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Waterkant Nr. 2 Juni 2001


Das Prinzip der guten Nachbarschaft und seine ökonomischen Grenzen Miesmuschel-Krieg im Ems-Dollart-Bereich

Von Manfred Knake
Im Wattenbereich der Emsmündung und des Dollarts ist nicht alles ganz klar: Gemeint ist der Grenzverlauf zwischen den beiden Staaten Niederlande und Deutschland. Und weil das so ist, haben beide Staaten den Ems-Dollart-Vertrag unterzeichnet (1). Das Protokoll sieht das Prinzip der guten Nachbarschaft vor, ebenso das Prinzip der Vorsorge, der Vorbeugung, das Prinzip der Nichterhöhung von Beeinträchtigungen und die Sorge um die Nachhaltige Entwicklung.
Der Artikel 4 des Protokolls sieht unter anderem vor, die Qualität der Sedimente so zu verbessern, dass sie dem Ökosystem nicht schaden, sowie die ökologischen Funktionen in der Emsmündung wiederherzustellen und zu verbessern. Diese Vereinbarung wird von einer deutsch-niederländischen Kommission überwacht.
Am 15. Mai 2001 wurde die gute Nachbarschaft jäh getrübt. An diesem Tag genehmigte das Staatliche Fischereiamt in Bremerhaven drei deutschen Miesmuschelfischereibetrieben in Greetsiel und Norddeich die Fischerei auf Wildmuschelbestände im trockenfallenden Wattenmeer im Bereich der Bänke "Hund" und"Paapsand" im Geltungsbereich des Ems-Dollart-Vertrages. Insgesamt wurden 1000 Gewichtstonnen "Rohware" (Besatzmuscheln) zur Befischung im umstrittenen Grenzbereich freigegeben. Mit der Befischung wurde umgehend und ohne Konsultation der Niederländer begonnen.

Die Proteste erfolgten prompt. Die mitgliederstarke niederländische Wattenschutzvereinigung "Waddenvereniging" informierte umgehend das niederländische Ministerium für Landbau, Naturschutz und Fischerei (LNV). Auf deutscher Seite legte die "Konferenz der Natur- und Umweltschutzverbände Ost-Friesland" Beschwerde bei der Generaldirektion Umwelt der Europäischen Kommission ein. Die niederländische Staatssekretärin im LNV, Geeke Faber, schrieb am 21. Mai an die deutsche Landwirtschaftsministerin, die Bündnis-Grüne Renate Künast, und verwies auf die Hauptgrundsätze des Ems-Dollart-Vertrages.

Nachfolgend einige Auszüge aus dem Brief:
"Meines Erachtens würde gute Nachbarschaft in diesem Zusammenhang bedeuten müssen, dass Genehmigungserteilungen nur durch Beratung und Übereinstimmung mit dem Nachbarland stattfinden können. Die Niederlande haben dieses Gebiet wegen der vorhandenen Naturwerte (Seegrasfelder und stabile Miesmuschelbänke) für die Miesmuschelfischerei geschlossen.
Niederländische Fischer erhalten für diese Tätigkeit dann auch keine Genehmigung. Mittlerweile ist eine der drei Miesmuschelbänke als Folge der von Ihnen erteilten Genehmigung zu 80 Prozent leergefischt. Hierdurch ist dieser stabilen Miesmuschelbank deutlich ein ernster Schaden zugefügt worden. [...] Wegen des ernsthaften Schadens, den diese Befischung verursacht, schlage ich Ihnen vor zu veranlassen, die Befischung sofort, jedenfalls aber vorläufig, einzustellen. Hiernach kann in beiderseitiger Beratung festgestellt werden, wie die Befischung sich mit den übrigen Hauptgrundsätzen der Zusammenarbeit auf diesem Gebiet verhält. Außerdem kann dann gemeinsam beurteilt werden, in welchem Verhältnis die Befischung zu der unmittelbaren Wirkung der EU-Vogel- und Habitatrichtlinie, die dieses Gebiet betrifft, steht."

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Niedersachsen indessen wiegelte ab: Gegenüber der Nachrichtenagentur dpa äußerte sich ein Sprecher des niedersächsischen Landwirtschaftsministerium am 17. Mai.
"Zwar seien", zitiert die Agentur, "auf holländischer Seite Einwände dazu formuliert worden, unter anderem in der Mai-Sitzung der deutsch-niederländischen Grenzgewässerkommission. Die Einwände seien jedoch nicht beachtlich". Das Hannoveraner Ministerium verwies zudem darauf, dass befischbare Brutflächen an der niedersächsischen Küste "erschöpft" seien. Zeitweise haben man als "Not-Plan" erwogen, Muschelbrut aus Irland zu importieren, Gesichtspunkte des Natur- und Artenschutzes sprächen aber gegen eine Import-Lösung (2).
Bemerkenswert ist, dass das Land Niedersachsen bereits 1998 ein so genanntes Miesmuschelmanagement aufgelegt hat, das genau den "Natur- und Artenschutz" zum Inhalt hat. Mit dem Plan ist folgende Absicht verbunden: "Im Rahmen des Managementplanes soll die Genehmigungspraxis und die Entnahme von Besatzmuscheln aus dem eulitoralen Bereich des Wattenmeeres (Anmerkung der Red.: das bei Niedrigwasser trocken fallende Watt) so gestaltet werden, dass bestimmte traditionelle Muschelstandorte mit einem hohen Entwicklungspotential für zunächst fünf Jahre von der Besatzmuschelfischerei ausgenommen werden, um hier eine von der Fischerei ungestörte Entwicklung des Lebensraumes Miesmuschelbank zu ermöglichen. [...] Ziel des Managementplanes ist die wirkungsvolle konfliktlösende Verbindung ökonomischer Erfordernisse und ökologischer Zielvorstellungen.

