Wattenrat

Ost-Friesland

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Salzwiesen zu Rohstofflagern

Geschützte Salzwiesen des Nationalparks Niedersächsisches Wattenmeer werden wieder zu Rohstofflagern für den Deichbau

Nein, niemand hat etwas gegen den Schutz der Küste durch den Deichbau, auch nicht der Naturschutz. Aber es gibt Grenzen. Die sind da erreicht, wenn die vor den Deichen liegenden geschützten Salzwiesen als Teil des "Nationalparks Niedersächsisches Wattenmeer" wieder als Rohstofflager, sprich Boden-Abbaugebiete, für den Deichbau verwendet werden. Genau das will die niedersächsisches CDU/FDP-Landesregierung wieder zulassen; Umweltminister Sander kündigte dies an und dreht damit das Rad des Naturschutzes um Jahrzehnte zurück.

Salzwiese

Salzwiese: links artenreich und unbeweidet, rechts beweidet, Westerbur, LK Aurich - Foto © Wattenrat

Als die "anerkannten" Naturschutzverbände noch inhaltlich im Wattenmeerschutz tätig waren, gab es häufig Konflikte mit den Nutzungsinteressen der Landwirtschaft und des Küstenschutzes im Nationalpark. 1995 endlich wurde ein Kompromiss erreicht: Die berühmten "10 Grundsätze für einen effektiveren Küstenschutz", beschlossen von der damaligen Niedersächsischen Landesregierung. Diese Grundsätze sahen in Punkt 8 vor, dass "Im Regelfall...Kleiboden im Binnenland gewonnen" wird, nur in "besonderen Fällen" müsse dies auch im Vorland, also den Salzwiesen, möglich sein. Nun, nach der Änderung, heißt es: "Kleientnahmen sind grundsätzlich auch im Deichvorland möglich". (Siehe auf Grundsätze für effektiveren Küstenschutz oben links der Link zur Tabelle, pdf-Datei.)

Wenn bisher die Hauptdeiche "so weit wie möglich" nur auf der Landseite erhöht werden sollten, sieht der neue Punkt 2 vor: "Hauptdeiche können in der bestehenden Deichlinie sowohl auf der Land- als auch auf der Wasserseite verstärkt und erhöht werden. Die Entscheidung hierüber ist im Einzelfall aufgrund der örtlichen Gegebenheiten zu treffen." Also auch hier ist der Zugriff auf die Salzwiesen erleichtert worden.

Umweltminister Sander führt vordergründig die "Abwägung zwischen Naturschutz- und ökonomischen Interessen" ins Feld, das verfängt. Tatsächlich schont er aber die Bauern. Die müssten nämlich sonst hinnehmen, dass auf ihren landwirtschaftlichen Nutzflächen deichfähiger Kleiboden entnommen wird, so wie es seit Jahrhunderten an der Küste praktiziert wurde. Noch heute gibt es viel "Kleipütten", die als offene Gewässer die Landschaft bereichern.

Kleipütte als Entenrastplatz, Ostbense, LK Witmund - © Foto Wattenrat

Sander schützt nicht Natur, sondern die Landwirte und belastet die Schutzgebiete. Der Artikel 14 des Grundgesetzes "Eigentum verpflichtet, sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen" ist in Niedersachsen offensichtlich nachrangig.

In den vergangenen Jahrzehnten wurden in den Wattenmeer-Anrainerstaaten Niederlande, Deutschland und Dänemark mehr als 220 Quadratkilometer Salzwiesen durch Eindeichungen vernichtet und der landwirtschaftlichen Nutzung zugeführt, die Landwirtschaft hat also stets von den Eindeichungen profitiert.

Salzwiesen dienen zweifellos auch dem Küstenschutz. Sie reduzieren die Wellenenergie und mindern die Belastung der Hauptdeiche bei Sturmfluten. Baggerlöcher in den Salzwiesen können durch Wellenenergie zu Auskolkungen im Vorland führen, die die Deichsicherheit gefährden.

Nach der Flora-Fauna-Habitat-Richlinie gehören Salzwiesen zu den sog. "Anhang I-Lebensräumen": Natürliche Lebensräume von gemeinschaftlichem Interesse, für deren Erhaltung besondere Schutzgebiete ausgewiesen werden müssen. Deutschland als Vertragspartner der EU ist zur Erhaltung dieser Flächen verpflichter, nicht zu deren Zerstörung. In diesen Gebieten kann ohne FFH-Verträglichkeitsprüfung im Falle von erheblichen Beeinträchtigungen ohne Prüfung von Alternativen, die zweifellos im Binnenland (auch auf landeseigenen domänenfiskalischen Flächen!) vorhanden sind, nicht einfach zum Schaden der Flächen eingegriffen werden.
Manfred Knake

WWF Pressemitteilung vom 06.09.2006 (online hier abrufbar):

Rückfall in die "Steinzeit der Umweltpolitik"

Niedersachsens neue Küstenschutz-Grundsätze nicht mit geltendem Recht vereinbar

Hannover/Hamburg, 06.09.2006: Die Umweltverbände BUND und WWF werfen Niedersachsens Umweltminister Sander gezielten Rechtsbruch vor. Die gestern vorgestellten reformierten Grundsätze für den Küstenschutz seien nicht mit geltendem Recht vereinbar. "Sander vollzieht damit endgültig den Schwenk vom Interessenausgleich zur Konfrontation zwischen Küsten- und Naturschutz", so WWF-Expertin Beatrice Claus. Die Naturschützer befürchten aufgrund der Regelung erneut langwierige und teure Genehmigungs- und Rechtsverfahren.

