Schutzzonen für Kitesurfer: Rechtsbeugung im „Weltnaturerbe“ Wattenmeer

Kitespot Upleward/LK Aurich: fliehende Pfeifenten, 03. Okt. 2009

Ein Kommentar von Manfred Knake zu den Genehmigungen von Kitesurfflächen in den Schutzzonen des Nationalparks durch die Nationalparkverwaltung in Wilhelmshaven:

So steht es auf der WebSeite der Nationalparkverwaltung:

Weitere Regelungen

Kitesurfer üben durch ihre Zugdrachen eine besondere Störwirkung auf Brut- und Rastvögel aus. Die Vögel nehmen die Drachen, die sich am Himmel bewegen, als Greifvögel wahr und ergreifen die Flucht. Deshalb ist das Kitesurfen – wie alle Drachensportarten – in der Ruhe- und Zwischenzone des Nationalparks grundsätzlich verboten. Erkundigen Sie sich bei den Gemeinden nach speziell zugelassenen Kitesurf-Flächen.“

Nun ist alles anders; es gibt auf einmal, gutachterlich festgestellt, keine negativen Auswirkungen durch Kiter mehr:

Unter Umgehung und Missachtung der vorgeschriebenen naturschutzrechtlichen Verfahrensabläufe ließ die Nationalparkverwaltung zunächst auf Antrag der Kommunen in zahlreichen Zwischenzonen von Cuxhaven bis Emden im Nationalpark, der auch FFH- und EU-Vogelschutzgebiet ist, das Kitesurfen zu. Laut Nationalparkgesetz ist die Verwendung von Drachen in den Zwischen- und Ruhezonen jedoch verboten. Möglich machte die Nationalparkverwaltung die Genehmigungen mit „Befreiungen“ (siehe § 67 Bundesnaturschutzgesetz), obwohl die daran geknüpften Maßstäbe gar nicht eingehalten werden. Alle „Befreiungen“ wurden ohne die gesetzlich vorgeschriebenen Verträglichkeitsprüfungen erteilt, die  vor einer Genehmigung  nach § 34 BNatschG  durchgeführt werden müssen.

Nachgeschobenes Gutachten mit methodischen Mängeln für Upleward, Landkreis Aurich

Deckblatt des Gutachtens

Nur in Upleward im Landkreis Aurich wurde jetzt nach erheblichen öffentlichen Protesten durch die Untere Naturschutzbehörde des Landkreises Aurich und den Wattenrat ein Gutachten nachgereicht, im Auftrag der Gemeinde Krummhörn, zu der Upleward gehört. In Upleward wird seit 2009 offiziell in der Zwischenzone nur wenige hundert Meter von einem herausragenden Brut- und Rastgebiet in der Ruhezone der Kitesport ausgeübt. Dort ist eine Kiteschule, die auch sehr ungeübte Anfänger, die ihren Drachen noch nicht beherrschen, ausbildet.

Das Gutachten „Auswirkungen des Kite-Surfens vor Upleward auf die Brut- und Rastvögel im Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer“ wurde 2010 von Matthias Bergmann erarbeitet und am 21. Dezember 2011 im Rathaus von Pewsum vorgestellt. Bergmann war Geschäftsführer des NABU-Ostfriesland und wurde vom NABU wegen der Vernachlässigung ihm anvertrauter Wildrinder auf dem NABU-Woldenhof entlassen. Das Schöffengericht in Leer verurteilte ihn deswegen im April 2009 zu einer Geldbuße von 3000 Euro. Bergmann war sich allerdings keiner Schuld bewusst. Nun schreibt er Gutachten.

Mit diesem nachgeschobenen Gutachten will auch die Nationalparkverwaltung nun den Nachweis führen, dass sich das Kitesurfen mit dem gebotenen Vogelschutz und den Erhaltungszielen in einem Natura-2000-Gebiet vereinbaren lässt, also die nachträgliche Wegerklärung aller Probleme mit einem äußerst fragwürdigen Auftragsgutachten.

Das Bergmann-Gutachten weist allerdings einige methodische Mängel auf: So wurden gar nicht alle Gastvögel zahlen- oder flächenmäßig erfasst, es fehlen z.B. die sehr störanfälligen Brand- und Pfeifenten. Bergmann räumt auf Seite 17 seines Gutachtens unter „Methodenkritik“ selbst ein, dass durch die Unübersichtlichkeit des Geländes die genauen Zählungen erschwert werden und sich dies auf die Erfassung der Vogelbestände auswirkt.

Die Vorbelastung des Gebietes durch den Massentourismus ist enorm, die weitere zusätzliche Nutzung des Watts durch Kiter verschärft die dortige Situation für die Brut- und Rastvögel. Aber allein durch die unzureichende Artenerfassung ist das Gutachten als Bewertungsgrundlage und zur FFH-Verträglichkeitsprüfung durch die Nationalparkverwaltung eigentlich unbrauchbar, weil es erhebliche Bewertungs- und Plausibilitätsmängel gibt. Zudem wurden die Auswirkungen auf die Vögel in Absprache mit den Kitesurfern beobachtet. Der Störeffekt tritt aber immer dann auf, wenn gerade ungeübte Kiter zu nahe an die Rast- oder Brutflächen getrieben werden oder sie ihre Zugdrachen in der Nähe von Brut- oder Rastflächen plötzlich von unten nach oben hochziehen, die Vögel dann unvermittelt die Drachensilhouette am Himmel sehen und panikartig auffliegen. Jeder geübte Vogelbeobachter kann das bestätigen, im Gutachten werden diese Störungen und Vertreibungseffekte nicht aufgeführt.

