Die Entstellung Ostfrieslands geht weiter. Was den Touristen Umsatz fördernd als vermeintliches „Reinluftgebiet“ untergejubelt wird, entwickelt sich zum durchindustrialisierten Landstrich auf der grünen Wiese. Für Hähnchen-Massentierhalter mit ihren Bakterienschleudern wurde offensichtlich das EU-Vogelschutzgebiet Norden-Esens am Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer vom Land Niedersachsen vorsorglich so zurechtgeschnitten, dass genau diese geplanten Betriebe bei der Gebietsmeldung nach Brüssel ausgeklammert wurden.
Das machte man genau so mit der Umgehungstraße Bensersiel und einem Golfplatzgelände bei in der Gemeinde Neuharlingersiel. Massenweise Massentierhaltung, massenweise Windparks, massenweise Maisanbau für Biogasanlagen und Massentourismus sowieso: Ostfriesland wird systematisch für eine kleine Klientel an den Rand der Unkenntlichkeit entwickelt. Und die EU und die betulichen Heimatvereine sehen zu. Lokal regt sich aber Protest, wie die taz berichtete. Was noch fehlt: Im Landkreis Emsland gibt es bereits ein Aktionsbündnis gegen die Agrar-Fabriken, initiiert von lokalen NABU- und BUND-Gruppen, im LK Leer gehen lokale NABU-Gruppen ebenfalls gegen einen Maststall vor: „Bauernhöfe statt Agrarfabriken Nord-West“
taz Nord, online, 02. Dez. 2010
http://www.taz.de/1/nord/artikel/1/huehnerstall-im-heilbad/
MASSENTIERHALTUNG
Hühnerstall im Heilbad
In Ostfriesland sollen 27 Hähnchenmastbetriebe gebaut werden – in einer Gegend, in die Asthmakranke zur Genesung kommen. Doch Ställe verseuchen die Luft mit gefährlichen Bakterien.
VON THOMAS SCHUMACHER
Ostfrieslands heimliches Wappentier, die schwarzbunte Kuh, hat ausgedient. In Zukunft wird sie wohl durch ein Grillhähnchen ersetzt. Nachdem durch immer niedrigere Milchpreise die Viehwirtschaft unrentabel geworden ist, droht der Region eine wahre Invasion von Hähnchenmastställen.
27 Anlagen mit einer Kapazität von 40.000 bis 80.000 Tieren pro Stall und Mastphase (sechs Wochen) sind in Planung. Für drei Ställe liegen Bauanträge vor. Offiziell sind die für 39.999 Tiere pro Anlage ausgelegt. Erst ab 40.000 muss die Öffentlichkeit bei der Bauplanung einbezogen werden.
Diese Öffentlichkeit aber scheut Bauer Albert Martens aus Westermarsch/ Norden-Norddeich (Landkreis Aurich) wie der Teufel das Weihwasser. Er will vor seinem Hof zumindest eine Mastanlage bauen. Doch eine Bürgerinitiative (BI) will das verhindern. „Die heilende Seeluft macht traditionell den Charakter der Küste aus“, sagt Martens Nachbar und BI-Mitglied Herrmann Buss. Buss ist lungenkrank. „Sollten die Ställe gebaut werden, müssten wir umziehen“, befürchtet Buss. Unterstützung bekommt er von Thomas Fein. Der Praktische Arzt aus Greetsiel ist Sprecher der Bürgerinitiative gegen Mastställe in Ostfriesland: „Es ist unfassbar, Norddeich ist gerade mit EU-Subventionen zum Heilbad ausgebaut worden. Tausende Asthmakranke suchen hier jedes Jahr Linderung“, sagt er. Die ganze Küste werbe mit diesem Heilklima und die industriellen Mastställe verseuchten die Luft mit Bakterien.
„Die Gefahr der Grippeerkrankungen und allergischen Reaktionen erhöht sich in der Nähe von Mastställen drastisch“, sagt Fein. Noch gefährlicher sind die sogenannten Orsa-Bakterien, sagt der Arzt. Orsa-Bakterien sind resistente Bakterien, die sich in der Massentierhaltung schnell vermehren. Ein Gegenmittel gegen die Krankheitserreger gäbe es nicht, so Fein.
Die Westermarsch liegt direkt an der streng geschützten Ruhezone des Nationalparks Niedersächsisches Wattenmeer. Große Teile gehören zu einem Vogelschutzgebiet. Merkwürdigerweise machen die Schutzgebietsgrenzen, sonst schnurgerade wie auf dem Reißbrett gezogen, einen weiten Bogen um den Martenshof. „Jedes Jahr ziehen hier hunderttausende Zugvögel durch. Die Tiere würden neben den Mastställen auf den Gülle getränkten Weiden äsen. Besser können sich Seuchen gar nicht verbreiten“, sagt Fein.
Deutschlands Industrie-Fleischzentrum um Vechta und Cloppenburg gilt wegen der hohen Maststalldichte als verseucht. Neue Genehmigungen für Mastställe sind schwer zu kriegen. Deswegen wirbt die Landwirtschaftskammer Weser Ems für die Mastställe in der „Gesundlage an der Küste“. […]