Die bisherigen Leitlinien wurden von Deichbänden und Naturschutzorganisationen mit entwickelt und getragen. Sie haben sich nach Ansicht von WWF und BUND in der Praxis bewährt. "Ausgerechnet ein liberaler Minister hebelt ohne Not ein erfolgreiches Modell des gesellschaftlichen Interessenausgleichs durch eine obrigkeitsstaatliches Verfügung auf", so Claus. Die Politik der Landesregierung stelle die Nationalparkidee für das Wattenmeer in Frage. WWF und BUND sehen darin einen Rückfall in die "Steinzeit der Umweltpolitik".

Die neuen Küstenschutz-Grundsätze verschlechtern den Schutz der wertvollen Salzwiesen im Deichvorland. Bislang durfte der Klei zum Deichbau nur in begründeten Ausnahmefällen aus den Salzwiesen entnommen werden. Die neuen Regeln erleichtern diesen Eingriff in den Nationalpark Wattenmeer. "Die vorbehaltlose Kleientnahme aus den Salzwiesen gefährdet den Nationalpark", sagte Claus. Zudem würden sie sich negativ für den Küstenschutz auswirken. Die Deichbände seien nun schon aus Kostengründen gezwungen, Klei im Deichvorland abzubauen - obwohl derartige Eingriffe die Standfestigkeit der Deiche schwäche.

Die Naturschutzverbände hätten in den vergangenen Jahren mit großem Erfolg das Gespräch mit den Deichbänden und der Politik gesucht und so konstruktive Lösungen entwickelt. "Es ist uns völlig unverständlich, warum der Umweltminister ohne Not den Pfad der Vernunft und der gemeinsamen Lösungen verlässt", so WWF und BUND.

Das intensive Ringen um einen naturverträglichen Küstenschutz habe beispielsweise im Wangerland zu einer echten "Win-Win-Situation" geführt. Auf der Suche nach Klei für den Deichbau im Binnenland habe die Gemeinde ein Abbaugebiet gefunden, in dem jetzt ein Erholungssee entstehen soll. "Mit der neuen Regelung hätte die Gemeinde aus Kostengründen in den Salzwiesen baggern müssen. Wertvolle Natur wäre zerstört worden. Und die Gemeinde bekäme keinen Erholungssee, der für die Region dringend benötigte Arbeitsplätze schafft", so Claus.

Pressemitteilung des Niedersächsischen Umweltministeriums vom 05. Sept. 2006:

Grundsätze für effektiveren Küstenschutz

Sander: Abwägung zwischen Naturschutz- und ökonomischen Interessen sinnvoll

Pressemitteilung 93/2006

HANNOVER. "Der Küstenschutz ist eine der zentralen Aufgabe des Niedersächsischen Umweltministeriums. Er ist unverzichtbare Vorraussetzung, um die Menschen in den sturmflutgefährdeten Lebens- und Wirtschaftsräumen verlässlich zu schützen", sagte Umweltminister Hans-Heinrich Sander bei der Vorstellung der Grundsätze des Küstenschutzes in Hannover. Die heute von der Landesregierung beschlossenen neuen "Grundsätze für einen effektiveren Küstenschutz" schreiben die 1995 beschlossenen Grundsätze fort.

"Es liegt in unserer Verantwortung, die Küsten Niedersachsens zu sichern", bekräftigte Sander. Dabei müssten bautechnische und wirtschaftliche Notwendigkeiten beim Deichbau endlich stärker berücksichtigt werden, um die Kosten im Rahmen zu halten. "Niedersachsen muss nachhaltig wirtschaften. Überzogene Umweltauflagen sind da fehl am Platz. Deshalb muss abgewogen werden, wie und wo Klei für den Deichbau kostengünstig und umweltverträglich gewonnen werden kann. Auch muss jeweils geprüft werden, wie ein Deich sinnvoll erhöht und verbreitert werden kann. Einseitige Festlegungen treiben nur die Kosten und werden dem Problem nicht gerecht. Daher haben wir die Grundsätze fortgeschrieben", sagte der Minister. Die neuen Grundsätze schreiben jeweils eine Abwägung vor, wo umweltverträglich Klei für den Deichbau gewonnen werden kann und ob Deiche Binnen- oder Außendeichs verbreitert werden. Eine extensive Nutzung durch Beweidung und Mahd der Deichvorländer bleibt oder wird möglich, wenn ökologischen Belange berücksichtigt werden. Dies geschieht, um Teek- beziehungsweise Treibselanfall zu verringern und die Hellerfestigkeit zu erhalten.

"Seit 1995 hat sich viel geändert. Im Jahr 2000 haben Land und Umweltverbände die Grundsätze diskutiert und Vorschläge zur Weiterentwicklung gemacht. Im vergangenen Jahr hat das Umweltministerium eine Diskussionsveranstaltung in Wilhelmshaven veranstaltet, um das Thema mit den Menschen vor Ort zu besprechen. Nun passen wir die Grundsätze an", so der Minister.

 
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