UNESCO-Weltnaturerbe Wattenmeer: ein Jahr Etikettenschwindel

Ein Jahr UNESCO-„Weltnaturerbe“ kein Grund zum Feiern
Inhaltsleere Sander-Propaganda statt Naturschutz

Auch ein Jahr nach Ausweisung des Nationalparks Niedersächsisches Wattenmeer als UNESCO-„Weltnaturerbe“ gibt es nichts zu feiern,  die vorgeblich „positive Bilanz“ [ganz unten] des niedersächsischen Umweltministers Sander ist keine.  Das Weltnaturerbe-Etikett wurde ausschließlich von der Tourismusindustrie ausgeschlachtet, um noch mehr Touristen an die Küste zu locken, hat aber für die Tier- und Pflanzenarten im Großschutzgebiet Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer keine messbaren Verbesserungen gebracht.

Entfernung von Stacheldrahtzäunen: Sicherlich ist es positiv zu bewerten, dass 24 Jahre nach der Einrichtung des Nationalparks endlich damit begonnen wird, die für viele Vogelarten tödlichen Stacheldrahtzäune zu entfernen. Es wurden aber bisher nur wenige Kilometer mit großem Pressebegleitung entfernt, hunderte von Kilometern Stacheldraht auf den Inseln und dem Festland warten noch auf den Austausch gegen glatten Walzdraht.

Schutz von Strandbrütern und Rastvögeln: Vereinzelte Bruterfolge durch isolierte Renaturierungsmaßnahmen wie in der Krummhörn/LK Aurich sind kein Indiz für die Erholung der hochgradig bedrohten Strandbrütern. Der Massentourismus lässt Strandbrütern kaum eine Chance. Seeregenpfeifer, Sandregenpfeifer oder Zwergseeschwalben gehören nachweislich zu den Verlierern im  EU-Vogelschutzgebiet Wattenmeer.

Schutz von Großsäugern, Kegelrobben auf der Kachelotplate: Die langjährige positive Entwicklung der Kegelrobbenpopulation gerade auf der Kachelotplate bei Juist hat nicht mit dem Weltnaturerbe zu tun. Durch die relative Ungestörtheit der für Fußgänger unzugänglichen Sandplate haben Kegelrobben und Seehunde hier Ruhe, dennoch landen noch regelmäßig Sportbootfahrer dort an und sorgen für Stress.

Salzwiesen: Durch völlig überzogene Unterhaltungsmaßnahmen der Salzwiesen mit Ketten getriebenen Grabenfräsen werden die geschützten Salzwiesen vielerorts stark zerfahren und entwässert; die Salzpflanzenflora ist häufig einer monotonen Verqueckung gewichen. Eine vernünftiges Salzwiesenmanagement der Nationalparkverwaltung ist nicht erkennbar. Eine moderate, extensive Schafbeweidung unter Aufgabe oder Einschränkung der Entwässerung der Salzwiesen würde die Situation erheblich verbessern.

EU-Richtlinien: Auch ohne das Etikett „Weltnaturerbe“ ist das Land Niedersachsen mit Herrn Sander als Umweltminister verpflichtet, den Erhaltungszustand des Wattenmeeres durch verbindliche europäische Vorgaben der Flora-Fauna-Habitat- und EU-Vogelschutzrichtline zu verbessern. Dazu gehören auch der Abbau von Stacheldrahtzäunen, Verbesserung der Lebensbedingungen für Brut- und Rastvögel und Meeressäuger und der Erhalt der Salzwiesenflora, ganz ohne Welterbe-Etikett. Die Vogelschutzrichtlinie gilt seit 1979, die FFH-Richtlinie seit 1992.

Das Land Niedersachsen hat bisher viel unternommen, um die Umsetzung der EU-Richtlinien in nationales Recht zu verwässern. Im Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer wurden gerade im letzten Jahr seit Bestehen des UNESCO-Weltnaturerbes in zahlreichen Schutzzonen des Nationalparks Flächen für Kitesurfer genehmigt, obwohl das Nationalparkgesetz die Verwendung von Drachen in diesen Zonen ausdrücklich verbietet . Die nach dem Bundesnaturschutzgesetz vorgeschriebenen Verträglichkeitsprüfungen wurden nicht durchgeführt. Kitesurfer verscheuchen empfindlich Vogelarten auf große Distanzen.

Ranger, Betreuung und Überwachung: Auch die Aufsicht und Betreuung im Nationalpark ist nach wie vor völlig unakzeptabel: Bei 37 Millionen Tourismusübernachtungen jährlich von Cuxhaven bis Emden sollen fünf hauptamtliche Dünenwärter auf den Inseln auf 2.800 qkm Nationalparkfläche für Ordnung sorgen, ohne Kompetenzen und Boote, ein hoffnungsloses Unterfangen. Umweltminister Sander ist ein Meister der inhaltsleeren Naturschutzpropaganda im Lande, aber genauso die krasseste Fehlbesetzung als Umweltminister seit Jahrzehnten.

