen, die Bindung der Zulassung an die Sicherung bestimmter ökologischer Funktionen oder auch die Verpflichtung zu vorgezogenen Ausgleichsmaßnahmen mögen gut gemeint sein. In der Praxis scheitern sie an der Machtlosigkeit der Naturschutzbehörden, unzureichender Kontrolle und der Wirksamkeit gefälliger Gutachten.

So kommt es, dass eine Wiesenblume zwar nicht gepflückt, ein ganzes Wiesental paradoxerweise aber ganz legal zubetoniert werden darf. Oder ein anderes Beispiel: Während Naturschützer Erdkröten und Teichmolche behutsam über die Straße tragen, dürfen u. U. die Laichgewässer derselben Amphibien und die Tiere selbst für Bauvorhaben oder Landwirtschaft zugeschüttet werden.

Die Neuregelung dürfte sich wegen grober Verletzungen des Gemeinschaftsrechts rasch als rechtswidrig erweisen. Die Europäische Kommission hatte dies bereits im Sommer in Berlin zum Ausdruck gebracht. Die Neuregung ist deshalb gerade kein Beitrag zur Planungssicherheit von Staat, Wirtschaft und Kommunen und stürzt die Beteiligten in neue Unsicherheiten. Einstweilen aber scheint die Genugtuung eines Teils der deutschen Wirtschaft über die Novelle groß zu sein. So etwa beim Bundesverband Windenergie. Wir zitieren aus einer aktuellen Seminarankündigung:

"Seit ca. zwei Jahren werden zunehmend Windenergieanlagen wegen eines angeblichen Verstoßes gegen Bestimmungen des Artenschutzrechts abgelehnt - die Genehmigung also versagt. Mit der Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes wird die bestehende Rechtsunsicherheit beseitigt." Gegenstand des sechsstündigen und 390 Euro teuren Seminars: "Wie können Sie Ihre laufenden und geplanten Vorhaben trotz Widerstand erfolgreich angehen und durchsetzen?" Bemerkenswerterweise steht einer der Referenten auf der Bezügeliste des Deutschen Naturschutzrings (DNR).

Dem Gesetzgeber war bei der Novelle selbst nicht wohl. Über den Schutz der aus dem besonderen Artenschutzrecht entlassenen über 2.000 einheimischen Pflanzen- und Tierarten wolle man bei der zu 2009 geplanten großen Novelle des Naturschutzrechts noch einmal nachdenken. Eher aber ist zu befürchten, dass sich der Trend, Naturschutzvorschriften abzubauen, im künftigen Umweltgesetz fortsetzt. Schon die kleine Novelle ist in Wahrheit ein Armutszeugnis für den Gastgeber der Internationen Biodiversitätskonferenz im Mai 2008 in Bonn. Wie sehr Deutschland sich die Ziele dieser Konferenz selbst angelegen sein sollte, zeigt der Blick in die Roten Listen. Jede zweite einheimische Pflanzen- und Tierart ist existentiell gefährdet. Bei der Konferenz wird sich der Bundesumweltminister tüchtig einsetzen - für den Schutz von Eisbären und Elefanten.

 
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