Am 17. April 2024, also vor einem Jahr, erstattete Manfred Knake vom Wattenrat Ostfriesland Anzeige bei der Polizei in Wittmund „gegen Unbekannt“ wegen der Abholzung von Bäumen und der Entfernung von Buschwerk an den Teichen in Ostbense/Samtgemeinde Esens. Die Flächen liegen im EU-Vogelschutzgebiet V63 „Ostfriesische Seemarsch von Norden bis Esens“. Der Landkreis Wittmund als Untere Naturschutzbehörde wurde vom Wattenrat über den Sachverhalt informiert. Ein Landkreismitarbeiter reagierte am 18. April 2024 mit dieser Mail:
[…] Der von Ihnen beschriebene Fall ist hier seit Anfang April bekannt. Die
UNB geht der Angelegenheit seitdem nach, steht jedoch noch relativ am
Anfang ihrer Ermittlungen. Da es sich um ein bereits laufendes Verfahren handelt, kann und darf ich Ihnen hierzu leider keine weiteren Auskünfte geben. […]

Teilansicht, Eingriff in das LSG Ostbense/SG Esens, Vogelschutzgebiet V63, im Hintergrund (Bildmitte) liegt das Schutzgebietsschild am Boden – Foto: Manfred Knake
Die Staatsanwaltschaft in Aurich ermittelte anschließend, stellte das Verfahren aber mit Schreiben vom 24. Januar 2025 an den Wattenrat ein (AZ: NZS 210 Js 2518/25). Da es sich um keine Straftat, sondern „möglicherweise“ um eine Ordnungswidrigkeit handele: „Es ist jedoch beabsichtigt, das Verfahren wegen möglicher Ordnungswidrigkeiten an die zuständige Ordnungswidrigkeitenbehörde zur Prüfung abzugeben“. Danach war Funkstille, bis heute.
Umweltinformationsgesetz wird ignoriert
Der Wattenrat bat im Februar und März 2025 (Erinnerungsschreiben) den Landkreis Wittmund unter Berufung auf das Umweltinformationsgesetz um die Beantwortung weiterer Fragen in der Sache, vergeblich. Der Landkreis antwortet nicht mehr, Auszug aus der eMail:
An den Landkreis Wittmund
-Untere Naturschutzbehörde-
Wittmund
Abholzungen im EU-Vogelschutzgebiet V63, Ostfriesische Seemarschen von Norden bis Esens im Bereich der Ostbenser Teiche/SG Esens Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft in Aurich und Rückgabe an den Landkreis
[…]
Die Staatsanwaltschaft Aurich (AZ: NZS 210 Js 2518/25, Schreiben an mich vom 24. Jan. 2025) hat das Ermittlungsverfahren gegen die Verursacherin bekanntlich eingestellt und das Verfahren „wegen möglicher Ordnungswidrigkeiten“ an den Landkreis Wittmund als zuständige Untere Naturschutzbehörde zurückgegeben.
Der Einstellungsbescheid der Staatsanwaltschaft nennt allerdings unter Berufung auf die Auskunft des Landkreises Wittmund nur den möglicherweise beeinträchtigten Kormoran, der jedoch nicht streng geschützt ist. Der mögliche Habitatverlust für streng geschützte Arten wird im Einstellungsbescheid nicht erwähnt und wurde vom Landkreis offensichtlich auch nicht an die Staatsanwaltschaft übermittelt.
Die Liste der im Gebiet zu schützenden Arten findet sich hier: https://www.umweltkarten-niedersachsen.de/Download_OE/Naturschutz/VSG/VSG-V63-Gebietsdaten-SDB.htm.
Die Habitate einiger dieser Arten könnten infolge der Abholzung während der Gast- und Rastperiode eine Verschlechterung ihres Erhaltungszustandes erfahren haben; einige der Brutvogelarten könnten in der jetzt kommenden Brutzeit ebenfalls eine Verschlechterung durch den Habitatverlust erfahren haben.
Eine erhebliche Beeinträchtigung von Erhaltungszielen oder dem Schutzzweck des EU-Vogelschutzgebietes V63 und dessen maßgeblichen Bestandteilen kann daher nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Daher hätte es einer FFH-Verträglichkeitsprüfung bedurft. Das veranlasst mich zu folgenden Fragen unter Berufung auf das Umweltinformationsgesetz:
* Lag dem Landkreis ein Antrag auf Abholzung im Schutzgebiet vor?
* Wurde der Antrag ggf. auch unter Berücksichtigung für den Schutz von besonders und streng geschützten Arten geprüft?
* Wie wurde der Antrag ggf. beschieden?
* Wurde inzwischen ein Ordnungswidrigkeitsverfahren, auch unter der Berücksichtigung des möglichen Habitatverlustes für besonders und streng geschützte Arten, eingeleitet, was dann aber, bei streng geschützten Arten, eine Straftat wäre?
* Wurde die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes nach §2 Abs. 2 des Nieders. Naturschutzgesetzes angeordnet? Ich bitte um eine zeitnahe Antwort.
Freundliche Grüße
Manfred Knake
Wie bereits oben geschrieben: keine Antwort!
Kein Einzelfall, Lokalpresse mauert
Dies ist kein Einzelfall. Vom Wattenrat wurden in den vergangenen Jahren mehrfach Anzeigen gegen die rechtswidrige Entfernung von Hecken, polizeilich aufgenommen, erstattet, alle Anzeigen verliefen im Sande. Seit einiger Zeit greift die Lokalpresse solche Eingriffe nach Hinweisen des Wattenrates nicht mehr auf. Die Redaktion z.B. des Lokalblatts „Anzeiger für Harlingerland“ wurde fast völlig neu besetzt; Kritiker vermuten Absprachen der Verwaltungsspitze mit Redaktionsmitarbeitern.

