Startseite > Aktuelles > Artikel Nr. 175 (Juni 2006)
Brief an CDU-Generalsekretär
EU-Vogelschutzrichtlinie: Hinhalten und aussitzen
Das Land Niedersachsen windet sich wegen der Abmahnung aus Brüssel wie ein
Aal
Der CDU-Generalsekretär Ulf Thiele macht auf Hinhaltetaktik
Trotz deutlicher Aufforderung der EU-Kommission, bis Mitte Juni 2006 ausreichende Gebietsmeldungen vorzunehmen, macht die CDU/FDP-Landesregierung weiter mit ihrer Hinhaltetaktik. Es ist ein enges Geflecht von Datenmanipulationen, Halbwahrheiten und öffentlicher Beruhigung, mit der das Land offensichtlich die ausreichende Meldung von Schutzgebieten unterlaufen will.
Den Vogel schießt der Landtagsabgeordnete und Generalsekratär Ulf Thiele (CDU) mit seiner nass-forschen öffentlichen Fehlbewertung der Lage ab (Zeitungsbericht weiter unten):
Die zur Diskussion stehende Fläche vom Wybelsumer Polder bis nach Esens sei aus "Naturschutzkreisen" der EU gemeldet worden. Nun müssten die Fachleute erst einmal das Gebiet begutachten.
Nein, Herr Thiele, die "Begutachtung" ist seit Jahren abgeschlosssen, jetzt geht es nur noch um die Nachmeldung!
Darum schrieb der Wattenrat an den Herrn Generalsekretät, eine Antwort liegt immer noch nicht vor.
Herrn
Generalsekretär der CDU in Niedersachsen
Ulf Thiele, MdL
Uplengen-Remels/Ostfriesland
03. Juni 2006
EU-Vogelschutzrichtlinie
hier: "Mit Gründen versehene Stellungnahme" der EU-Kommission vom
10. April 2006, unzureichende Gebietsmeldungen in Ostfriesland,
Ihre öffentlichen Äußerungen
Sehr geehrter Herr Thiele,
die Ostfriesen-Zeitung vom 01. Juni 2006 zitiert Sie so:
Die zur Diskussion stehende Fläche vom Wybelsumer Polder bis nach Esens sei aus "Naturschutzkreisen" der EU gemeldet worden. Nun müssten die Fachleute erst einmal das Gebiet begutachten.....
Das Schreiben aus Brüssel (siehe OZ vom 31. Mai) sei der Bundesregierung in Berlin im März zugegangen, sagte Thiele gestern auf OZ:Anfrage. Es sei unmöglich, in wenigen Wochen zu ermitteln, wo es beispielsweise wichtige Brutgebiete für Vögel gebe. Dazu bräuchten die Ornithologen mindestens ein Jahr.
Vorausgesetzt, dass diese Darstellung zutreffend ist, erlaube ich mir dazu folgende Anmerkungen:
Tatsache ist, dass die EU-Vogelschutzrichtlinie seit 1979, also seit 27 Jahren, Gültigkeit hat. In dieser Zeit ist es den wechselnden Regierungen in Ländern und Bund nicht gelungen, ausreichende und zufrienstellende Gebietsmeldungen vorzunehmen. Das sagt eigentlich alles über den maroden Zustand und den tatsächliche Stellenwert des Naturschutzes trotz vieler politischer Sonntagsreden im Lande aus.
Ihre in der OZ getätigten Aussagen sind unzutreffend: Das Mahnschreiben aus Brüssel vom 10. April 2006 beinhaltet definitiniv eine ultimative Aufforderung. Zitat Seite 22 des Schreibens: "Die Kommission fordert die Bundesrepublik Deutschland gemäß Artikel 226 Absatz 1 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften auf, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um dieser mit Gründen versehenen Stellungnahme binnen zwei Monaten nach Eingang dieses Schreibens nachzukommen." Zitatende
Aufgefordert wird also die Bunderegierung, u.a. die Gebiete Krummhörn-Westermarsch, Wybelsumer Polder und Norden-Esens mit ausreichenden Daten nachzumelden, ohne Wenn-und-Aber.
Ebenfalls unzutreffend ist Ihre Äußerung "Die zur Diskussion stehende Fläche vom Wybelsumer Polder bis nach Esens sei aus "Naturschutzkreisen" der EU gemeldet worden. Nun müssten die Fachleute erst einmal das Gebiet begutachten."
