Bitte den Nachtrag ganz unten vom 28. März beachten: Verschlossene Pendelpforte am Schutzgebiet gewaltsam geöffnet
Das „Petkumer Deichvorland“ bei Emden ist ein Dauerbrenner beim Wattenrat. Dieses schmale Deichvorland an der Unterems ist ein wichtiges Nahrungs- und Rastgebiet für Wat- und Wasservögel, es wurde deshalb in das „Vogelschutzgebiet Emsmarsch von Leer bis Emden“ aufgenommen, also Teil eines Natura-2000-Gebietes der Europäischen Union. Klingt gut für die Vögel – auf dem geduldigen Papier.
Am Petkumer Vorland befindet sich auch der kleine Fährhafen Petkum, von dem man auf die andere Emsseite nach Ditzum im Rheiderland übersetzen kann, mit dem Auto, dem Motorrad, dem Fahrrad oder zu Fuß. Der Fährbetrieb sorgt für Unruhe im Gebiet, vor allem nachts, wenn die Scheinwerfer der Fähre über die Schutzgebietsflächen huschen und Gänse und andere Wasservögel zu Tausenden von ihren Schlafplätzen vertreiben. Und die Jagd auf bestimmte Enten- und Gänsearten ist ebenfalls noch erlaubt, nicht selten, wie beim Wattenrat dokumentiert, auch mit Jagdverstößen, bei denen nicht jagdbare Arten an- oder abgeschossen wurden, und das sogar bei dichtem Nebel oder Dunkelheit.
Nun kommt ein neuer Störfaktor am Hafen hinzu: Der Entwässerungsverband Oldersum hat dort einem Fischimbissbesitzer langfristig einen Standplatz verpachtet; der zieht Kunden an, die auch verbotswidrig über den jahreszeitlich gesperrten Betonweg parallel zum Schutzgebiet die Fischbude aufsuchen. Am 16. und 17. März wurde es zur Eröffnung des Imbisses zudem sehr laut am Hafen: Dort standen Verkaufsstände, eine Hüpfburg für Kinder, das Jahrmarktsspektakel wurde untermalt mit lauter Musik. Weitere Veranstaltungen dieser Art sollen folgen. Der Emder Oberbürgermeister Kruithoff unterstützt laut einem Zeitungbericht diese Entwicklung direkt am Schutzgebiet: „Wir wollen den Tourismus in Petkum nicht ausbremsen, sondern fördern“.
Was die Wochenendbesucher anzog, war für die Enten und Watvögel, die sonst in und an den angrenzenden Brackröhrichtflächen der Ems ihre Nahrungsgründe aufsuchen, zuviel, sie verließen fluchtartig das Gebiet. Die Gänse im Deichvorland direkt neben der Besucherbespaßung waren in ständiger Alarmstimmung oder flohen. „Es war die Hölle“, so der Fischbudenbetreiber in der Lokalzeitung, er meinte aber nicht die Vögel, sondern den Ansturm auf sein Geschäft. Der Imbiss soll nun jeweils von März bis Oktober am Hafen stehen. Der Standplatz des Fischimbisses ist direkt an der Hafenkante, ungesichert, ohne Barriereschutz. Mal abwarten, wann das erste Fischbrötchen mitsamt dem kauenden Kunden oder einem Kind ins Hafenbecken fällt.
Die Nordwest Zeitung aus Oldenburg machte daraus sogar eine Fisch-Versorgungsnummer und titelte am 17. März 2024 dies:
Im Emder Stadtteil Petkum ist jetzt eine Versorgungslücke geschlossen worden: Seit dem Wochenende gibt es direkt am Fähranleger den Petkumer Fischimbiss.
Aßen die Petkumer vorher keinen Fisch? Wo kauften sie ihren Fisch vorher?
Ob der Standplatz, der zusätzliche Lärm, das Treiben der vielen Menschen, mit dem nationalen und europäischen Naturschutzrecht vereinbar ist, wird sich zeigen, unser Mitarbeiter Eilert Voß hat deswegen beim Umweltamt der Stadt Emden angefragt:
1. Wurde von den Betreibern bei der Stadt Emden eine Genehmigung beantragt und falls JA, wurde diesem Antrag stattgegeben?
2. Wurde im Zusammenhang mit einer etwaigen Antragstellung bei der Stadt Emden eine FFH-Verträglichkeits- Prüfung nach den Richtlinien des Bundesnaturschutzgesetzes durchgeführt?
3. Wurden bei der Prüfung etwaiger Antragsunterlagen Sicherheitsbelange für den Betrieb eines Verkaufsstandes an einem ungeschützten Steilufer geprüft, der u.a. einem Fährbetrieb u. Hochwasserschutz vorbehalten ist und wenig geeignet ist, Kindern und Nichtschwimmern Sicherheit zu bieten.
4. War der Emder Verwaltung bekannt, dass mit dem Betrieb eines Fischimbisses in Zukunft weitere touristische Rahmen- Veranstaltungen mit Bierausschank, Hüpfburg ect. geplant sind, wie von den Betreibern in der OZ [Ostfriesen Zeitung] angekündigt?
5. Was gedenkt die Stadt Emden zu tun, den ursprünglichen Zustand am Petkumer-Fähranleger und die freie Sichtachse auf Ems und Außenmuhde wieder herzustellen und einen begonnenen, gewerbsmäßigen Verkauf von Fisch vom NSG-Petkum in den Ortskern zu verlagern?
Die Vogelschutzrichtlinie der EU, geltendes Recht für die Mitgliedstaaten, schreibt einen „günstigen Erhaltungszustand“ für die Schutzgebiete vor, es gilt ein „Verschlechterungsverbot“ in den Schutzgebieten, auch dann, wenn die abträglichen Störungen von außerhalb der Grenzen des Schutzgebietes ausgehen. Das Bundesnaturschutzgesetz fordert für solche „Projekte“ eine Verträglichkeitsprüfung, und die wurde mit Sicherheit nicht vorgenommen.
Der Niedersächsische Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) beschreibt das Gebiet u.a. so:
„Die Emsmarsch ist ein herausragendes Rast- bzw. Überwinterungsgebiet für zahlreiche Wat- und Wasservögel. Die Individuenzahlen von Säbelschnäbler, Grau- und Weißwangengans sind regelmäßig von internationaler Bedeutung. Auch Pfeifente, Krickente, Uferschnepfe und Regenbrachvogel nutzen die Marsch in großen Beständen als Rastplatz.“
Nachtrag 28. März 2024: Der Betonweg (Teekabfuhrweg) am Vogelschutzgebiet ist jahreszeitlich vom 01. Oktober bis zum 30. Juni eines jeden Jahres zum Schutz der Rast- und Brutvögel für den Besucherverkehr gesperrt und enstprechend beschildert. Dennoch gibt es Zeitgenossen, die den Schutz aus Böswilligkeit, Ignoranz oder Dummheit missachten. Die in der Sperrzeit verschlossene Pendelpforte wurde wiederholt gewaltsam mit Werkzeug geöffnet. Der neue Fischimbiss am Petkumer Fährhafen mag als zusätzlicher „Magnet“ zum Besuch des eigentlich gesperrten Teekabfuhrweges einladen, da ist ein verschlossenes Tor, das kletternd überwunden werden müsste, nur hinderlich.