2023: Totalentfernung einer Hecke (Ausschnitt) auf mehreren hundert Metern in der Gemeinde Holtgast/SG Esens; Anzeige durch Polizei aufgenommen. Keine Antwort auf Fragen nach Verursacher, Wiederherstellung und Ordnungswidrigkeitsverfahren durch den LK Wittmund. – Foto: Manfred Knake
Die Europameisterschaften der Friesensportler im Vogelschutzgebiet
Erinnert sei auch an den Skandal der Europameisterschaften der Friesensportler im Vogelschutzgebiet V3 in Neuharlingersiel zur Brutzeit 2024. Hier konnte der Wattenrat nachweisen, dass eine Genehmigung der Großveranstaltung erst zwei Wochen vor dem Ereignis erteilt wurde, obwohl die Planung schon 2018 begonnen und der Ablauf vom Veranstalter bereits durchorganisiert worden war. Der Genehmigung durch den Landkreis Wittmund lagen keine belastbaren gründliche Erfassungen der Vogelwelt nach der vorgeschriebenen Verträglichkeitsprüfung laut § 34 des Bundesnaturschutzgesetzes zugrunde; der Landkreis nannte das „Verträglichkeitsvorprüfungen“!

10. Mai 2024: sportliche Großveranstaltung im EU-Vogelschutzgebiet V63 bei Neuharlingesiel, direkt an den Schilfgürteln und Gräben – Foto: Archiv Wattenrat
Windkraftanlagen an EU-Schutzgebieten ohne Verträglichkeitsprüfungen
In der Vergangenheit wurden Genehmigungen für Windkraftanlagen ohne die erforderlichen Verträglichkeitsprüfungen erteilt, in unmittelbarer Nähe zu EU-Schutzgebieten, Beispiele hier und hier .

Windpark Utgast/SG Esens, LK Wittmund, nur ca. 250m vom EU Vogelschutzgebiet V63 repowert, ohne ausreichende Verträglichkeitsprüfung. Im Hintergrund der Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer – Foto: Archiv Wattenrat
Der „längste Schwarzbau Deutschlands“ in Bensersiel/Stadt Esens
Ein eklatantes Beispiel ist das Versagen der Kommunalaufsicht des Landkreises Wittmund vor und nach dem Bau der sog. „kommunalen Entlastungsstraße“ Bensersiel/Stadt Esens in einem „faktischen Vogelschutzgebiet“, in dem alle Veränderungen verboten sind. Die zugrunde liegenden Bebauungspläne wurden nach einer Klage des Landeigentümers vom Bundesverwaltungsgericht in Leipzig als „rechtsunwirksam“ verworfen. Der Bund der Steuerzahler monierte den „längsten Schwarzbau Deutschlands“. Dennoch wurde die Straße von der Stadt Esens für den Straßenverkehr freigegeben, weil der ehemalige Kläger und Landeigentümer, der bereits eine Klage für den Rückbau eingereicht hatte, finanziell mit einem Millionenbetrag entschädigt wurde – die Klage wurde zurückgezogen und es gab keinen Kläger mehr. Vorausgegangen war die kritische Berichterstattung in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung, in der auch die Rechtmäßigkeit des Bensersieler Campingplatzes in Frage gestellt wurde.

Blick in das Vogelschutzgebiet V63 bei Bensersiel: illegal gebaute Umgehungsstraße, fragwürde Genehmigungspraxis des Windparks Utgast/Gemeinde Holtgast/SG Esens – Foto: Manfred Knake
Rechtskonformes Verwaltungshandeln?
Kritiker sprechen seit Jahren davon, dass im Landkreis Wittmund Naturschutzbelange nicht mit dem gebotenen rechtskonformen Verwaltungshandeln bearbeitet und gesetzliche Vorgaben für interessengeleitete Vorhaben ignoriert werden. Die Mitarbeiter der Unteren Naturschutzbehörde sind weisungsgebunden und abhängig von den Entscheidungen des jeweiligen Landrats. In Wittmund ist der derzeitige Landrat Holger Heymann. Er ist gelernter Bankkaufmann, Mitglied der SPD, war Bürgermeister der Gemeinde Neuschoo (Samtgemeinde Holtriem) und von 2013 bis 2016 Mitglied des Niedersächsischen Landtages.
Nachsatz:
Wie ein Verwaltungs-Insider berichtet, sei das wenig naturschutzkonforme Verwaltungshandeln nicht allein auf den Landkreis Wittmund beschränkt und fände auch in anderen Landkreisen Niedersachsens statt. Zu beachten ist, dass mit der Auflösung der vier Bezirksregierungen in Niedersachsen zum 01. Januar 2005 durch das Kabinett Christian Wulff, CDU, (der später gescheiterte Bundespräsident) die Zuständigkeiten für die Umsetzung der Natura-2000-Richtlinien der EU (FFH- und Vogelschutzrichtlinie, die Gesetzescharakter haben!) auf die Landkreise übertragen wurden. Dort gerieten sie unter die Räder der oft fachfremden Entscheidungen des kommunalen Klüngels. Die Folgen sind bekannt, siehe oben.