Seeseitige Aufspülungen vor dem Pirolatal, Langeoog, Nationalpark und „Weltnaturerbe“, im Hintergrund Dünenabbrüche, Juli 2017, Foto: Archiv Wattenrat
Weiter unten die Pressemitteilung des Senckenberg-Instituts (Senckenberg am Meer) in Wilhelmshaven zu den Auswirkungen auf Mikroorganismen durch Sandaufspülungen zur Erhaltung von Stränden an der Ostsee. Auch an der ostfriesischen Küste werden nach Sturmfluten mit Abermillionen Euro Strandaufspülung auf den Inseln zur Sicherung der Tourismus-Infrastruktur vorgenommen. Dass die enorme Sandentnahme Auswirkungen auch auf die Fauna des Wattenmeeres (Nationalpark und „Weltnaturerbe“) haben muss, ist eigentlich eine Binsenwahrheit, jetzt belegt durch die Untersuchungen von Senckenberg.
Ohne die Sandaufspülungen würden die Inseln ihre Gestalt durch die natürliche Dynamik ständig verändern oder gar ganz verschwinden, wie die ehemalige Insel Bant unterhalb von Juist, die nach mehreren Sturmfluten unterging.
Eigentlich sind die Aufspülungen mit den Zielen eines Nationalparks nicht vereinbar, hier soll sich die Natur „dynamisch“ entwickeln können. Auf den Ostfriesischen Inseln ist die Dynamik durch Befestigungen und Aufspülungen weitgehend eingeschkränkt, das geschieht zur Sicherung der Lebensgrundlage der Insulaner und der Tourismusindustrie.
Die Insel Langeoog im Jahr 1805; dreigeteilt, mit späteren Küstenschutzmaßnahmen festgelegt – Karte: Generalmajor Ludwig von Le Coq (1757-1829)
Einen gewagten Vorschlag machte der damalige Institutsleiter Prof. Dr. Burghard Flemming, veröffentlicht in der Lokalzeitung „Anzeiger für Harlingerland aus Wittmund am 27. Januar 2007: Es ist immer besser, mit dem Meer zu leben, als gegen es zu arbeiten“, rät Flemming. Deshalb sollten die Orte mit den Inseln wandern, wo immer es möglich sei. Es sei sinnlos, wie derzeit auf Wangerooge mit der neuen Strandpromenade, Werte zu schaffen, die letztlich nicht zu halten seien. Denkbar wäre für Flemming, Gelder anstatt für den Küstenschutz in einen Hilfsfonds einzuzahlen, um materielle Schäden auszugleichen. Auch könnte man einen „mitwandernden“ Eigentumsschutz für die Immobilien vereinbaren. Alle 50 bis 100 Jahre würden dann eine oder zwei Häuserreihen seewärts aufgegeben und landwärts wieder aufgebaut, um eine ausreichende Pufferzone zu erhalten.
Norderney: Strandaufspülung 2012 – Foto: Screenshot, Bildzitat, Archiv NLWKN, abgerufen am 17. Juli 2019
Der Niedersächsische Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN – merke: das N hinten ist das Letzte!) macht aus der Not eine Tugend, eine englische sogar: „Building with Nature“; es kommt eben immer aufs Wording an – und Sysiphos lässt grüßen:
https://www.wattenrat.de/2019/07/18/norderney-inselsicherung-durch-strandaufspuelung-building-with-nature/
Presse Senckenberg am Meer, 11. Sept. 2024
Sommer, Sonne, Sandaufspülung: Küstenschutz beeinflusst kleinste Organismen
Sandaufspülungen haben starke Auswirkungen auf die Meiofauna der Ostseeküste, zeigt neue Studie
Ein Forschungsteam von Senckenberg am Meer in Wilhelmshaven hat die Auswirkungen von Sandaufspülungen auf kleinste Lebewesen am Strand von Ahrenshoop untersucht. Dabei stellten sie fest: Die routinemäßig durchgeführte Küstenschutzmaßnahme hat erhebliche Auswirkungen auf die kleinsten Tiere im Ökosystem. Wie ihre jetzt im Fachjournal „Metabarcoding & Metagenomics“ erschienene Studie zeigt, veränderte sich die Zusammensetzung der Gemeinschaften von winzigen Würmern, Ruderfußkrebsen und anderen Lebewesen im Sediment durch die Sandaufschüttung drastisch. Im darauf folgenden Jahr erholten sich die Gemeinschaften langsam – aber nicht vollständig.
