Wattenrat

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Umweltminister Sander als Türöffner für die Tourismuswirtschaft

Gesperrter Weg im Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer bei Dornumersiel wird für den Tourismus "befristet" freigegeben

Hinweis: Dieser Beitrag wurde am 20.02. aktualisiert! (s.u.)

"Wenn ein Erdmännchen pfeift, macht auch Sander Männchen und das Tor auf!"
"Umwelt oder Dummweltminister?"
"Hoffmanns Erzählungen" sind der Arten Schaden.
Anonymus

Quelle: Auszug aus Topografischen Karten des LGN ©

Ein neuer "Böser-Buben"-Streich des unsäglichen "Umwelt"ministers Sander (FDP): Nun wird der letzte gesperrte wattparallele Weg in der strengsten Schutzzone des Nationalparks Niedersächsisches Wattenmeer zwischen Dornumersiel und Neßmersiel (LK Aurich) für den Tourismus geöffnet, und das Gebiet gezielt kaputt gemacht. Bereits 1976, also lange vor der Einrichtung des Nationalparks, als das Gebiet noch keinen Schutzstatus hatte, wurde von der damaligen Bezirksregierung in Aurich laut vorliegendem Vermerk festgehalten, die Wege im Deichvorland östlich von Neßmersiel aus Vogelschutzgründen ganzjährig zu sperren. Die Sperrung wurde vom damaligen Leiter der Küstenschutzbehörde Erchinger unterstützt (Schriftsatz im Wortlaut weiter unten). Nur der fertige Planfeststellungsbeschlus von 1979 des Deichausbaus hatte diese Sperrung nicht mehr explizit im Text stehen, dafür aber der Landschaftspflegeplan von 1977 für den Deichbau im Bereich des Speichersees. Bei Inkrafttreten des Nationalparks 1986 wurde der Weg ganzjährig sogar bis Dornumersiel aus Vogelschutzgründen gesperrt. Das wird nun anders.

Sander nutzt diese Lücke des Planfeststellungsbeschlusses, der den verbindlichen Landschaftspflegeplan nicht mehr erwähnt, bauernschlau aus, um der beantragenden Gemeinde Dornum mit seinem Haupverwaltungsbeamten Erdmann einen touristischen Gefallen zu tun. Die Gemeinde hat in der Vergangenheit immer wieder versucht, das ohnehin bestehende großzügige Wegenetzt noch mehr zu Lasten des Schutzgebietes zu vergrößeren, bis zu Sanders Amtsantritt ohne Erfolg. Auf dem Hauptdeich kann man ungehindert am Rande des Gebietes entlangspazieren. Dass nun eine Ruhezone im Nationalpark mit ihren Brutvögeln durch Touristen mit und ohne Hund, mit und ohne Lenkdrachen erheblich beeinträchtigt wird, weiß jeder, der das Gebiet kennt, auch die Nationalparkverwaltung. Dornumersiel zählt offiziell ca. 240.000 Fremdenverkehrs-Übernachtungen pro Jahr, registriert werden aber nur Häuser ab 9 Betten, die wirkliche Zahl ist also wesentlich höher.

Der Nationalpark ist FFH-Gebiet, EU-Vogelschutzgebiet und geschützt nach dem Ramsar-Feuchtgebietsabkommen. Da geht es nicht um Herrn Sanders oder seines ministeriellen Einflüsterers Hoffmanns "Meinungen", sondern um naturschutzfachliche Fakten wie Fluchtdistanzen, Gelegezerstörungen oder stärkeren Prädatorendruck. Und wirksam kontrollieren wird die befristete Öffnung niemand.

(Aktualisiert!) Es wäre wahrlich ein ganz schlechter Einstand für den neuen Nationalparkleiter Peter Südbeck, dem als ehemaligem Leiter der staatlichen Vogelschutzwarte die vogelkundliche Datenlage zwischen Dornumersiel und Neßmersiel sehr wohl bekannt sein müsste, wenn er angeblich diese Wegeöffnung "nach Absprache" laut Zeitungsberichterstattung mit gebilligt haben sollte.

Das soll nach Insider-Berichten allerdings nicht so sein. Nach uns vorliegenden Informationen war die fachliche Stellungnahme der Nationalparkverwaltung eindeutig und hat die Wegeöffnung wegen der erheblichen Beeinträchtigung von Brut- und Rastvögeln nicht empfohlen.