Richtig ist, dass die fachliche Begutachtung der in Rede stehenden Gebiete längst abgeschlossen ist. Die Begutachtung war gestern, die Meldung ist heute. Die fachlichen Ergebnisse wurde bereits vor sechs Jahren in Melter/Schreiber: Wichtige Brut- und Rastvogelgebiete in Niedersachsen, eine kommentierte Gebiets- und Artenliste als Grundlage für die Umsetzung der Europäischen Vogelschutzrichtlinie, Vogelkundliche Berichte aus Niedersachsen, Band 32, Sonderheft, August 2000, vorgelegt.
Allerdings wurden die der Kommission vorgelegten avifaunistische Daten der in Rede stehende Gebiete vom Land Niedersachsen, also auch unter Mithilfe von Mitarbeitern der staatlichen Vogelschutzwarte, durch Reduzierung oder Weglassung bestimmter Arten so "interpretiert" (um das Wort "Manipulation" zu vermeiden), dass die Kommission zunächst von ausreichenden Gebietsmeldungen ausgehen musste. Diese Datenfehlinterpretation konnte u.a. vom Wattenrat Ost-Friesland durch Vorlage von Fachgutachten bei der EU-Kommission schlagend widerlegt werden.
Dennoch wurden in den faktischen Vogelschutzgebieten bereits andere Fakten geschaffen. Der Wybelsumer Polder an der Ems z.B. wurde mit riesigen Windkraftanlagen überbaut, im Bereich Norden-Esens wurde bis zur Ebene des Bebauungsplanes geplant, um hier Golfplätze und eine Umgehungsstraße zu verwirklichen. Die private Planungsgruppe ließ in der Presse verlauten, man habe EU-Mittel zur Verwirklichung der Golfplätze beantragt, in einem faktischen Vogelschutzgebiet!
Auf Grund der Flächenbeurteilung der EU-Kommission ist es derzeit rechtswidrig, in faktischen Vogelschutzgebieten Projekte dieser Art durchzuführen; allen beteiligten Kommunen und Verwaltungsbeamten ist dies bekannt,zeigt aber erschreckend den politischen und verwaltungsrechtlichen Werteverfall und eine unsägliche Naturschutz-Verhinderungs-Komplizenschaft in diesem Lande. EU-Subventionen werden immer gerne genommen, Natura-2000-Richtlinie genau so gerne ignoriert, Strafzahlung, die ggf. dann der Steuerzahler aufbringen muss, billigend in Kauf genommen.
Ich rege abschließend an, dass Sie sich vor weiteren öffentlichen Äußerung hinsichtlich der Implikationen der Natura-2000-Richtlinien sachkundiger machen und sich als gewählter Landespolitiker in der politischen Tagesarbeit auch an den europäischen Rechtsnormen orientieren.
Einzelheiten zu aktuellen Naturschutzthemen an der Küste entnehmen Sie bitte unserer WebSeite www.wattenrat.de.
Mit freundlichem Gruß
Manfred Knake
Wattenrat Ost-Friesland
-Koordinator-
Wir zitieren aus der Ostfriesen Zeitung vom 01. Juni 2006
EU-Schreiben bringt noch keinen Zeitdruck
Von Manfred Stolle
VOGELSCHUTZ Nach Angaben von CDU-Generalsekretär Ulf Thiele werden Gebiete 2007 nachgemeldet
Es sei unmöglich, in wenigen Wochen alle Flächen zu erfassen. Die Bundesregierung verhandle mit Brüssel über den Zeitplan.
Ardorf - Die Aufforderung der Europäischen Union, zusätzliche Gebiete auch aus Niedersachen für den Vogelschutz nachzumelden, bringt noch keinen Zeitdruck. Die Aufforderung der Kommission zur Stellungnahme bis zum 10. Juni "ist nicht als Aufforderung zu verstehen, zu diesem Datum bereits die Nachmeldung vorzulegen", sagte Ulf Thiele (Uplengen) Dienstag beim Kreisparteitag der Wittmunder CDU in Ardorf. Der Generalsekretär der Niedersachsen-CDU hob hervor, dass die Bundesregierung gegenwärtig mit Brüssel über den Zeitplan verhandle. Voraussichtlich im Frühjahr 2007 gebe es die angeforderten Nachmeldungen.
Zur Zeit seien in Niedersachsen 530 000 Hektar Vogelschutzflächen ausgewiesen, sagte der stellvertretende CDU-Landtagsfraktionsvorsitzende Hermann Dinkla (Westerholt). Die EU sei damit nicht zufrieden. Sie wolle die Ausweisung von weiteren 100 000 Hektar.
Das Schreiben aus Brüssel (siehe OZ vom 31. Mai) sei der Bundesregierung in Berlin im März zugegangen, sagte Thiele gestern auf OZ:Anfrage. Es sei unmöglich, in wenigen Wochen zu ermitteln, wo es beispielsweise wichtige Brutgebiete für Vögel gebe. Dazu bräuchten die Ornithologen mindestens ein Jahr. Eine inhaltliche Bewertung sei nicht kurzfristig hinzukriegen.
