Wattenrat

Ost-Friesland

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Aus die Maus

Landwirte dürfen Gift auslegen, sogar in Vogelschutzgebieten

Der Wattenrat übernimmt aus aktuellem Anlass eine Pressemitteilung der "Gesellschaft zur Erhaltung der Eulen e.V.":

Bei Mäusen gibt es in schöner Regelmäßigkeit Jahre, in denen die Mäusedichte auf ganz natürliche Weise sprunghaft ansteigt und geradezu explodiert. 2007 ist ein solches Jahr. An das Auf und Ab der Mäusepopulation haben sich die Tiere angepasst, die von der Maus leben: vor allem Greifvögel und Eulen. Insofern ist heuer für sie ein gutes Jahr. Deshalb entschieden sich die Schleiereulen mancherorts zu einer dritten Brut, während in mäusearmen Jahren die Bruten rar und die Gelege klein sind. Das ist die einzige Chance, um nach harten Wintern verwaiste Gebiete neu zu besiedeln oder nach dem hundertfachen Tod der Eulen auf Straßen Verbreitungslücken zu schließen.

Irgendwann in einem solchen Jahr bricht die Mäusepopulation von Überbevölkerung gestresst und von Krankheiten geschwächt auch wieder zusammen. So ist das bei Mäusen.

Die Masse der Mäuse ruft nicht nur der Mäuse natürliche Feinde auf den Plan, sondern die chemische Industrie, denn so wie die Mägen der Eulen nach entbehrungsreicher Zeit leer sind, sind die Lager der Giftproduzenten voll. Zusammen mit Pflanzenschutzämtern und Landwirtschaftskammern wird zum Einsatz toxischer Mittel geraten, per Anzeige und per Post - kommerziell und amtlich beglaubigt. So zum Beispiel zu Ratron-Pellets-F der Firma Frunol delicia GmbH.

Das Mittel enthält den Wirkstoff Chlorphacinon. Er hemmt sehr wirkungsvoll die Blutgerinnung im Organismus der Säugetiere. Das Mittel wirkt nicht selektiv auf Feld- und Erdmäuse. Es ist auch für andere Säugetiere (etwa den nach dem europäischen Artenschutzrecht streng geschützten Feldhamster) und Vögel toxisch. Im Jahresbericht 2004 der Biologischen Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft heißt es, in der Praxis käme es bei Mitteln mit diesem Wirkstoff immer wieder zu "Fehlanwendungen mit negativen Auswirkungen auf Nichtzielorganismen". Nichtzielorganismen sind z. B. Greifvögel und Eulen; Fehlanwendungen u. a. flächiges, nicht verdecktes Ausstreuen.

Das Mittel darf nur mit Feinstaubmaske und Schutzhandschuhen und nur verdeckt ausgebracht werden. Flächig gestreut werden darf es nur im Nichtkulturland. Ausgerechnet im Nichtkulturland, also dort, wo wildlebende Tiere am ehesten sicher sein sollten vor Wirtschaftsinteressen.

Als wäre dies nicht schon schlimm genug, hat das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit nun den flächigen Einsatz auch dort erlaubt, wo er normalerweise verboten ist: auf land- und forstwirtschaftlichen Flächen. Seit dem 04. September 2007 dürfen 120 Tage lang auf Antrag mit Zustimmung des Pflanzenschutzdienstes 10 kg des Giftes auf den Hektar flächig verstreut werden. Die EGE fordert die zuständigen Stellen auf, diesen gefährlichen Unsinn unverzüglich zu stoppen.

Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit wiegelt ab: Das Risiko, dass Beutegreifer durch Fraß vergifteter Mäuse zu Schaden kommen, sei gering und dem Bundesamt in den letzten 15 Jahren kein solcher Vergiftungsfall bekannt geworden.

Glaubhaft oder nicht, die wenigen und wenig erfolgreichen Versuche der staatlichen Naturschutzstellen, die Anwendung wenigstens in Europäischen Vogelschutzgebieten abzuwenden, sind unzureichend und Ausdruck purer Hilflosigkeit. Denn Vögel halten sich nicht an die Grenzen der europäischen Vogelschutzgebiete, gerade jetzt an der Schwelle des Herbstes nicht, da Störche, Reiher und Greifvögel wie Milane, Weihen und Bussarde auf dem Zug sind und in wenigen Wochen nordische Greifvögel und Eulen im deutschen Agrarraum auch außerhalb dieser Schutzgebiete rasten und überwintern. Zudem ist der Anteil solcher Schutzgebiete mit weniger als einem Zehntel der Landfläche verschwindend gering.

Hinter vorgehaltener Hand heißt es, das Bundesamt sei unter den massiven Druck der Landwirtschaftslobby geraten und habe deshalb das Mittel freigegeben - gegen besseres Wissen und Gewissen. Immerhin hat das Bundesamt die Zulassung an Bestimmungen geknüpft. Bestimmungen, die nun auf Proteste der Landwirtschaft stoßen: Der zuständige Pflanzenschutzdienst muss die Notwendigkeit der Maßnahme bestätigen und die Anwendung anordnen. Dabei muss sich der Pflanzenschutzdienst mit den zuständigen Naturschutzbehörden "abstimmen". Wirklich verhindern können die Naturschutzbehörden den Einsatz aber kaum. Sie haben in der Sache vielleicht viel zu erzählen, aber nichts zu sagen. Die EGE ermutigt die Naturschutzbehörden in Deutschland, die vorgeschriebene Abstimmung einzufordern und den Einsatz begründet abzulehnen. Nur so lassen sich überhaupt Informationen über das Ausmaß des Einsatzes gewinnen und Totfunde zuordnen.

Auch die Feldmauspopulation dieses Jahres würde wieder ohne den Einsatz von Gift ein baldiges ganz natürliches Ende finden - ungefährlich für Hamster, Füchse, Störche, Greife und Eulen und kostenfrei für Landwirte. Aber soviel wissenschaftliche Kenntnis darf man in Landwirtschafts- und Pflanzenschutzämtern nicht voraussetzen. Allianzen mit der chemischen Industrie schon eher. Recherchen der EGE bei Pflanzenschutzdiensten zeigen, dass die einschränkenden Anwendungsvorschriften nicht gewusst oder verschwiegen werden. Die Landwirte werden einsetzen, was sie kaufen, die Umsätze der Hersteller werden wachsen, die Mäuse sterben und mit ihnen, wer sie frisst. Aus die Maus.

Die EGE wird in den nächsten 120 Tagen tot aufgefundene Vögel wissenschaftlich obduzieren lassen und die Befunde dem für die Sache letztendlich verantwortlichen Bundesminister Horst Seehofer präsentieren. Andere Naturschutzorganisationen und Naturschutzbehörden sollten es ihr gleichtun. Die Untersuchungen kosten Geld. Bitte unterstützen Sie deshalb die EGE mit Ihrer Spende. Die Untersuchungsergebnisse können dazu beitragen, dass sich die jüngste Fehlentscheidung des Bundesamtes nicht wiederholt.

 
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