In Niedersachsen ist das Wattenmeer als Nationalpark ausgewiesen, und als „Weltnaturerbe“, in den Niederlanden ist das Wattenmeer kein Nationalpark, aber ebenfalls „Weltnaturerbe“. Zum Wattenmeer gehören die Salzwiesen vor den Deichen, heute nur Restflächen von ehemals riesigen Flächen, die nach und nach eingedeicht und der landwirtschaftlichen Nutzung zugeführt wurden, in den Niederlanden wie in Deutschland. Seit 1940 verschwanden von Dänemark bis in die Niederlande 216 qkm Salzwiesen hinter den Deichen, 1987 waren noch 329 qkm Salzwiesenflächen in diesen drei Ländern übriggeblieben (Quelle: The Waddensea, status and developments in an international perspective, Report to the Sixth Trilateral Governmental Conference on the Protection of the Wadden Sea, Esbjerg, November 13, 1991, p. 22).
Der Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer wurde 1986 eingerichtet, nur ein kleiner Teil der Salzwiesen wurde bis heute in einen naturnahen Zustand zurückversetzt, und immer nur als Kompensation für Eingriffe an anderer Stelle. Der größte Teil der Salzwiesen befindet sich in einem degenerierten Zustand: zu starke maschinelle Entwässerung durch engstehende parallele Gräben (Grüppen), in der Regel in 10 m Abstand, dadurch Austrocknung, in der Folge Strandquecke als dominierende Vegetation der oberen Salzwiesenbereiche. Die Begründung: Der Deichfuß muss aus Scherheitsgründen trocken bleiben. Diese Begründung ist zwar richtig, aber der Deichfuß muss nicht in dieser Intensität mit einem Grabensystem von nur 10 m Abstand entwässert werden. Zudem werden auch Salzwiesen völlig unnötig vor Sommerdeichen begrüppt. Sommerdeiche wurden in den 1930-Jahren vom Reichsarbeitsdienst gebaut, um das Weidevieh vor Sommerhochwassern zu schützen. Durch diese starke Entwässerung verschwinden die typischen Salzwiesenpflanzen und die darauf spezialisierten Insekten, für Brut- oder Rastvögel ist diese Queckensteppe weitgehend unattraktiv, Gänse weichen auf landwirtschaftliche Nutzflächen aus. Die Gräben mit den steilen Wänden sind Todesfallen für Jungvögel der Bodenbrüter, die die steilen Grabenwände nicht überklettern können. Die Vermutung liegt nahe, dass mit der Intensivbegrüppung nur das Kettenfahrzeug mit der Grüppenfräse ausgelastet werden soll. In den Niederlanden nimmt man den Schutz und die Entwicklung der Salzwiesen ernster. Zunächst werden die flachen Sommerdeiche vor den eigentlichen Hauptdeichen, die einmal zum Schutz des Weideviehs gebaut wurden, nicht mehr unterhalten, sie verfallen. Dadurch gelangen die dahinterliegenden Salzwiesen vermehrt unter den Tideeinfluss. Die Salzwiesen werden nicht mehr mit Gräben in engen Abständen intensivst begrüppt und zeigen eine deutliche naturnahe Entwicklung, sogar große Brackröhrichtflächen sind vorhanden. Ein Blick aus der Luft macht den Unterschied deutlich. Google-earth zeigt die Staatsgrenzen zwischen Deutschland im Osten und den Niederlanden im Westen. Die Staatsgrenze trennt deutlich den unterschiedlichen Nutzungsgrad: in Deutschland entwässerte und degenerierte Salzwiesen mit einem viel zu engen Grüppensystem, in den Niederlanden naturnahe Salzwiesen und Brackröhrichte mit weit auseinanderliegenden Entwässerungssystemen, weitgehend ohne menschlichen Einfluss.
Das macht deutlich, wer in Deutschland über den Zustand dieser strengsten Schutzzonen im Nationalpark (Ruhezonen) das Sagen hat: Wasserbauingenieure und Verwaltungen, die zwar im Namen den Naturschutz führen, aber diesen nicht annähernd angemessen umsetzen.
Zu nennen sind der Niedersächsische Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) und die Abteilung 2 im Niedersächsischen Umweltministerium „Naturschutz, Wasserwirtschaft, Bodenschutz“. Unterstützt werden die staatlichen Küstenschützer von den Landwirten, die in den Deichunterhaltungsverbänden tätig sind; auch hier sind es nur die Nutzungsaspekte, die stets im Vordergrund stehen.
Das immer wieder gebrauchte Totschlagargument gegen die naturnahe Salzwiesenentwicklung ist der nasse Tod durch unsichere Deiche, der Untergang ganzer Landstriche. Die Nationalparkverwaltung in Wilhelmshaven als Wurmfortsatz des Ministeriums hat sich bis heute nicht gegen die Übermacht der Wasserwirtschaft und der Deichverbände im Lande durchsetzen können. Ein qualifiziertes Salzwiesenmanagement findet nur rudimentär statt, desolate Zustände werden schöngeschrieben.
Aber auch ohne den Nationalpark sind die Salzwiesen nach dem Bundesnaturschutzgesetz geschützt, ebenso nach der Flora-Fauna-Habiatrichtline der Europäischen Union, die die Verbesserung des Erhaltungszustandes vorschreibt. Für ein „Weltnaturerbe“ und die Ansprüche der Natura-2000-Richtlinien der EU ist der Zustand vieler Salzwiesen nicht akzeptabel. Verbesserungen sind gegenwärtig nicht in Sicht, auch nicht unter einem derzeit „grünen“ Umweltminister und mit 15 „anerkannten“ Naturschutzverbänden in Niedersachsen!