Bergmanns „Fazit“ auf Seite 62 des Gutachtens: „Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass keine negativen Auswirkungen der Kiter auf die Vogelwelt im Nationalparks, angrenzend an die neue Kitezone bei Upleward, ermittelt wurden.“

Kitesurfer als „Fachleute“

Kitesurfer merken diese Störungen oft gar nicht, weil sie nichts von Fluchtdistanzen oder der Störanfälligkeit der verschiedenen Arten wissen und noch nicht einmal halbzahme Parkvögel von störanfälligen Wildvögeln unterscheiden können.

Hier, neben den üblichen Pöbeleien, ein bezeichnender Eintrag aus dem Kiter-Blog „Oase.com“:

Kiter2020 am 17. Dez. 2011, 17:05 h, zitiert einen anderen Eintrag: Am Wochenende war ich Kiten und u.a schwommen da ein paar Schwäne rum. Zuerst hab ich sie groß artig umfahren… bin dann mal was näher rangefahren und wollte schauen wie es mit Scheuchwirkung und so aussieht. Bin 8m rangefahren mit dett Sprey… Die Dinger schauen mich blöd an und fressen weiter Seegras. Dann hab ich meinen orangenen Kite über die hin und her geflogen und die waren völlig unbeeindruckt! Die haben einmal einmal den Kopf verdreht, geschaut was das ist, und sind dann wieder Futtern gegangen. Also sie sind weder tot umgefallen oder aufgeschreckt und weggeflogen. Denke weil der Kiter kein natürlicher Feind ist, …

Kiter2020 weiß aber genau, wann die Störungen auftreten und hat das zutreffend beobachtet. Das geschieht überwiegend bei ungeübten Kitern. Geräusche müssen gar nicht entstehen, es genügen die optischen Störungen der pötzlich hin und her zuckenden Kites:

Kiter2020 am 17. Dez. 2011, 17:05 h:

Solange der Kite ruhig in der Luft fliegt, no Problem. Ist der Kite aber am Boden und flattert, erschreckt es die Vögel, alle fliegen weg.

Kiter2020 am 21. Dez. 2011, 12:23 h:

Unsere Kites sind dann eine Störung für die Vögel, wenn Geräusche entsehen:
1. Wenn ein Kite aufs Wasser fällt, denn verscheucht es die Vögel am aller meisten, eine sehr große Unruhe ist die Folge.
2. Beim Starten oder Landen eines Kites, weil der Kite Bewegungen eines plötzlichen Angriffs ähnlich wird.
3. Ein flatternder Kite am Boden. Es kann ein Angriff bedeuten.
4. Ein ruhiger Kite in der Luft verursacht die wenigsten Störungen.

Für die Jungvögel der Brandenten in den küstennahen Flachwasserbereichen sind Kiter lebensgefährlich. Die auf dem flachen Wasser schwimmenden Jungtiere sind für die schnell fahrenden Kitesurfer kaum zu sehen und werden leicht überfahren. Oder die flugunfähigen Küken werden von den führenden Alttieren getrennt und so zur leichten Beute von Möwen, die sich durch Kitesurfer kaum beeindrucken lassen. Brandenten kennen nicht die von der Nationalparkverwaltung gezogenen Grenzen auf dem Wasser, in denen sich die Kitesurfer bewegen dürfen.

Kitesurfer in Upleward am 06. Nov. 2009, außerhalb der zugelassenen Fläche vor den Bojen

Vollzugsdefizite und ein paar Silberlinge

Jahrelang wurde aber im Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer („Weltnaturerbe“) an vielen Stellen illegal die Trendsportart „Kitesurfen“ ausgeübt, eine wirksame Kontrolle im Nationalpark gab und gibt es nicht, 6 hauptamtliche Ranger auf den Inseln sollen 3.500 qkm Nationalparkfläche überwachen, ohne Kompetenzen, Fahrzeuge oder Boote. Die Wasserschutzpolizei hat nur Stationen und Emden und Wilhelmshaven, die Diensstelle in Norddeich wurde 2011 aufgelöst. Anzeigen gegen die Kitesurfer verliefen überwiegend im Sande. Vor diesem Vollzugsdefizit hat die Nationalparkverwaltung in Wilhelmshaven kapituliert.