Wahrscheinlich machen sich die meisten Menschen während eines entspannten Strandurlaubs wenig Gedanken darüber, ob der Strand noch da wäre, wenn er nicht regelmäßig wieder aufgeschüttet würde. Tatsächlich sind Sandaufspülungen übliche und häufig angewandte Küstenschutzmaßnahmen an den Stränden der Nord- und Ostsee. Dabei wird Sand mit einem Spülschiff vom Meeresboden aufgesaugt, an die Küste transportiert, dort aufgespült und mit Planierraupen verteilt. Aufgrund der kontinuierlichen Erosion – der Abtragung bei Sturm, durch Wellen und Strömungen – müssen Sandaufspülungen regelmäßig wiederholt werden. Ungebremste Erosion würde sonst den Verlust von Stränden, Uferbereichen, Küstenkliffs und Dünen bedeuten. Küstenschutzmaßnahmen wie Sandaufspülungen verursachen hohe Kosten und führen oft auch zu Störungen der Ökosysteme. Wie solche Störungen und die darauf folgende Erholung effizient und zuverlässig überwacht werden können, zeigt ein Forschungsteam von Senckenberg am Meer in Wilhelmshaven in einer jetzt im Fachjournal „Metabarcoding & Metagenomics“ erschienenen Studie.
Bei Ahrenshoop an der Ostsee haben die Forschenden die Auswirkungen einer Sandaufspülung auf die Meiofauna – Organismen von weniger als einem Millimeter Größe – untersucht. „Wir haben sowohl modernste genetische Methoden angewendet als auch die Tiere auf traditionelle Art am Mikroskop bestimmt und gezählt. Beide Methoden zeigen dasselbe Ergebnis“, berichtet Dr. Gritta Veit-Köhler von Senckenberg am Meer und weiter: „Die Gemeinschaften der Meiofauna haben sich nach der Sandaufspülung zunächst drastisch verändert und dann im Laufe von einem Jahr langsam erholt. Unmittelbar nach der Sandaufspülung waren Milben (Acari) und Ringelwürmer (Annelida) fast vollständig aus dem Spülsaum verschwunden, Ruderfußkrebse (Copepoda) gingen deutlich zurück, während die Zahl der Plattwürmer (Platyhelminthes) wiederum deutlich zunahm.“
Meiofauna-Organismen sind die zahlreichsten Tiere des Meeresbodens und spielen eine wichtige Rolle in den dortigen Nahrungsnetzen. Sie sind gut als „Bioindikatoren“ geeignet, um Umweltauswirkungen und verschiedene Formen von Ökosystemstörungen – auch solche durch den Menschen – festzustellen und zu untersuchen. Aufgrund ihrer geringen Körpergröße, ihrer Allgegenwart und ihrer großen Zahl können ihre Gemeinschaften bereits mit kleinen Probenmengen untersucht werden.
Über einen Zeitraum von anderthalb Jahren nahmen die Forschenden in Ahrenshoop insgesamt 246 Sandproben vom Spülsaum und werteten sie aus. „Mit der klassischen taxonomischen Methode haben wir 27.445 Individuen am Mikroskop bestimmt, die wir zehn höheren Tiergruppen wie Fadenwürmern (Nematoda) und Ruderfußkrebsen zuordnen konnten“, erzählt Iryna Kapshyna, Erstautorin der Studie und Doktorandin bei Senckenberg am Meer, und weiter: „Aber erst die genetische Untersuchung brachte die gesamte Artenvielfalt ans Licht: Wir konnten insgesamt 843 sogenannte ‚operative taxonomische Einheiten‘ (OTUs) – vereinfacht gesagt, unterschiedliche Arten – feststellen.“ Mit der Methode des „Metabarcoding“, bei der alle Tiere einer Probe gemeinsam analysiert werden und nach Unterschieden in spezifischen Genabschnitten gesucht wird, lassen sich sehr viele Proben schnell und zuverlässig analysieren.
„843 Arten hört sich nach viel an – tatsächlich wies der untersuchte Strand aber eine geringere Diversität der Meiofauna verglichen mit der Tiefsee oder anderen Meeresgebieten auf“, fügt Dr. Sahar Khodami von Senckenberg am Meer hinzu und schließt: „Bei den Auswirkungen von Küstenschutzmaßnahmen auf Ökosysteme sollten die kleinsten Meerestiere nicht aus dem Blick geraten!“
Publikation:
Kapshyna I, Veit-Köhler G, Hoffman L, Khodami S (2024) Impact of a coastal protection measure on sandy-beach meiofauna at Ahrenshoop (Baltic Sea, Germany): results from metabarcoding and morphological approaches are similar. Metabarcoding and Metagenomics 8: e127688.
https://doi.org/10.3897/mbmg.8.127688