Pressemitteilung der Verwaltung des Nationalparks Niedersächsisches Wattenmeer, 24. Juni 2022
Vogelgrippe grassiert unter Brutvögeln im niedersächsischen Wattenmeer
Erstmals Bestände von Seeschwalben im Nationalpark massiv betroffen
Vielen aufmerksamen Spaziergängern und Fahrradfahrern ist in den vergangenen Tagen aufgefallen, dass vermehrt tote Vögel im Spülsaum zu finden sind. Meist handelt es sich dabei um Brandseeschwalben, die derzeit in Kolonien auf Baltrum, Langeoog und Minsener Oog brüten.
Vielen aufmerksamen Spaziergängern und Fahrradfahrern ist in den vergangenen Tagen aufgefallen, dass vermehrt tote Vögel im Spülsaum zu finden sind. Meist handelt es sich dabei um Brandseeschwalben, die derzeit in Kolonien auf Baltrum, Langeoog und Minsener Oog brüten. Auf Minsener Oog befindet sich mit ca. 3.000 Brutpaaren die derzeit größte Brandseeschwalbenkolonie im niedersächsischen Wattenmeer. Das hoch infektiöse Vogelgrippevirus H5N1 breitet sich rasant aus und hat allein in der weiteren Umgebung der Kolonie auf Minsener Oog bereits zu rund 900 Totfunden geführt, die Dunkelziffer wird auf ein Vielfaches geschätzt. Ein Ende des Seeschwalbensterbens auf Minsener Oog ist derzeit noch nicht abzusehen. Aber auch Flussseeschwalben, Lachmöwen und Basstölpel, vermutlich aus britischen Brutkolonien, sind von der Vogelgrippe betroffen.
Die Naturschutzwarte des Mellumrates – der betreuende Verband dieses Abschnitts im Nationalpark – kontrollieren täglich einen Strandabschnitt der Insel Minsener Oog auf Totfunde, um den Verlauf des Infektionsgeschehen zu verfolgen. „Wir sehen derzeit viele tote Brandseeschwalben auch in der Kolonie. Daher ist zu befürchten, dass viele Küken nicht mehr durch ihre Eltern gefüttert werden können. Dies bedeutet ihren sicheren Tod, da sie verhungern“, berichtet Dr. Dietrich Frank, Beauftragter des Mellumrates für Minsener Oog. Die Situation ist vergleichbar mit den Flussseeschwalben am Banter See in Wilhelmshaven, wo ebenfalls ein hoher Anteil der Altvögel an der Vogelgrippe verendet. Insgesamt sind Seeschwalben im gesamten südlichen Nord- und Ostseebereich betroffen, in Nordfrankreich und in den Niederlanden sind bereits hohe Anteile des Brutbestandes gestorben und große Brutkolonien wurden aufgelöst.
Brand- und Flussseeschwalben sind langlebige Vögel, die 20–25 Jahre alt werden können und ab einem Alter von 1–3 Jahren mit der Fortpflanzung beginnen. Beide Arten sind nach der Roten Liste der Brutvögel Deutschlands als stark gefährdet bzw. vom Aussterben bedroht eingestuft, auch wenn sich die Bestände der Brandseeschwalbe in Niedersachsen in den letzten Jahren positiv entwickelt hatten. Bei langlebigen Vogelarten wird die Bestandsgröße vor allem durch die Sterblichkeit der Altvögel bestimmt. Dies lässt starke Rückgänge im Bestand beider Arten in den nächsten Jahren befürchten.
„Dies ist ein massiver Bestandsverlust von prägenden und wertbestimmenden Vogelarten für den Nationalpark. Die Auswirkungen auf das ökologische Gefüge, bei solchen Zugvögeln auch über das Wattenmeer hinaus, lassen sich derzeit überhaupt noch nicht abschätzen“, zeigt sich Peter Südbeck, Leiter der Nationalparkverwaltung Niedersächsisches Wattenmeer, tief besorgt. Die Tödlichkeit von Infektionskrankheiten führt allgemein vor Augen, wie wichtig es ist, Tiere durch Störungen nicht zusätzlich unter Stress zu setzen. Vielmehr sind akute Anstrengungen im Artenschutz nötig, um auch menschliche Gefährdungsursachen zu minimieren.
Für alle, die draußen in der Landschaft unterwegs sind und tote oder mutmaßlich kranke Vögel entdecken, gelten folgende Regeln:
- Fassen Sie die Tiere auf keinen Fall an. Menschen können zu Virenträgern werden und die Geflügelpest in andere Teile des Landes verschleppen.
- Halten Sie Abstand, belassen Sie das Tier an Ort und Stelle und lassen Sie die Vögel ggf. in Ruhe sterben.
- Halten Sie auch Ihren Hund auf Abstand (die generelle Anleinpflicht gilt bundesweit bis Ende Juli!).
- Melden Sie Beobachtungen und aktuelle Zahlen bei Auffälligkeiten den Veterinärbehörden der jeweils betroffenen Kreise. Dort wird über ggf. hieraus abzuleitende Maßnahmen entschieden (z.B. eventuelle Beprobungen etc.).
Das Verbot, wildlebende Tiere an ihrem Ruheplatz aufzusuchen, zu berühren, aufzuheben oder mitzunehmen, gilt immer und überall in Deutschland, unabhängig von der derzeitigen Gefahr der Geflügelpest. Dies betrifft Vögel, Robben und andere Säugetiere, ob im Wattenmeer oder anderswo in Schutzgebieten und der übrigen freien Landschaft.
Die Nationalparkverwaltung stellt in Kooperation mit dem NLWKN, dem Mellumrat und anderen Fachleuten insbes. der Veterinärbehörden die Gesamtzahl der aufgefundenen Vogelgrippe-Opfer im Wattenmeer zusammen. Wenn Sie dieses Monitoring des Vogelgrippe-Geschehens unterstützen wollen, melden Sie bitte entsprechende Beobachtungen an poststelle@nlpvw.wattenmeer.de, mit möglichst genauer Ortsangabe, Art (ggf. Foto), Zustand (bspw. frisch tot) und Anzahl der Vögel. Bitte melden Sie uns nur Funde, die räumlich in Verbindung mit dem Wattenmeer stehen, also direkt vor dem Deich, am Strand, im Watt, in Salzwiesen und Dünen. Die Meldung solcher Zufallsfunde ergänzt das systematische Monitoring durch Fachleute von NLWKN und Nationalparkverwaltung. Ein gezieltes „Suchen“ durch Freiwillige ist allerdings weder sinnvoll noch erforderlich.
Ansprechpartner
Ähnliche Beiträge:
- Mehr Kegelrobben im niedersächsischen Wattenmeer gezählt
- Bensersiel: Höhenfeuerwerk über dem Nationalpark Wattenmeer
- Strandbrüter – Opfer des Massentourismus
- Was zu viel ist, ist zu viel: Kitesurfer und Höhenfeuerwerke im „Welterbe“ Wattenmeer, Brief an Umweltminister Dr. Röttgen
- Küstenvogelschutz: Katzenverordnung auf Wangerooge
- Wieder Seehundsterben in der Nordsee
- Auch Neuharlingersiel will Kitesurfer in der Schutzzone des Nationalparks
- Ausgesetztes Damwild auf der Insel Borkum soll wieder weg, „notfalls mit Gewalt“
- Zugvogelspektakel
- Langeoog: Weltnaturerbe nur Schall und Rauch