Startseite > Aktuelles > Artikel Nr. 227 (Juni 2007)
Vogelschutzgebiete: EU verklagt Deutschland
EU-Kommission ergreift rechtliche Schritte gegen elf Mitgliedstaaten, erhebliche Defizite auch in Niedersachsen
Die Europäische Kommission ergreift rechtliche Schritte gegen elf Mitgliedstaaten, die nicht genügend besondere Schutzgebiete für Zugvögel und gefährdete wildlebende Vogelarten ausgewiesen und somit gegen die EU-Richtlinie über die Erhaltung wildlebender Vogelarten verstoßen haben. Gegen Deutschland, Österreich und Polen erhebt die Kommission Klage beim Europäischen Gerichtshof (EuGH), die anderen acht Mitgliedstaaten (Lettland, Litauen, Malta, Slowakische Republik, Slowenien, Tschechische Republik, Ungarn und Zypern) erhalten eine erste schriftliche Mahnung.
Die Pressemitteilung der EU-Kommission vom 27. Juni lesen Sie hier im Wortlaut (pdf-Datei, ca. 83 KB).
Dazu ein Kommentar, der uns von der Gesellschaft zur Erhaltung der Eulen e.V. zur Verfügung gestellt wurde:
Angela Merkels EU-Ratspräsidentschaft ist noch nicht zu Ende, da holt die Deutschen die selbst verschuldete raue Wirklichkeit ein: Am 27. Juni 2007, drei Tage vor Ablauf des deutschen Vorsitzes, verklagt die Europäische Kommission erneut Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof. Deutschland, so begründet die Kommission ihr Vorgehen, habe nicht genügend Europäische Vogelschutzgebiete eingerichtet - genau genommen die Bundesländer Baden-Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und Thüringen. [...]
Gelangt der Gerichtshof zu der Auffassung, dass eine Vertragsverletzung vorliegt, wird der betreffende Mitgliedstaat aufgefordert, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um seinen Verpflichtungen aus der Europäischen Vogelschutzrichtlinie nachzukommen. Nach Artikel 228 des EG-Vertrages ist die Kommission befugt, gegen den säumigen Mitgliedstaat vorzugehen. Sie kann den Gerichtshof ersuchen, empfindlich hohe Geldstrafen gegen den Mitgliedstaat zu verhängen.
Der Schritt der Kommission führt in den säumigen Bundesländern zu allerlei Verunsicherung - nicht zuletzt für wirtschaftliche Pläne und Projekte vom Bau neuer Fernstraßen bis hin zur Errichtung von Hühnerställen. Denn solange es in den Ländern an einer vollständigen Unterschutzstellung fehlt und die Abgrenzung dieser Gebiete fraglich ist, steht auch die Zulässigkeit solcher Vorhaben in Frage. Solche Bauvorhaben haben - so paradox es klingt - bestenfalls in den Gebieten eine Chance auf Zulässigkeit, zu deren Schutz sich der Mitgliedstaat pflichtgemäß bekannt hat. Schützt er diese Gebiete nicht, hat er auch keinen Anspruch auf eine Ausnahme vom Schutzregime, welches die Europäische Union in solchen Gebieten verwirklicht sehen möchte.
Dabei sind auch solche Ausnahmen nicht leicht zu erlangen. Sie sind nur möglich, wenn das Vorhaben alternativlos und aus "zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses" notwendig ist. Die fehlende Meldemoral in den Ländern trifft deshalb nicht allein Europas Vogelarten, sondern die deutsche Wirtschaft, große Konzerne, Kommunen und kleine Bauern. Die Versuche der Landesregierungen, sich, ihrer Industrie, Wirtschaft und Bevölkerung die Einrichtung Europäischer Vogelschutzgebiete zu ersparen, ist deshalb in Wahrheit ein Bärendienst an den Interessen derer, die man zu schützen vorgibt.
Zu Beginn der deutschen Ratspräsidentschaft hatte sich Bundeskanzlerin Merkel noch verwundert gefragt, weshalb nur immer Deutschland Verstöße gegen das europäische Naturschutzrecht angelastet würden und nie den anderen. Tatsächlich angeklagt sind wegen der unzureichenden Unterschutzstellung aber nicht nur die Deutschen, sondern ebenso Österreich und Polen. Deutsche und Polen verbindet offenbar mehr, als es der EU-Gipfel in der letzten Woche vermuten ließ. Zum selben Zeitpunkt und derselben Versäumnisse wegen hat die Kommission an acht weitere Mitgliedstaaten eine erste schriftliche Mahnung gerichtet. Eine solche erhielt Deutschland bereits vor Jahren.
Auffallend ist allerdings, dass es sich bei zehn der elf ins Visier der Kommission geratenen Mitgliedstaaten um solche handelt, die erst kürzlich in die EU aufgenommen wurden. Für sie sind die Herausforderungen der Europäischen Vogelschutzrichtlinie vergleichsweise neu. Die Deutschen hingegen sind bereits von Anfang an mit den Pflichten dieser 1979 beschlossenen Richtlinie konfrontiert, ohne sie bis heute eingelöst zu haben. So gesehen lässt sich auf die aktuellen Ankündigungen aus der deutschen Politik, Natur und Landschaft nur noch dort, wo und soweit schützen zu wollen, wie es das Gemeinschaftsrecht zwingend verlangt ("eins zu eins und kein Draufsatteln mehr"), gelassen antworten: "Ja, bitte. Wenigstens das!"
EU-Umweltkommissar Stavros Dimas erläuterte sein Vorgehen so: "Die Mitgliedsstaaten müssen unbedingt das Netz der besonderen Schutzgebiete für gefährdete Vogelarten vervollständigen und alle Gebiete, die für den Erhalt dieser Arten in Europa von Bedeutung sind, ausweisen. Diese Verpflichtung ist die unverzichtbare Voraussetzung dafür, dass der Verlust der Artenvielfalt bis 2010 gestoppt wird."