So bleibt als Falschinformant der Presse eigentlich nur der Umweltminister Sander mit seinem Souffleur, dem Abteilungsleiter Bernd Hoffmann, der von Sander als "unsere Fachleute" genannt wird, übrig. Hoffmann war zu DDR-Zeiten Mitarbeiter in einer LPG für Tierproduktion und Tierpfleger für Huftiere im Zoo Leipzig; er kam in den Siebzigern nach Hannover, arbeitete zunächst in der staatlichen Vogelschutzwarte, war gut bekannt mit der damaligen Ehefrau des früheren Ministerpräsidenten Gerhard Schröder und machte schnell Karriere im Umweltministerium. Hoffmann berät Sander. Wenn er tatsächlich als Fachmann gelten will, müssten ihm die Auswirkungen des Besucherverkehrs auf Brutvögel bekannt sein. Er müsste auch wissen, dass im Mai und September ein Durchzugsmaximum für bestimmte Watvogelarten an der Küste zu beobachten ist, also auch Gastvögel durch die vorgesehen Wegenutzung von April bis September beeinträchtigt werden.

Die tatächlichen Fachleute beim Landkreis Aurich, der Nationalparkverwaltung und die Beobachter vor Ort lehnen die Wegeöffnung aus Kenntnis der Wertigkeit dieser Fläche einhellig ab.

Die gleiche Öffnungs-Nummer hat Sander im Naturschutzgebiet "Petkumer Deichvorland" bei Emden, Teil eines "Besonderen Schutzgebietes" nach der EU-Vogelschutzrichtlinie, durchgezogen. Auch dort wurde ein Weg auf Druck seines örtlichen Parteifreundes Erich Bolinius befristet für den Besucherverkehr geöffnet. An die Regeln hält sich dort niemand, der Weg wird ganzjährig belaufen und befahren; eine Kontrolle findet nicht statt. 90 von 200 Hektar dort wurden für Brut- und Rastvögel, gutachterlich bestätigt, entwertet. Das örtliche Residenzblatt redet im Verlautbarungsstil die Zustände schön, die desolate Naturschutzwirklichkeit findet in der gedruckten Öffentlichkeit nicht mehr statt. (Siehe auch: Petkumer Deichvorland: Freigabe ein "Akzeptanzproblem" auf diesen Seiten.)

Minister Sander ist sich wieder treu geblieben: Der öffenliche Applaus, nach dem er ständig grinsend schielt, ist ihm sicher. "Menschen in die Natur bringen", die in der Mehrzahl keinen Haus- von einem Feldspatz unterscheiden können, und das ausgerechnet in Schutzgebiete, deren einzelne Arten sich bei Annäherung des ungebetenen Besuches schleunigst in die Lüfte erheben und dann unsichtbar werden. Die Tourismusindustrie frisst seit Sanders Amtsantritt skrupellos die letzten ruhigen, eigentlich geschützten Flächen, in Dornumersiel sogar ohne vorgeschriebenen Verträglichkeitsprüfung nach dem Bundesnaturschutzgesetzt und ohne Beteiligungsverfahren für die Naturschutzverbände, die seit langem stumm im Nationalpark sind. Es geht inzwischen nur noch um "Meinungen", nicht um längst bekannte wissenschaftlich nachprüfbare Fakten der Störungen von wildlebenden Tieren in Schutzgebieten.

Wir zitieren aus der Ostfriesen Zeitung vom 24.01.2006:

Minister: Deich wird von März bis September geöffnet

NATURSCHUTZ Strecke zwischen Dornumersiel und Neßmersiel darf nur von Fußgängern benutzt werden

Zuvor hatte Hans-Heinrich Sander prüfen lassen, ob Vögel im Deichvorland gestört werden könnten. Dies gilt jedoch nur für Rastvögel in den Wintermonaten.

Schortens /LÜP - Der Sommerdeich zwischen Neßmersiel und Dornumersiel wird vom 1. April bis 30. September für Fußgänger geöffnet. Einen entsprechenden Erlass hat das niedersächsische Umweltministerium nach Absprache mit der Nationalparkverwaltung beschlossen. Wie Umweltminister Hans-Heinrich Sander gestern in einem Gespräch mit der Ostfriesen-Zeitung sagte, gilt dieser Erlass zunächst für dieses Jahr, soll aber in jedem Jahr gelten, falls die Fußgänger die Vogelwelt in dem Schutzgebiet nicht erheblich stören.

Der Sommerdeichweg darf dem Erlass zufolge nur von Fußgängern benutzt werden. Dieses war bislang verboten. Die Gemeinde Dornum, insbesondere Gemeindedirektor Dieter Erdmann, hat sich seit einiger Zeit dafür eingesetzt, den Deich wieder zu öffnen. Vor allem aus Sicht des Tourismus sei dies wünschenswert, hatte Erdmann argumentiert (die OZ berichtete).

