Startseite > Aktuelles > Artikel Nr. 199 (November 2006)
Wilhelmshaven: "Goldbolzen" aus Kläranlagen im "UNESCO-Weltnaturerbe"?
Ungeklärte Fäkalabwässer im Nationalpark
Unfreiwillig brachte der niedersächsisches Wirtschaftsminister Walter Hirche die Wilhelmshavener Unappetitlichkeiten an den Tag, als er dort für das UNESCO-Weltnaturerbe für den Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer warb: Zuhörer wiesen auf die direkt eingeleiteten "Goldbolzen", also Fäkalabwässer, hin. Sie verleiden vielen Wilhelmshavenern das Baden am Südstrand, der zwar nicht die "Cote d´azur" ist, dafür nun aber "Kot de l´or" genannt werden kann. Hirches Anliegen war die Vermarktung des Nationalparks für noch mehr Fremdenverkehr, nicht dessen verbesserter Schutz. Aber als Politiker und Präsident der deutschen UNESCO-Kommission kann Hirche eben aus Scheiße Bonbons machen (s.u.), das gehört zum Geschäft.
Wir zitieren aus den Zeitungen:
Jeversches Wochenblatt, 17.11.06:
Weltnaturerbe: Kaum Konfliktpotenzial
Walter Hirche informierte als UNESCO-Beauftragter über Wattenmeer-Antrag
Wilhelmshaven/na - Als Weltnaturerbe anerkannte Stätten "sind Zeugnisse vergangener Kulturen und einzigartige Naturlandschaften, deren Untergang ein unersetzlicher Verlust für die gesamte Menschheit wäre. Sie zu schützen ist Aufgabe der Völkergemeinschaft." So lautet der Anspruch der UNESCO, der für die angestrebte Einstufung des Wattenmeeres als Weltnaturerbe zu erfüllen ist. Das erklärte der Niedersächsische Wirtschaftsminister Walter Hirche (FDP) am Mittwoch auf der gut besuchten Veranstaltung anlässlich 20 Jahren Nationalpark Wattenmeer im Haus der VHS in Wilhelmshaven. Dazu begrüßte Peter Südbeck, Leiter der Nationalparkverwaltung, den Minister als Präsidenten der deutschen UNESCO-Kommission.[...]
Natürlich seien mit der Anerkennung auch Pflichten verbunden, so müssen Erklärungen zu Bauvorhaben oder sonst möglichen Eingriffen, die den Bestand des Wattenmeeres berühren, verbindlich abgegeben werden. Gerade als Fachminister sieht Hirche hier keine unlösbaren Konflikte zum Beispiel in Bezug auf den kommenden Jade-Weser-Port oder die geplanten Offshore-Windenergieanlagen. Diese Verpflichtungen seien lösbar, zumal die sich bietenden Chancen diese bei weitem überwögen. Man müsse das Konfliktpotenzial nur exakt beschreiben und in einen Managementplan aufnehmen und dazu empfahl er als oberster Vertreter der UNESCO in Deutschland die Beachtung des Grundsatzes "Sorgfalt vor Eile beim Verfahren ".[...]
Hannoversche Allgemeine Zeitung, 26. Nov. 2006
Niedersachsen - Fäkalien am Strand von Wilhelmshaven
In Wilhelmshaven wächst der Verdruss über ein Abwassernetz, das bei starkem Regen Kot ins Meer schwemmt. Das passiert 50 bis 60 Mal im Jahr. Bürger sorgen sich um den Tourismus.
Von Margit Kautenburger
Wilhelmshaven. Ein heftiger Schauer an einem heißen Julitag brachte in Wilhelmshaven Unappetitliches ans Licht: Vor dem Südstrand sichteten Badende plötzlich eine braune Brühe, durchsetzt mit Fäkalien. Offenbar war Abwasser in den Jadebusen eingeleitet worden. Bei den Strandbesuchern löste der Anblick Ekel aus. Bei der Stadt und bei den Entsorgungsbetrieben hagelte es Beschwerden. Nun fürchtet Wilhelmshaven um seinen Ruf als Touristenstadt.
