Schöne Fernsehbilder aus Ostfriesland: Die Kunst des Wegsehens

Screenshot_Bildzitat: WDR-Sendung 10. Sept. 2013

Am 10. September 2013 wiederholte das WDR-Fernsehen einen Film des NDR aus dem Jahr 2007:

Ostfriesland

Sieben Inseln und ein Meer (2007)

„Ostfriesenwitze kennt jeder. Kaum ein Landstrich Deutschlands ist so klischeebehaftet wie Ostfriesland. Seine Bewohner gelten als verschrobene, schweigsame Teetrinker, das Land als rau und spröde. Ostfriesland, die Halbinsel zwischen Jade und Ems ist tatsächlich etwas Besonderes, ein eigenwilliger Landstrich mit vielen Gesichtern.[….]“

Nur: In Szene gesetzte Halbwahrheiten sind eben keine Wahrheiten. Nicht nur mit Worten, auch mit Bildern kann man lügen. Dieser Film bedient genau die Klischees, die die Ankündigung nennt.

Das wirkliche Gesicht Ostfrieslands enstpricht seit langem nicht mehr der immer noch medial gepflegten Bilderbuchidylle, Ostfriesland ist in großen Teilen ein riesiges Industriegebiet geworden. Die riesigen Wind“parks“ an der Küste, auch in Vogelschutzgebieten, kommen im Film nicht vor, die allgegenwärtigen Windkraftanlagen sieht man nicht. Dafür werden einige der schönen noch erhaltenen historischen Windmühlen gezeigt. Landwirte werden als Retter von Greifvögeln in Getreidefeldern dargestellt, die nach dem Ausfliegen gleich nebenan von Windkraftanlagen erschlagen werden. Das Aussterben der Wiesenbrüter durch die industrielle Landwirtschaft fehlt, dafür nur heile Bauernwelt. Es fehlen die Maissteppen für Biogasanlagen, mit der Folge von güllgeschwängerter Luft und Böden und der Gefahr der Grundwasserbelastung. Diese Felder stinken nicht nur in Ostfriesland zum Himmel, im Film gibt es sie nicht. Massentierhaltung? Kein Wort! Kein Wort auch zur geschundenen Ems durch die riesigen Musikdampfer der Meyer Werft. Auch die alljährliche Jagd auf Zugvögel in Vogelschutzgebieten wird totgeschwiegen.

Verbotswidrige Gülleausbringung bei starkem Frost, kein Einzelfall

Wunderbare Bilder gibt es aus dem Watt, aber kein Wort zum tatsächlichen Zustand des Nationalparks Wattenmeer mit seinen vielfältigen Nutzungen und dem ausufernden Massentourismus ohne Kontrolle. Oder die Industriefischerei mit Schäden am Sediment des Wattenmeeres und dem gewaltigen Beifang, der verletzt oder tot zurück ins Meer geht? Sie kommt nicht vor. Die achte Insel, Memmert, wurde einfach unterschlagen. Und angeblich hat sich Ostfriesland eine „Urspünglichkeit bewahrt, die man andernorts kaum mehr findet“, aber auch hier hat die Moderne unübersehbar Fuß gefasst.

So sieht es seit Jahren an der Küste von Emden bis nach Friesland aus: Beispiel Windpark Utgast/LK Wittmund (2004)

Der Film wurde nicht vor sechzig Jahren, sondern vor nur sechs Jahren gedreht, vielleicht für die Heile-Welt-Zuschauer, die sich vor der harten Wirklichkeit ins heimische Neo-Biedermeier geflüchtet und eingekuschelt haben und sich dort angenehm und wirklichkeitsfern berieseln lassen. Dieser Film bedient mehr ideales und nostalgisch verbrämtes (Vermarktungs-)wunschdenken als die traurige Realität, die auch in Ostfriesland schon vor Jahren Einzug gehalten hat, ein Machwerk des Autors Ernst Sasse und des öffentlich-rechlichen Rundfunks. Verantwortlich die Redaktion Wolf Lengwenus beim NDR! Das Beste am Norden?

