Friesensportler Europameisterschaft im Vogelschutzgebiet: Volksfest mit Fotostrecke

„Herzlich willkommen“ im Vogelschutzgebiet – Foto: Wattenrat

Bearbeitet und ergänzt am 13. Mai 2024

Am 10. Mai 2024 verwandelten sich Teile des europäischen Vogelschutzgebietes V63 „Ostfriesische Seemarschen von Norden bis Esens“ am Deich westlich von Neuharlingersiel im Landkreis Wittmund in ein lärmendes Volksfestgelände. Hier trugen sog. „Friesensportler“ ihre Europameisterschaften im Klootschießen und Boßeln aus, Schirmherr: Ministerpräsident Stephan Weil (SPD). Die nachfolgende Fotostrecke wurde überwiegend von Wattenrat-Mitarbeitern zur Verfügung gestellt.

Dabei wird eine mit Blei gefüllte 300 g schwere Holzkugel („Hollandkugel“) nach einem Anlauf möglichst weit im „Feldkampf“ geworfen. Wer am weitesten wirft, ist Sieger. Ausgerichtet wurde die EM vom Friesischen Klootschießerverband (FKV). „Geräuschvoll“ wurden die Werfer angefeuert.

Vorher: Das Schutzgbebiets- und vorgesehene Wettkampfgelände westlich von Neuharlingersiel rechts vom Deich (links der Nationalpark Wattenmeer) , noch ist alles ruhig – Foto: Manfred Knake

Vor dem Wettkampf: Noch ruhige Teilfläche im europ. Vogelschutzgebiet V63: deichparalleler Graben mit Schilfbewuchs, Brutareal von Blaukehlchen und Rohrsängern. Die frisch gemähte vorgesehene Wettkampffläche links vom Graben – Foto: Manfred Knake

Nachher, 10. Mai 2024 – Foto: Wattenrat

Die Veranstaltung im Schutzgebiet wurde erst zwei Wochen vorher von der Unteren Naturschutzbehörde des Landkreises Wittmund am 25. April 204 genehmigt, obwohl die Vorbereitung zur EM schon vor Jahren begonnen hatten und Details bereits im Frühjahr 2023 öffentlich angekündigt wurden – ihren Schirmherrn Ministerpräsident Weil hatten die Klootschießer schon im Juni 2023 auf dem Schirm, fast ein Jahr vor der Genehmigung der Veranstaltung im Schutzgebiet.

Dafür gesorgt hatte die Esenser Landtagsabgeordnete  Karin Emken (SPD), offensichtlich völlig unbeleckt von Naturschutzgesetzen. Die Genehmigung des Landkreises erfolgte erst drei Wochen nach den naturschutzfachlichen Bedenken des Wattenrates mit einer Eingabe beim Niedersächsischen Umweltweltministerium vom 03. April 2024, das nichts an der Genehmigung auszusetzen hatte. Details hier. Schon vor der Veranstaltung hatten einzelne Werfer auf dem Gelände des Schutzgebietes trainiert.

Zur Erinnerung: Naturschutz findet nicht im rechtsfreien Raum statt, obwohl dieser immer wieder für Partikularinteressen geschaffen wird und Verstöße kaum geahndet werden.

Rechts im Bild der kilometerlange beidseitig schilfbewachsene Graben, Brutgebiet von Schilfbrütern – Foto:Wattenrat

Herausragendes Schutzgebiet – auf dem Papier

Das Schutzgebiet ist ein herausragendes Brutgebiet für Schilfbrüter, der Niedersächsische Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN), beschreibt das u.a. so:

    1. Die mit Altschilf bestandenen Gräben bieten geeignete Bedingungen für Röhricht bewohnende Arten wie Blaukehlchen und Schilfrohrsänger. Beide Arten erreichen im Gebiet einen der höchsten Brutbestände innerhalb der niedersächsischen Vogelschutzgebiete.“

Kampfrichter und Zuschauer direkt am Schilfgebiet – Foto: Wattenrat

Der Wattenrat vermutet, dass die kurzfristige Genehmigung durch den Landkreis „passend fabriziert“ wurde, um spätere Untersuchungen durch die Aufsichtsbehörde (Umweltministerium) zu vermeiden. Der Wattenrat geht zudem davon aus, dass die Schilfbrüter durch die unmittelbare Nähe der Veranstaltung gerade zur Brutzeit erheblich gestört  und bereits bebrütete Gelege verlassen wurden. Die Vögel sind klein, schwer im Schilf zu finden und kaum bekannt.

Die Sponsoren

Die Sponsoren sind: Alterric-Windenergie, Edeka, Jever-Brauerei, Neuharlingersieler Versicherung, Raiffeisen-Volksbank und Volkswagen.

Vogelschutzgebiet oder Sportplatz? Foto: Wattenrat

Die Vogelwarte Sempach in der Schweiz hat dazu 2021 dies veröffentlicht:

Auswirkungen von Störungen auf Vögel

17. März 2021

Zudem gilt es, Abstand zu den Vögeln zu halten und sie auf keinen Fall an ihrem Nest zu stören.