Salzeinleitung und Hafenschlickverklappung: Durch die Kavernenausspülung im Rheiderland gelangt eine enorme zusätzliche Salzfracht in das Wattenmeer, die an der Knock bei Emden eingeleitet wird. Ständig wird Hafenschlick in das Wattenmeer eingespült, die Wattenmorphologie hat sich z.B. bei Juist schon erheblich negativ verändert.

Das Magazin „Focus“ hatte bereits am 21. Juni 2010 ausführlich über das Etikett Weltnaturerbe berichtet:
http://www.focus.de/reisen/reisefuehrer/deutschland/wattenmeer-was-das-unesco-wapperl-bringt_aid_521770.html

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Pressemitteilung des nieders. Umweltministeriums vom 23. Juni 2010

Ein Jahr UNESCO-Weltnaturerbe Wattenmeer
Minister Sander zieht positive Bilanz: Erwartungen wurden übertroffen

Pressemitteilung Nr. 61/2010

HANNOVER. Ein Jahr nach Anerkennung des Wattenmeeres zum
UNESCO-Weltnaturerbe (am 26.06.2009) hat der Niedersächsische Minister
für Umwelt und Klimaschutz, Hans-Heinrich Sander, heute (Mittwoch)
eine positive Bilanz gezogen: „Die Auszeichnung des Wattenmeeres zum
Weltnaturerbe vor genau einem Jahr ist für uns ein zusätzlicher
Ansporn, den weltweit einzigartigen Lebensraum für die zukünftigen
Generationen zu bewahren und zu schützen“, betonte Sander. Diese
Verantwortung sei auf einer breiten gesellschaftlichen Ebene
verschiedenster Akteure mit Begeisterung aufgenommen und umgesetzt
worden.

Sander: „Die Anerkennung des Wattenmeeres belohnt die Menschen an der
Küste und auf den Inseln, die das weitreichende Entwicklungspotential
erkannt und positiv umgesetzt haben.“ Diese Erfolgsbilanz zeigt sich
unter anderem in den Bereichen Natur- und Artenschutz,
Umweltinformation, nachhaltiger Tourismus sowie in der Stärkung der
regionalen Entwicklung im Einklang mit der Natur. „Mein Dank gilt
allen Menschen, die zu dieser positiven Bilanz beigetragen haben und
auch unseren Mitarbeitern der Nationalparkverwaltung“, betonte Sander.

Das Wattenmeer zeigt auf einmalige Weise, wie sich Pflanzen und Tiere
an die ständig wechselnde Landschaft anpassen. Zwischen Ebbe und Flut,
an der Schnittstelle von Land und Meer, wo Süßwasser und Salzwasser
aufeinandertreffen, leben viele speziell an diesen Lebensraum
angepasste Arten. Mit verschiedenen Maßnahmen im Naturschutz trägt das
Land Niedersachsen durch die Nationalparkverwaltung dafür Sorge, dass
dieser einzigartige Lebensraum gesichert und weiter entwickelt wird.
Hier einige Beispiele:

Schutz von Greifvögeln und Eulen: Stacheldrahtzäune sind tödliche
Fallen für die tief fliegenden Jäger. Die Stacheldrahtzäune um
Viehweiden werden daher sukzessiv gegen Glattdraht ausgetauscht. Die
bislang umfangreichste Maßnahme wurde Ende April auf Borkum fertig
gestellt.

Schutz für Großsäuger: Kolonien von Kegelrobben befinden sich auf der
unbewohnten Kachelotplate – aber auch die touristisch genutzten Inseln
werden als „Kinderstube“ genutzt. Wird hier ein Jungtier am Strand
entdeckt, wird der Liegeplatz mit einem mobilen Zaun- und
Beschilderungssystem gegen Störungen abgeschirmt. Mitarbeiter der
Nationalparkverwaltung informieren und sensibilisieren für den Sinn
der Schutzmaßnahmen. Für die Liegeplätze der Seehunde und Kegelrobben
wurden auf dem Hohen Riff vor Borkum Beobachtungsmöglichkeiten mit
Info-Tafeln geschaffen. Zur Beobachtung der Schweinswale bietet das
Nationalparkzentrum Wilhelmshaven Exkursion (Whale-Watching-Touren) an.

Schutz von Strandbrütern und Rastvögeln: Durch Schaffung von
Brutbiotopen an der Krummhörner Küste sind in diesem Jahr erstmals
wieder Küken der stark bedrohten Sandregenpfeifer flügge. Durch
Besucherlenkungen werden brütende Vogelarten am Strand und an
Hochwasserrastplätzen auf Spiekeroog, Norderney und Langeoog durch
Störungen von Spaziergängern bewahrt.