Hierzu soll einerseits zur Existenzsicherung der Muschelfischereibetriebe eine nachhaltige Nutzung der Miesmuschelbestände ermöglicht und andererseits eine möglichst ungestörte Entwicklung eulitoraler Miesmuschelbänke einschließlich der spezifischen Lebensgemeinschaften gesichert werden. [...] Aufgabe des Naturschutzes im Wattenmeer ist es, die Lebensgemeinschaften zu schützen und die natürlichen Abläufe im Lebensraum zu erhalten. Damit ist die Gewährleistung der natürlichen Entwicklung des Miesmuschelbestandes und seiner spezifischen Lebensgemeinschaften Teil dieses Auftrages. Angesichts des Bestandsrückganges zu Beginn der 90er Jahre gewinnt die ungestörte Entwicklung von Miesmuschelvorkommen besondere Bedeutung"(3).

Wie gefährdet die Miesmuschelbestände im niedersächsischen Watten bereits sind, zeigt ein Bericht der Forschungsstelle Küste (4) des Niedersächsischen Landesamtes für Ökologie (NLÖ): "Die Untersuchung der 20 Miesmuschelbänke/-bereiche zeigt, dass sich die Besatzmuschelgewinnung deutlich auf die weitere Entwicklung junger Miesmuschelbänke auswirkt. Mit einer Ausnahme, bei der die Befischung am kürzesten zurücklag (Hoher Rücken: 4,5 Monate), wiesen alle befischten Vorkommen/-bereiche Beetanteile (Bedeckung) unter vier Prozent auf. Sie waren alle erloschen oder nahezu erloschen."

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Der niedersächsische Landwirtschaftsminister Bartels reagierte damals auf die Veröffentlichung des Dienstberichtes durch die Konferenz der Natur- und Umweltschutzverbände Ost-Friesland "mit Verärgerung"(5).
Den offiziellen Dienstbericht selbst nannte er abwiegelnd und unrichtig "Zwischenbericht" und bewertete ihn in seinem "wissenschaftlichen Aussagewert" als "fraglich": Es gebe "Widersprüche, über die mit den drei Wissenschaftlern diskutiert werden müsse", so Bartels.
Anzumerken ist, dass die drei Wissenschaftler Bedienstete des Landes Niedersachsen sind. Als die Fraktion der Bündnisgrünen im niedersächsischen Landtag Ende Mai 2001 ankündigte, die aktuelle Muschelfangaktion im Emsbereich in der nächsten Umweltausschuss-Sitzung zu erörtern, reagierte der Landwirtschaftsminister wiederum via Presse.

Minister Bartels sehe der verlangten Aufklärung "mit Freude" entgegen, ließ er verkünden. Er sei der Auffassung, das Genehmigungsverfahren sei "für alle Seiten transparent" gewesen. Das Land habe keine andere Wahl gehabt, als den Fischern "die Ernte der Saatmuscheln zuzulassen". Der Anwalt der Fischer (es handelt sich übrigens um den ehemaligen Hamburger Umweltsenator Jörg Kuhbier) habe bereits beim Verwaltungsgericht Oldenburg Klage wegen Untätigkeit der Behörden erhoben. Bartels: "Wir mussten nach deutschem Recht genehmigen".
Dieses vorgeblich "deutsche Recht" wird in den Niederlanden anders bewertet. Die Niederlande kündigten bereits an, den Vorfall auf der nächsten Trilateralen Wattenmeerkonferenz im Oktober in Esbjerg vorzubringen. Deutschland wird dort von Gila Altmann, Bündnisgrüne, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesumweltministerium aus Aurich, vertreten. Diese bezeichnete die deutsche Fangaktion bereits als "bedenklichen Eingriff in das Ökosystem Wattenmeer" und hat bereits Renate Künast um Schlichtung gebeten. (6).

Nach dem Schaden auf den von den Niederländern geschützten Muschelbänken in der Emsmündung wird dann auch der politische Schaden zu messen sein. Durch die Unterstützung der Profitinteressen von drei Fischereibetrieben durch das Land Niedersachsen ist die Glaubwürdigkeit Deutschlands als verlässlicher Vertragspartner im Natur- und Umweltschutz unnötig beschädigt worden.


Quellen:
  • 1. Gesetz zum Ergänzenden Protokoll vom 22. August 1996 zum Ems-Dollart-Vertrag zur Regelung der Zusammenarbeit zum Gewässer- und Naturschutz in der Emsmündung (Ems-Dollart-Umweltprotokoll), verkündet im Bundesgesetzblatt am 12. September 1997 zurück

  • 2. dpa, Bezirksredaktion Oldenburg, 17. Mai 2001, 14.00 h
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  • 3. Miesmuschelmanagementplan des Landes Niedersachsen vom 30. November 1998
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  • 4. Dienstbericht 9/1999 der Forschungsstelle Küste des Niedersächsischen Landesamtes für Ökologie: Einfluss der Besatzmuschelentnahme auf die Entwicklung eulitoraler Neuansiedlung von Mytilus edulis L. im niedersächsischen Wattenmeer
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  • 5. Niedersächsisches Landwirtschaftsministerium, Pressemitteilung vom 13. April 2000
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  • 6. Ostfriesen Zeitung, Leer, 07.06.2001, S.10: Ministerin soll Muschelstreit schlichten

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