Viele Gebiete, die von Vögeln bewohnt werden, werden auch von Ausflüglern und Sportbegeisterten genutzt, was je nach Aktivität unterschiedlich starke Störungen nach sich zieht. Als Störungen gelten dabei alle Ereignisse, die zu plötzlichen Änderungen im Verhalten oder Stoffwechsel führen. Eine Störung ist aber nicht immer offensichtlich: Vögel sind oft schon wesentlich in ihrem Verhalten, bei der Nahrungssuche oder beim Nisten gehemmt bevor sie auffliegen. Selbst wenn sie unbeabsichtigt erfolgen, können menschliche Störungen weitreichende Konsequenzen haben: So gelten sie als eine der wichtigsten Ursachen für den Rückgang von Vogelarten.“

Foto: Wattenrat

Totalversagen des behördlichen Naturschutzes – und der Naturschutzverbände

Die Genehmigung des Sportereignisses im europäischen Vogelschutzgebiet offenbart das Totalversagen des behördlichen Naturschutzes – und der “anerkannten“ Naturschutzverbände wie NABU und BUND, die nicht reagierten. In der Landschaftsschutzverordnung (LSG 25WTM) des Landkreises Wittmund für dieses europäische Vogelschutzgebiet werden Schilfrohrsänger und Blaukehlchen als „wertbestimmende“ Vogelarten benannt.

Fahrradparkplatz am Schilfrand – Foto: Wattenrat

Die Verordnung ist aber so widersprüchlich, dass ein echter Schutz der Brut- oder Rastvögel nicht gewährleistet ist. So ist es z.B. verboten „wildlebende Vogelarten und die Ruhe der Natur durch Lärm oder auf andere Weise zu stören“ (§3). Freigestellt ist aber die Vergrämung von Vögeln auf landwirtschaftlichen Flächen, wenn durch Rastvögel wirtschaftliche Einbußen zu erwarten (sic!) sind, die Vergrämungsmaßnahmen sind am ersten Tag dem Landkreis anzuzeigen (§4). Es sind aber nicht tatsächlich entstandene Schäden gemeint, die dann auch gutachterlich bestätigt werden müssen. Hier wurde ein „Gummiparagraf“ als Freibrief zum Vertreiben von Rastvögeln aus ihrem Schutzgebiet eingebaut.

Eigentlich verboten: Das Befahren des Deiches durch die Zuschauer, hier direkt am Nationalpark Wattenmeer – Foto: Wattenrat

Auch diese Landschaftsschutzverordnung gehört auf den Prüfstand der EU

Aktuell vertreibt z.B. ein Bauer regelmäßig mit Böllern Vögel in der Brutzeit aus diesem Gebiet, ohne dass der Landkreis nach Protesten einer Anwohnerin einschreitet. Ein anderer Bauer vergrämt Vögel permanent mit einem künstlichen Greifvogel, der an einer angelähnlichen Schnur bei Wind über der Fläche schwebt.

Rechtswidrig: Künstlicher Greifvogel (oben im Foto) schwebt bei Wind über dem Vogelschutzgebiet V63 und soll Rastvögel vertreiben, Ostbense, Gem. Neuharlingersiel, Februar 2024 – Smartphone-Foto: Manfred Knake

Diese Landschaftsschutzverordnung, mit Stimmen des lokalen politischen Klüngels des Kreistages so abgestimmt und verabschiedet, gehört daher, wie viele andere in Deutschland auch, „in die Tonne“, oder aber auf den Prüfstand der EU-Kommission als „Hüterin“ der Natura-2000-Richtlinien (FFH- und Vogelschutzrichtlinie), die zwar geltendes Europarecht, aber weitgehend unbekannt sind.

1988: Alles schon mal dagewesen, nichts dazugelernt:

Zur Klootschießer-EM in Norden 1988, damals, weil Politikum, noch mit kritischer Presseberichterstattung: Die damalige Bezirksregierung Weser-Ems in Oldenburg untersagte zunächst das Sport-Spektakel am Deich von Greetsiel, politisch wurde es dann doch durchgesetzt und passend gemacht, hier berichtet nach SPIEGEL-Art:

• aus DER SPIEGEL 9/1988

Die Lokalzeitung „Anzeiger für Harlingerland“, Regionalausgabe der Nordwest Zeitung in Oldenburg als „Medienbegleiter“ der Veranstaltung in Neuharlingersiel, hat bis heute nicht über den Konfliktstoff im Schutzgebiet berichtet, obwohl der Wattenrat die Redaktion stets über die vorangegangenen Mailwechsel mit informiert hatte – PR-Agentur oder unabhängiger Journalismus? Im journalistischen Fachjargon nennt man das gezielte Verschweigen „Silence Treatment“.

Und hier noch mehr Fotos vom 10. Mai 2024 aus Neuharlingersiel:

Deichanlagen, Fahren, Zelten verboten – Foto: Wattenrat

Gelten die Verbote auch für Friesensportler? – Foto: Wattenrat

Bierbude im Schutzgebiet – Foto: Wattenrat

Im Hintergrund Fahrradfahrer auch auf der südlichen Seite des Schilfgebietes – Foto: Wattenrat

Niederländische Fahnenschwenker – Foto: Wattenrat

Noch mehr Fahnenschwenker – Foto: Wattenrat

Foto: Wattenrat

Bahnweiser für die Werfer – Foto: Wattenrat

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