Und im Abspann wird deutlich, warum: Der Film wurde unterstützt von

* Nationalparkverwaltung Niedersächsisches Wattenmeer

* Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN)

* Landwirtschaftlicher Naturverein Rheiderländer Marschen

* Landkreis Aurich

und natürlich Martin Strohmann vom Ostfriesland Magazin aus Norden, der die Kunst verinnerlicht hat, die Kamera tunnelartig immer genau daneben auf die schönen Stellen zu richten.

#edit: Nach Abschluss dieses Beitrages fand sich im Archiv des Wattenrates eine Mail aus dem Jahre 2003. Damals hatte sich die Redaktion von Wolf Lengwenus erfolgreich über das Verbot hinweggesetzt, für eine Unterhaltungssendung eigentlich verbotene Filmaufnahmen während der Brutzeit am Nest von streng geschützten Vogelarten auf der Vogelinsel Memmert durchzuführen. Die Nationalparkverwaltung erteilte eine Ausnahmegenehmigung für den NDR. Memmert ist Teil der strengsten Schutzzone im Nationalpark Wattenmeer. Die Insel darf nur an wenigen Tagen im Jahr nach der Brutzeit mit geführten Touren für eine begrenzte Teilnehmerzahl auf bestimmten Wegen betreten werden. Als das Kamerateam zur Brutzeit anrückte, verließ der damalige Vogelwart Reiner Schopf aus Protest für die Dauer der Filmaufnahmen die Insel. Die Mail von damals wurde nicht beantwortet…

Herrn

Wolf Lengwenus 17.Mai 2003

ARD

Hamburg

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Insel Memmert (Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer, Schutzzone I),geplanter Beitrag Ihres Mitarbeiters Michael Schmidt in der Brutzeit für die Sendung „Bilderbuch Deutschland“

Sehr geehrter Herr Lengwenus,

von unserem Wattenrat-Mitarbeiter Reiner Schopf, Vogelwart auf der Vogelinsel Memmert im Nationalpark Niedersächisches Wattenmeer, erfahre ich, dass Ihr Mitarbeiter Michael Schmidt mit seltener Hartnäckigkeit und Penetranz über eine Ausnahmeregelung erreicht hat, auf der Vogelinsel Memmert Filmaufnahmen in der Brutzeit anzufertigen.

Obwohl Herr Schopf Sie eindringlich auf die Verbote des Nationalparkgesetzes, während der Brutzeit wildlebende Tiere an ihren Nist- und Brutstätten zu fotografieren oder zu filmen (§3 Nationalparkgesetz Nieders. Wattenmeer) hingewiesen hat, beharren Sie und Ihr Mitarbeiter nach erfolgter Anfrage beim niedersächsischen Umweltminister und der Nationalparkverwaltung auf einer Drehgenehmigung.

Auch das Bundesnaturschutzgesetz verbietet in §42 (1) Satz 3 das Aufsuchen und Fotografieren oder Filmen der streng geschützten Arten; dieser Satz gilt zweifellos auch für Journalisten.

Diese Verbote haben den einfachen Hintergrund, in sensiblen Bereichen Störungen und Beeinträchtigungen von wildlebenden Tieren zu verhindern.

Darüber haben Sie sich hinweggesetzt. Die Nationalparkverwaltung erhofft sich durch die Ausnahmegenehmigung vermutlich eine öffentliche Aufwertung dieses maroden Schutzgebietes, das aber mehr auf dem Papier als in der tatsächlichen Umsetzung besteht, siehe Ihre Ausnahmegenehmigung.

Ich bin sicher, dass es Unmengen Archivmaterial von wildlebenden Vögeln bei Ihnen gibt, die in der Unterhaltungssendung (!) für ein Massenpublikum Verwendung finden könnten; zudem wäre es durchaus möglich gewesen, nach dem 15. Juli, also nach der Brutzeit, Filmaufnahmen auf der Insel Memmert zu machen.

Gerade von einem Vertreter einer rechtlich-öffentlich Anstalt hätte ich mehr Verständnis für Schutzbelange und die Respektierung von geltendem Naturschutzrecht erwartet.

Eine Kopie dieses Schreibens erhalten die Naturschutzverbände, die prüfen werden, ob sie nach §53 des Niedersächsischen Naturschutzgesetzes an dem erforderlichen Befreiungsverfahren beteiligt wurden.

Mit freundlichem Gruß

Manfred Knake

-Koordinator Wattenrat-Ostfriesland-

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