Flachwurzler

Die Woche, 20. Dezember 1996

STERNS    KOLUMNE
Flachwurzler
Die Lebensgrundlagen der Grünen sind nicht mehr identisch mit den Lebensgrundlagen der Natur

Die Partei der Grünen scheint ihren Herbst erreicht zu haben. Grün ver­gilbte zu Gelb, der Farbe der Wirt­schaft und des Geldes. Es herrscht Nebel, der die programmatischen Konturen auflöst, alles Hochfliegende ist auf dem Wegzug. Das im Sommer der Parteigeschichte angesammelte (Stimmen-)Fett macht fit – für den Winter­schlaf, aus dem man 1998, wenn wieder ge­wählt wird, zu neuem Leben zu erwachen hofft. Bis dahin stehen die Grünen auf dem Schlauch – einem, an dessen Hahn die SPD herumfingert. Die einstmals bösen Buben der  deutschen Politik gerieten zu Bübles; wie alle andern reden sie nun fast nur noch vom Geld: Steuern, Finanzen, Lohnkosten, Markt. Die Ökologie liegt – wie die Turnschuhe – ver­gessen im Schrank. Der Haushalt, den die Grünen meinen, ist nicht der Haushalt der Natur, Sie attackieren nicht Angela Merkel und ihr heuchlerisches neues Gesetz zum Schutz der Natur, das den Bock Landwirt­schaft weiterhin zu deren Gärtner macht, sie rempeln Theo Waigel an. Nicht Bauernminister Jochen Borchert führen sie vor, wegen der fortbestehenden Unmenschlichkeit seines neuen Tier­schutzgesetzes, sie streiten mit Volker  Rühe wg. Bosnien. Sie beten an die Macht der Mini­sterpfründe  und ziehen  keinen  der Ihren zurück. Auch nicht den, der als Ju­stizminister in Hessen politisch diskret blieb, als sein ober­ster Richter mit links Millionen einstrich.  Den Schutz der von al­len gern so genannten Lebensgrundlagen de­legieren sie an die Presseabteilung. Ihr ökologisches Gewissen traten sie an Green­peace ab.

Was Wunder. Ihre Klientel sind die auf­strebenden 35- bis 45-Jährigen sowie die von ihrer eigenen politischen Vergangen­heit   gelangweilten 68er, die sich ihren Protest gegen die Ölverschmutzung der Meere einen Umweg von der Shell- zur Aral-Tanksteile kosten lassen.  Die einen BUND-Aufruf gegen die Magnetschwebebahn unterzeichnen, und dann, wenn sie fährt, einzusteigen. Die mit Monika Griefahn für die „ökologische“ Energiegewinnung aus Wind­kraft votieren, ohne sich darum zu scheren, dass die allenthalben im Norden zu „Windparks“ anwachsenden Mühlenmonster den deutschen Küstenlandschaften den Charakter rauben; ist die Toskana doch auch eine schöne Gegend.

Ich wage eine Prophezeiung: Der nächste Kanzlerkandidat der SPD heißt- nolens volens – Gerhard Schröder. Er hat mit den Grünen so wenig am Arbeitgeberhut wie die Union. Die Wahl kann er nicht gewinnen. Es kommt zur Großen Koalition. Sie wird das Wahlrecht ändern, FDP und Grüne als die beiden großen, schon lange irritierenden Läu­se im Hermelin der Macht erreichen im Bun­destag nicht mehr die willkürlich heraufge­setzte Mindestzahl der Mandate. Die Krähen hacken hinfort einander kein Auge mehr aus.

So möglich wie schlecht. Man wird darum – vermehrt – Grün wählen müssen. Und wer weiß, vielleicht besinnen Fischer, Sager, Trit­tin & Co sich ja auf ihre Wurzeln und erken­nen, dass diese mittlerweile so flach verlaufen wie die der ökologisch instabilen, vorwiegend des Geldes wegen angebauten Fichte.