Die Weltnaturkonferenz COP 16 und der Rysumer Nacken: Was wird aus dem Gebiet bei Emden?

Der Rysumer Nacken ist eine künstlich aufgespülte Fläche an der Ems auf dem Stadtgebiet von Emden. Die Fläche liegt durch die Aufspülungen ca. 6m über dem Meeresspiegel und hat sich über Jahrzehnte zu einem artenreichen Biotop entwickelt. Die Frage ist, ob das so bleibt. Die einzige Industrieansiedlung erfolgte in den 1970er Jahren, es entstand die GASSCO- Erdgas-Anlandestation. Hier wird das Gas aus den norwegischen Feldern der Nordsee ins Gasnetz eingespeist. Der Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer grenzt unmittelbar an die Fläche an.

Der nachfolgende Artikel erschien zuerst am 30. Okt. 2024 im Rundbrief Nr. 34 des Umweltforums Osnabrücker Land e.V.

Wir danken für die Übernahmeerlaubnis.

COP 16, 30-30 und der Rysumer Nacken

Ein Kommentar von Eberhard Giese (Norden)

Gute Neuigkeiten. Der Artenschutz hat es geschafft – sogar bis auf Seite 17 der Lokalzeitung. Überschrift: „Artenschutz: Scheitert das Abkommen?“ Gemeint ist die derzeit stattfindende Weltnaturkonferenz COP 16 in Cali, Kolumbien. Der zugehörige Kommentar endet mit der paradigmatischen Feststellung des Kommentators: „Ohne Tier kein Mensch“. Wow – große Worte.

Ich gehe auf die Webseite des Bundesumweltministeriums, um mich über den Stand der Umsetzung der Nationalen Strategie zur Biologischen Vielfalt aus erster Hand zu informieren. Die „NBS 2030“ ist eine unmittelbare Folge der bei der Vorgängerkonferenz COP 15 in Montreal beschlossenen Ziele. Am bedeutsamsten ist sicherlich der Punkt mit dem eingängigen Kürzel „30-30“. Mindestens 30 Prozent der weltweiten Land- und Meeresflächen sollen bis 2030 „unter effektiven Schutz“ gestellt werden, vor allem Gebiete mit hoher biologischer Vielfalt, die besonders schützenswert sind. Jedes Land verpflichtet sich, in seiner nationalen Biodiversitätsstrategie in Form von Strategie- und Aktionsplänen darzustellen, wie es zum Erreichen der globalen Ziele beiträgt. Die Konferenz in Cali soll u.a. konkretisieren, wie die Ziele der 2022 in Montreal verabschiedeten Vereinbarung weiter umgesetzt werden können.

Bis 2030 sind es noch 6 Jahre. Wie weit ist Deutschland denn nun fortgeschritten bei Strategie und Aktion? Kurze Antwort: weitgehende Fehlanzeige.

Auf der Webseite des BMUV liest man zum Thema, dass es Entwurfsfassungen von Strategie- und Aktionsplan gibt, das BMUV hat am 25. Oktober 2024 die Ressortabstimmung mit dem Ziel einer „baldigen Kabinettsbefassung“ eingeleitet.

Man reibt sich erstaunt die Augen: am 25. Oktober – da lief die Konferenz doch schon? – das hat irgendwie den Beigeschmack von „auf den letzten Drücker“ oder nach (politisch ausgedrückt) Gesichtswahrung. Man braucht nicht viel Fantasie um sich auszumalen wie der Entwurf der Nationalen Biodiversitätsstrategie aus der Ressortabstimmung und unter Berücksichtigung der derzeitigen Lage der Ampelkoalition (wenn überhaupt) wieder herauskommt: Start als Grizzly – Landung bestenfalls als Bettvorleger.

Themenwechsel. Der Rysumer Nacken, ganz im (Süd-) Westen der Ostfriesischen Halbinsel. 600 Hektar spontan entstandene Schilfröhrichte, extensiv genutzte Weideflächen, Weidengehölze – weitgehend unberührte Landschaft. Brutvögel: Braun- und Blaukehlchen, Baumpieper, Karmingimpel, Sumpf-, Schilf- und Teichrohrsänger, Feldschwirl, Rohrammer, Neuntöter, Rohrweihe – um nur einige Arten zu nennen. Auch botanisch ist das Gebiet von hoher Bedeutung, u.a. durch das Vorkommen mehrerer Orchideenarten. Funktional ist es aber vor allem von höchster Bedeutung als Vernetzungselement zum angrenzenden Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer. Gerade die Weiterentwicklung eines funktionalen Biotopverbundes wird im Entwurf des Strategieplans im Rahmen der NBS 2030 besonders herausgestellt. Im Hinblick auf den Rysumer Nacken passt das also alles bestens. Gerade vor einem Monat hatte ich für die Monatszeitschrift „Ostfriesland Magazin“ einen längeren Beitrag zur herausragenden und längst schützenswerten Bedeutung des Gebiets für die Natur an der Küste geschrieben.

Die Realität ereilt mich, als ich die „Emder Zeitung“ aufschlage: Die Überschrift: „Der Rysumer Nacken als Filetstück“ springt mich geradezu an. Ich lese von Straßenanbindungen zur „Attraktivitätssteigerung des Standorts“, von Offshore-Anlegern und Wasserstoff-Elektrolyseuren. Nun soll dieses Kleinod der Natur also zum „Filetstück“, zur Industrieansiedlung werden.

Im Erläuterungstext des BMUV zum Entwurf des NBS  2030 steht geschrieben:

In Übereinstimmung mit dem hohen Engagement bei Verhandlung des globalen Biodiversitätsrahmens vor zwei Jahren in Montreal (GBF) soll so ein sichtbares Signal gesendet werden, dass die deutsche Bundesregierung den Schutz der Biodiversität auch national weiterhin ernst nimmt und wirksame Maßnahmen zu deren Erhaltung und Wiederherstellung ergreift.

Kurz danach heißt es erläuternd, nichtsdestotrotz fast schon ein bisschen ängstlich: „Der aktuelle NBS 2030 Entwurf ist ein Entwurf des BMUV, der im Ressortkreis noch nicht final abgestimmt ist. Das gilt insbesondere für die geklammerten Passagen.“

Übersetzt und in Vorausahnung für den dringend notwendigen Schutz des Rysumer Nackens bedeutet das wohl: „Fürchtet Euch nicht – der Natur- und Artenschutz bleibt weiter handzahm“. Und im Zweifelsfall wird Robert Habeck seine Motorsäge ansetzen und „das Ding wegbolzen“, um seine Terminologie zum Lieferkettengesetz zu benutzen.

Ich lese, staune und spontan fällt mir der Satz ein, den ich vor kurzem hörte: „Schlachte die Kuh und dann ist Ende mit Milch“. Wie passend zum Filetstück.

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