Wie Sander sagte, wurde zunächst geprüft, ob der Planfeststellungsbeschluss für das Schutzgebiet eine Öffnung unmöglich macht. "Dies war jedoch nicht eindeutig ausgeschlossen", sagte Sander. Deshalb hätten anschließend Fachleute geprüft, ob eventuell Brut- und Rastvögel von den Fußgängern gestört werden könnten.

Die Deichvorlandflächen zwischen Dornumersiel und Neßmersiel sind Brut- und Nahrungslebensraum für mehrere Wat- und Wasservogelarten sowie Wiesenvögel. Sofern die Öffnung nur für den Sommerdeichweg im genannten Zeitraum gelte, hatten die Experten keine Bedenken.

Dass der Deich von Oktober bis März gesperrt bleibt, liegt an dem Vorkommen etlicher nordischer Gastvögel im Winter. Besonders empfindlich auf Störungen durch Menschen reagierten die Nonnengans und der Goldregenpfeifer. Blieben die Vögel im Deichvorland ungestört, würden sie gleichzeitig weniger Schäden auf Ackerflächen anrichten. Die zeitliche Einschränkung habe sich auch an der Unterelbe bewährt.

"Unsere Fachleute haben dem alle zugestimmt", sagte Sander. Er wisse nicht, wen man sonst noch nach seiner Meinung fragen müsse. Hätte es aus ökologischer Sicht Bedenken gegeben, hätte er einer Öffnung nicht zugestimmt. Doch Sanders Meinung nach ist es "immer gut, die Menschen in die Natur zu bringen".

Nachstehend der aktuelle Erlass des Niedersächsischen Umweltministeriums zur Wegezulassung im Nationalpark, adressiert an die Nationalparkverwaltung in Wilhelmshaven. Das ist die in der Presse geäußerte vorgebliche "Absprache" mit der Nationalpark-Verwaltung! Ergänzung: Am 30. Januar 2006 erhielten wir eine Mail eines Mitarbeiters des Niedersächsischen Umweltministeriums mit folgendem Wortlaut

[...]Ich bin verwundert, dass Sie einen Erlass vom 04. Januar 2006 zur Öffnung des Sommerdeichwegs in Neßmersiel kritisieren und sogar in Ihrer Homepage veröffentlichen, den es in dieser Form überhaupt nicht gibt. Der Erlass zur Wegeöffnung wurde erst am 24. Januar 2006 offiziell der Nationalparkverwaltung zugesandt und unterscheidet sich wesentlich von der von Ihnen erwähnten Version (Entwurf) vom 04. Januar 2006. [...] Ich möchte Sie bitten, den Erlass-Entwurf vom 04.Januar 2006 nicht weiter zu veröffentlichen und als Grundlage für Ihre Kritik zu verwenden[...]

Fakt ist, dass der hier veröffentlichte Erlass nicht als "Entwurf" deklariert war. Der Wattenrat hat den neuen Entwurf inzwischen vom Umweltministerium angefordert und wird den alten Erlass so lange auf dieser Seite stehen lassen.

Vor dreißig Jahren, am 07. Juli 1976, wurde die Nutzung der Vordeichsflächen bei Dornumersiel, die damals noch keinen Schutzstatus hatten, gänzlich anders bewertet. Im Vorfeld des Deichneubaus bei Neßmersiel wurden sowohl von der damaligen Landespflegebehörde der Bezirksregierung Weser-Ems (Dr. Helbing, zehn Jahre später erster Nationalparkleiter) und dem damaligen Leiter des Institutes für Vogelforschung, Dr.Friedrich Goethe, als DEM Fachmann für den Küsten- und Seevogelschutz, die Anregung eingebracht, das Betreten der Vorländereien und jede gezielte Öffnung für den Erholungsverkehr zu unterlassen. Diese "Anregungen, sind "bei der weiteren Entwurfsplanung zu berücksichtigen", so der damalige Regierungspräsident.

Auch der Landschaftspflegeplan der Deichbaumaßnahme von 1977 sieht ausdrücklich vor, "jegliche Nutzung" von Flächen im westlichen Bereich des Weges bei Neßmersiel um den Speichersee "fernzuhalten" (S.7).

Heute werden fachliche fundierte Stellungnahmen durch ideologisch und politisch motivierte "Meinungen" eines Umweltministers und seiner Souffleure ersetzt ("Menschen an die Natur heranführen"), die ausschließlich öffentlichkeitswirksam durch seine nachgeordneten Behörden umzusetzen sind. Welch ein Verfall und Degradierung des fachlichen Naturschutzes!

 
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