Wiederherstellung naturnaher Salzwiesen durch Rückbaumaßnahmen des
Entwässerungssystems sowie Schutz der feuchten Dünentäler.

Die gemeinsame Verantwortung des Deutsch-Niederländischen
Welterbegebietes verstehen die Mitwirkenden (Niedersachsen,
Schleswig-Holstein und die Niederlande sowie die Tourismus- und
Naturschutzverbände) als länderübergreifende Kooperation:

Durch eine trilaterale Informationskampagne mit verschiedenen
Elementen (mehrsprachige Wanderausstellung, Broschüren, Poster und
Info-Filme sowie ein gemeinsamer Internet-Auftritt) und der
Entwicklung eines einheitlichen Logos wird das Prädikat
UNESCO-Weltnaturerbe in die Welt getragen. Die Nationalparkverwaltung
hat maßgeblich an der Konzeption der Internetseite
www.weltnaturerbe-wattenmeer.de mitgewirkt.

Zum Thema Weltnaturerbe finden Messepräsentationen sowie vielfältige
Informationsveranstaltungen statt. Beispielsweise die Zugvogeltage,
die aufgrund der großen Resonanz im Herbst mit dem Schwerpunkt
Biodiversität wiederholt werden sowie thematische Angebote für Kinder,
Familien und Schulklassen. Parallel wird der Ausbau zertifizierter
Naturerlebnisangebote forciert.

Gemeinsame Aufklärungskampagnen in allen Nationalparkhäusern zum
Thema Weltnaturerbe.

„Für die Küstenregion ist der Welterbetitel ein außerordentlicher
Imagegewinn, neue Perspektiven für den Naturtourismus werden dadurch
eröffnet“, unterstrich der Minister. Die von der UNESCO geforderte
Entwicklung einer nachhaltigen Tourismusstrategie bietet die Chance
für die Region, sich von anderen Erholungsgebieten mit einem
Alleinstellungsmerkmal zu unterscheiden. Gemeinsames Ziel ist es,
einen Tourismus zu etablieren, der die Aspekte Naturverträglichkeit,
Naturerlebnis und Nachhaltigkeit in einem Partnernetzwerk integriert.
Das intensive Natur erleben wird ermöglicht, ohne die Schutzziele des
Nationalparks außer Acht zu lassen:

In 24 Insel- und Küstengemeinden sind im vergangenen Jahr im Rahmen
einer Vortragsreihe der Nationalparkverwaltung und des
Tourismusverbandes „Die Nordsee GmbH“ insgesamt mehr als 2.500
Mitarbeiter von Kurverwaltungen, der Gastronomie- und
Beherbungsbetriebe sowie Gästeführer und offizielle Ansprechpartner
rund um das Weltnaturerbe geschultworden. Anspruch ist es, Küsten- und
Inselbesucher auf verschiedenen Ebenen qualifiziert und umfassend zu
informieren.

Das Land Niedersachsen unterstützt auch mit finanziellen Mitteln die
Konzeption von Natur-Erlebnistouren und Naturerlebnis-Pfaden sowie von
Aussichtstürmen und Beobachtungsstationen.

Im Haushaltsjahr 2010 sind für das Programm „Natur erleben“ vom
Niedersächsischen Landtag zusätzlich 300.000 Euro zur Förderung des
Naturerlebens im niedersächsischen Teil des Weltnaturerbe-Gebietes
bereitgestellt worden. Damit werden Mittel des Europäischen Fonds für
regionale Entwicklung (EFRE) durch das Land Niedersachsen kofinanziert:

Zurzeit sind zehn Projekte an der Küste und auf den Inseln mit einem
Gesamtvolumen von über 840.000 Euro in der Planung. Auf der Insel
Juist entsteht beispielsweise der Otto Leege Pfad, der den Besuchern
die Natur einer Düneninsel und des angrenzenden Wattenmeeres in ihren
komplexen ökologischen Zusammenhängen näher bringen soll. Das Projekt
wird mit einer Summe von rund 108.340 Euro gefördert.

Im Rahmen des Bundesinvestitionsprogramms für nationale
UNESCO-Welterbestätten stehen insgesamt rund 70 Millionen Euro für
alle Welterbestätten in Deutschland zur Verfügung. Aus dem
niedersächsischen Wattenmeergebiet haben sich 24 Kommunen für Projekte
beworben. Insgesamt wurden 58 Vorhaben mit einem Gesamtvolumen von
über 51,5 Millionen Euro eingereicht. Mit einer Entscheidung durch den
Bund ist Ende Juli 2010 zu rechnen.

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