Der Gutachter Matthias Bergmann hat mit seinem Auftragsgutachten als naiver Türöffner der vorgeblichen Unbedenklichkeit des Kitesurfens in einem Nationalpark und EU-Vogelschutzgebiet fungiert, für ein paar Silberlinge. Auf dieses Stück Papier wird sich die Nationalparkverwaltung nun stets berufen. Die Nationalparkverwaltung hat es pflichtwidrig unterlassen, das Gutachten auf Plausibilität und Bewertungsmängel abzuklopfen, obwohl ausgewiesenen Ornithologen in der Verwaltung arbeiten, die genau wissen, dass Kitesurfer Vogelscheuchen sind, unvereinbar mit den Erhaltungszielen eines Natura-2000-Gebietes und eines Nationalparks. Der politische Druck aus dem Umweltministerium in Hannover als vorgesetzte Behörde muss so enorm sein, dass offensichtlich alle fachlichen Normen über Bord geworfen wurden und die Nationalparkverwaltung nur noch als ein Marionettentheater des Naturschutzes am Band eines häufig kritisierten Umweltministers agiert, der Schutzgebiete erklärtermaßen „erlebbar“ machen will, auch für eine kleine Zahl von Kitesurfern, die zusätzlich zu den bestehenden Belastungen enorme Schäden an den eigentlich geschützten Lebensstätten der Vögel anrichten können. Die fachliche Reputation einer Nationalparkverwaltung kann dadurch „nachhaltig“ beschädigt werden.

Rechtsbeugung und Unterlassungen

Die Missachtung geltenden Rechts mit der bewusst falsche Anwendung durch Amtsträger zugunsten einer Kommune nennt man Rechtsbeugung, die ist strafbar. Dazu kommt das gerade geänderte deutsche Umweltstrafrecht auf Druck der EU-Kommission. § 329 des Strafgesetzbuches wurde in Absatz 4 im Dezember 2011 verschärft: „Wer unter Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten in einem Natura 2000-Gebiet einen für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck dieses Gebietes maßgeblichen Lebensraum einer Art erheblich schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ Auch wenn es sich nicht um einer „erhebliche“ Schädigung einer Art handeln sollte, wäre die Nationalparkverwaltung gut beraten, Schädigungen von geschützten Vogelarten auch schon unterhalb der Erheblichkeitsschwelle, die ohnehin schwer zu definieren ist,  zu unterbinden. Das tut sie nicht, sie fördert die Beeinträchtigungen!

Zudem haben 14 „anerkannte“ Naturschutzverbände in Niedersachsen über Jahre zugesehen, wie dieser Nationalpark nicht nur mit der Zulassung von Kitesurfer-Flächen in den Schutzzonen an die Wand gefahren wurde. Das hätte mit dem Instrument „Verbandsklage“ rechtzeitig minimiert werden können, wurde aber unterlassen. Immerhin: Heute hat der NABU eine Presseerklärung zum Fall Upleward im Speziellen und dem Kitesurfen im Wattenmeer im Allgemeinen abgegeben; nur ersetzt das nicht die Verbandsklage.

Dieser Nationalpark ist aufgrund der vielen Nutzungen keiner, er heißt nur so. Und das Etikett „Weltnaturerbe“ nützt auch keinem Tier oder keiner Pflanze in diesem vorgeblichen Schutzgebiet, es ist zu einem bloßen Marketinginstrument der Tourismusindustrie verkommen.

Ostfriesischer Kurier, Norden, 21. Dez. 2011, S. 1

Kitesurfen: Genehmigung läuft jetzt aus

Verlängerung Gutachten von Matthias Bergmann wird heute vorgestellt

Nationalparkverwaltung in Wilhelmshaven lädt heute zu einem nicht öffentlichen Gespräch in das Krummhörner Rathaus in Pewsum ein. Dabei geht es um die Verlängerung der Genehmigung für die Kiterzone bei Upleward. Seit Mai 2009 ist auf einer Fläche vor der Krummhörner Küste in Höhe von Upleward das Kitesurfen versuchsweise zugelassen. Die Genehmigung, die ursprünglich bis zum 31. Dezember 2010 befristet war, läuft Ende dieses Jahres definitiv aus. Aus diesem Grund wird heute Nachmittag das von Matthias Bergmann erstellte 63-seitige Gutachten über „Auswirkungen des Kitesurfens vor Upleward auf die Brut- und Rastvögel im Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer“ vorgestellt, das von der Gemeinde Krummhörn in Auftrag gegeben wurde.

In dem Abschlussbericht 2010 kommt Bergmann zudem Ergebnis, dass sich das Kiten nicht negativ auf die Vogelwelt im Nationalparkauswirkt. „Die wertgebenden Arten Großer Brachvogel, Regenbrachvogel, Alpenstrandläufer, Pfuhlschnepfe, Sandregenpfeifer, Säbelschnäbler, Brand-, Ringel- und Nonnengänse kamen insbesondere bei ablaufendem Wasser teilweise bis auf 100 Meter an die surfenden Kiter heran beziehungsweise flogen ohne erhebliche Störungen an ihnen vorbei“, stellte Bergmann fest. Das Gutachten und die Genehmigung der Kiterspots werden vom Wattenrat Ost-Friesland kritisiert (Seite 23).

Die ausführliche Berichterstattung auf seite 23 des Ostfriesischen Kurieres“ können Sie hier nachlesen: OK_21.Dez.2011

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