Grünen-Ratsherr Werner Biehl versteht die Empörung vieler Bürger. "Wilhelmshaven wirbt mit dem Slogan 'Grüne Stadt am Meer', der Südstrand mit Promenade und Hotels ist das Aushängeschild der Stadt, und der Nationalpark Wattenmeer liegt vor der Haustür", sagt Biehl. "Da passt es nicht, dass immer wieder Kothaufen und Tampons am Strand vorbeitreiben."
Dabei ist das Problem mit den Abwassereinleitungen lange bekannt. Vor 30 Jahren wurde zwar eine Kläranlage gebaut. Doch Wilhelmshaven hat – wie viele andere Städte auch – ein Mischwasserkanalsystem. Das bedeutet, dass Abwasser und Regenwasser in einem Rohr landen. Regnet es sehr stark, kann es passieren, dass das Kanalnetz überfordert ist. Um einen Rückstau und die Überschwemmung von Kellern zu verhindern, leiten die Wilhelmshavener Entsorgungsbetriebe in einem solchen Fall das mit Fäkalien durchsetzte Mischwasser ungeklärt ins Meer.
"Das passiert 50 bis 60 Mal im Jahr, und meist ist das Abwasser stark mit Regenwasser verdünnt", sagt Stadtsprecher Arnold Preuß. Die Einleitungen seien völlig legal, betont Preuß. Entsprechende Genehmigungen lägen vor, und es gebe auch keine gesundheitlichen Gefahren. "Das wird regelmäßig überprüft, die Belastung mit Koli-Bakterien ist unbedenklich." Dass einige Bürger jetzt auf die Barrikaden gehen, überrascht die Verantwortlichen. Bislang habe sich niemand an den Einleitungen gestört.
Monika Giesche-Emmerich, Immobilienmaklerin, die direkt an der Strandpromenade wohnt, sieht gerade darin den "Skandal": "Die Stadt wusste Bescheid und hat jahrelang nichts unternommen, um die Lage zu verbessern", kritisiert sie. "Wir gingen immer im Bademantel runter zum Schwimmen", berichtet die Maklerin. "Aber seit ich diese dunkelbraune Soße gesehen habe, ist mir der Spaß vergangen." Früher habe man sich aufgeregt, wenn solche Zustände aus Südeuropa gemeldet wurden. "Aber hier haben wir genau dieselbe Situation", schimpft Giesche-Emmerich.
Um die streitbare Maklerin hat sich inzwischen eine Gruppe von Bürgern geschart, die der Stadtverwaltung auf die Füße treten will und konkrete Verbesserungsmaßnahmen einfordert. Es gehe um Gesundheitsgefahren und um den Fremdenverkehr. "Gastronomen und Hoteliers haben hier mühsam den Tourismus aufgebaut. Davon hängen mittlerweile 3600 Arbeitsplätze ab", sagt die Maklerin. "Die dürfen wir nicht aufs Spiel setzen."
Auch wenn die Stadt solche Ängste für unangebracht hält, will Oberbürgermeister Eberhard Menzel (SPD) sich dem Problem stellen. "Eine Lösung ist aber nicht umsonst zu haben", sagt Stadtsprecher Preuß. Die völlige Umstellung auf ein getrenntes System würde bis zu 100 Millionen Euro kosten und sei für das finanzschwache Wilhelmshaven nicht zu bewältigen. Der Bau von großen Rückhaltebecken, die das Regenwasser vorübergehend auffangen könnten, werde kaum billiger. Eine Arbeitsgruppe hat weitere Lösungsvorschläge zusammengetragen, die bis Mai von Fachleuten auf Wirksamkeit und Kosten überprüft werden sollen. Dann soll der Rat entscheiden, was getan wird. Eins sei heute schon klar, sagt Preuß: "Die Bürger müssen mit Gebührenerhöhungen rechnen."