Die zur Diskussion stehende Fläche vom Wybelsumer Polder bis nach Esens sei aus "Naturschutzkreisen" der EU gemeldet worden. Nun müssten die Fachleute erst einmal das Gebiet begutachten. In enger Zusammenarbeit mit den Gemeinden und Landkreisen müsse auch festgestellt werden, wo es in dem Areal bereits anderweitige Nutzungen gebe. Thiele nannte als Beispiel Gewerbegebiete. Die seien bei der Ausweisung von Schutzgebieten auch zu berücksichtigen. Am Ende, "wenn alles abgeglichen ist", werde das Land Niedersachsen infrage kommende Flächen der Bundesregierung melden. Die werde die Ergebnisse aus verschiedenen Bundesländern dann der EU-Kommission mitteilen. Die verhandle in der Sache nur mit Berlin.
Es sei bei der Vogelschutz- wie bei der FFH-Richtlinie. Da habe es im Vorjahr die Aufforderung aus Brüssel gegeben, weitere Gebiete auszuweisen. "Das haben wir dann in diesem Jahr gemacht", sagte Thiele.
Wir zitieren aus weiteren Berichterstattungen zum Thema EU-Vogelschutzrichtlinie in Ostfriesland: Ostfriesen Zeitung, 31. Mai 2006
EU und Land streiten über Ostfriesland
NATUR Niedersachsen soll Küstengebiet von Wybelsum bis Esens als Vogelschutzgebiet nachmelden
Brüssel fordert, dass bis Mitte Juni die "erforderlichen Maßnahmen" getroffen werden. Umweltminister Minister Sander hat angekündigt, dass sein Antwortbrief nicht alle Nachmeldungen enthalten wird.VON HEINER SCHRÖDER
OSTFRIESLAND - Die Europäische Union und das Land Niedersachsen streiten über Ostfriesland. Es geht wieder einmal um die Meldung von Vogelschutzgebieten. Die Europäische Union hält die bisherigen Maßnahmen des Landes für unzureichend und fordert, dass praktisch der gesamte Küstenstreifen vom Wybelsumer Polder über die Krummhörn und Norden bis nach Esens als Schutzgebiet gemeidet wird. Und zwar ultimativ bis Mitte Juni.
Der Streit droht zu eskalieren. Denn im niedersächsischen Landtag hat Umweltminister Hans-Heinrich Sander (FDP) bereits angekündigt, dass er auf das kritische Schreiben der Europäischen Union bis zum 10. Juni zwar antworten wird. Aber die "Stellungnahme wird sicher nicht alle Nachmeldungen enthalten", sagte Sander bei einer Landtagsdebatte, "das kann auch bei der Kürze der Frist gar nicht anders sein". Das Schreiben der Europäischen Union, das der OZ vorliegt, lässt an Klarheit allerdings nichts zu wünschen übrig. Demnach muss das Land Niedersachsen folgende Gebiete nachmelden:
Krummhörn und Westermarsch, einschließlich des Wybelsumer Polders; das Gebiet Norden-Esens; Das Aper Tief in den Landkreisen Leer und Ammerland; das Gebiet Gandersum/Lange Maar und die Nordsee vor den ostfriesi schen Inseln. Dem Brief ist außerdem zu entnehmen, dass dem zuständigen Generalsekretariat der Europäischen Kommission langsam der Geduldsfaden reißt.
Es heißt unter anderem wörtlich: "Die Kommission hält die in der Antwort auf das ergänzende Aufforderungsschreiben vorgebrachten Argumente zum niedersächsischen Fachkonzept sowie dessen Umsetzung weitgehend für nicht überzeugend und die niedersächsische Gebietskulisse nach wie vor für unzureichend."
Am Ende des Briefs, der im übrigen auch den Ländern Baden-Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Schleswig-Holstein und Thüringen Versäumnisse vorwirft, heiß es lapidar: "Die Kommission fordert die Bundesrepublik Deutschland auf, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen."
Für den Wattenrat Ost-Friesland, der die Meldepraxis der Landesregierung schon seit Jahren in aufwändigen Schreiben an die Kommission kritisiert, ist klar: "Minister Sander versucht, mit dem Land oder dem Bund zu pokern und wird dabei verlieren. In zwei Wochen ist 'High Noon'", meint Wattenrat-Sprecher Manfred Knake aus Esens. Er weist darauf hin, dass Deutschland "enorme Strafgelder" zahlen muss, wenn es die Forderungen der EU nicht erfüllt. Das Umweltministerium sieht diese Gefahr nicht.