Da ist sie wieder: Die Umgehungsstraße Bensersiel (Stadt Esens) im Landkreis Wittmund, „schwarz“ gebaut in einem europäischen Vogelschutzgebiet, nun zum zweiten Mal aufgegriffen und gerügt vom Bund der Steuerzahler. Zur Historie:
Das Bundesverwaltungsgericht entschied 2014 „dass ein Bebauungsplan für eine Ortsumgehungsstraße, der die Straßentrasse in einem faktischen Vogelschutzgebiet festsetzt und damit gegen das Beeinträchtigungsverbot der europäischen Vogelschutzrichtlinie (V-RL) verstößt, nicht dadurch nachträglich ´geheilt´ wird, dass das Land nach Abschluss der Planung ein Vogelschutzgebiet an die EU-Kommission meldet, das an die Straßentrasse heranreicht, diese aber nicht in das Schutzgebiet einbezieht.“ (BVerwG 4 CN 3.13 – Urteil vom 27. März 2014: .pdf)
Dieser „Schwarzbau“ kostete den Steuerzahler nach Entschädigung des Landeigentümers fast dreizehn Millionen Euro, einschließlich 5,4 Millionen Euro staatlicher Fördergelder, die aber eigentlich gar nicht gezahlt werden durften, weil ein Normenkontrollverfahren des Landeigentümers gegen die Stadt vor dem Bundesverwaltungsgericht anhängig war, das für ihn erfolgreich ausging.
Nach jahrelangem Hin-und-Her einigte sich die Stadt Esens schließlich mit dem Landeigentümer und kaufte diesem 2020 seine inzwischen von der Straße überbauten Flächen für eine enorme Kaufsumme ab. Daraufhin zog der Landeigentümer seine weitere bereits eingereichte Klage gegen einen neuen Bebauungsplan, der die Straße legalisieren sollte, zurück.
Die Straße wurde 2021 trotz des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts für den Verkehr freigegeben, der Esenser Stadtdirektor Harald Hinrichs (parteilos) bezeichnete die Straße als „rechtssicher“, was aber gerichtlich nie festgestellt wurde.
Der Bund der Steuerzahler moniert u.a. in seinem Schwarzbuch 2021:
„Schon im Schwarzbuch 2017 prophezeite der Bund der Steuerzahler, dass am Ende wohl der Steuerzahler für die politischen Tricksereien und juristischen Winkelzüge der Stadt Esens herhalten muss. Drei Jahre später, im November 2020, sollten sich diese Befürchtungen bewahrheiten. […] Der Stadtrat stimmte der Grundstückskaufvereinbarung im November 2020 zu. Dafür mussten die Ratsmitglieder allerdings einen Nachtragshaushalt für das Jahr 2020 verabschieden, da die für den Ankauf benötigten Finanzmittel bis dahin noch nicht im Etat berücksichtigt waren. Aus diesem Nachtragshaushalt lässt sich schließen, dass die Stadt Esens für den Grundstückskauf, die Grunderwerbsteuer sowie für Nebenkosten rund 4,4 Mio. Euro in die Hand nehmen musste. Den Großteil davon fnanzierte die Stadt über die Aufnahme neuer Kredite.“
Bereits 2017 bescheinigte das Verwaltungsgericht Oldenburg der Stadt „fortgesetztes rechtsuntreues Verhalten“ im Zusammenhang mit der gerichtlich angeordneten Straßensperrung, die aber nur völlig unzureichend von der Stadt umgesetzt wurde. Die Kommunalaufsicht versagte. Zur Verantwortung gezogen für diese Misswirtschaft und die Missachtung europäischen Rechts wurden niemand, keiner trat von seinen Ämtern zurück. Die politisch Verantwortlichen für das Millionen teure Straßen-Desaster im EU-Vogelschutzgebiet wurden bei der letzten Kommunalwahl im September 2021 wieder in den Rat der Stadt Esens gewählt.
Ein Unrechtsbewusstsein ist in der Stadt Esens nach wie vor nicht vorhanden. Hier der Zeitungsbeitrag aus dem „Anzeiger für Harlingerland“ aus Wittmund vom 10. Nov. 2021:
„Befürchtungen haben sich bewahrheitet“
SCHWARZBUCH – Vorwurf: Steuerzahler zahlt für unangebrachte Tricks und Winkelzüge der Stadt die Zeche
BENSERSIEL. (AH/HÄ/dit) Die kommunale Entlastungsstraße Bensersiel kommt nicht aus den Schlagzeilen. Erneut hat sie es in das Schwarzbuch des Bundes der Steuerzahler geschafft. Auf dessen Seite heißt es: „Teure Einigung beim längsten Schwarzbau Deutschlands“ und „Unsere Befürchtungen haben sich bewahrheitet“.
Das ist passiert
Der Autor Jan Vermöhlen schreibt: „Jahrelang hat die Stadt Esens versucht, die im Mai 2011 fertiggestellte Umgehungsstraße durch die Aufstellung neuer Bebauungspläne und die Neuabgrenzung des Vogelschutzgebiets nachträglich zu legalisieren – vergeblich. Allein für die nachträgliche Bauleitplanung hat die Stadt in den Jahren 2014 bis 2018 mindestens 270 000 Euro zusätzlich aufwenden müssen.“ Erste Angebote der Stadt an den klagenden Grundstücksbesitzer, die überbauten Flächen zu erwerben, seien nicht von Erfolg gekrönt gewesen. Die rund zwei Kilometer lange Straße sei gesperrt geblieben, der Durchgangsverkehr sei weiter durch Bensersiel gerollt. Schon im Schwarzbuch 2017 hätte der Bund der Steuerzahler damit gerechnet, dass am Ende wohl der Steuerzahler für die „politischen Tricksereien und juristischen Winkelzüge der Stadt Esens“ aufkommen müsse. Im November 2020 hätte sich dies bewahrheitet. Zu diesem Zeitpunkt habe die Stadt Esens verkündet, man habe sich mit dem Grundstücksbesitzer auf einen Kauf einigen können. Sämtliche überbauten Teilabschnitte der Entlastungsstraße seien somit in den Besitz der Stadt übergegangen. Der Eigentümer habe sich im Gegenzug dazu bereiterklärt, die Klagen auf Nutzungs- und Durchschneidungsentschädigungen sowie gegen den neuen Bebauungsplan zurückzuziehen. Über die Höhe des Kaufpreises sei zunächst einvernehmlich Stillschweigen vereinbart worden. Der Stadtrat habe der Grundstückskaufvereinbarung im November 2020 zugestimmt. Dafür hätten die Ratsmitglieder allerdings einen Nachtragshaushalt für das Jahr 2020 verabschieden müssen, da die für den Ankauf benötigten Finanzmittel noch nicht im Etat berücksichtigt waren. Aus diesem Nachtragshaushalt lasse sich schließen, was die Stadt Esens für den Grundstückskauf gezahlt habe.
Streit Beigelegt
Harald Hinrichs, Bürgermeister der Samtgemeinde Esens, habe damit gerechet, dass die Entlastungsstraße wieder in das Schwarzbuch aufgenommen werde. „Für uns ist diese Auseinandersetzung aber beigelegt“, erklärt er. Dass die Einigung einen stolzen Betrag gekostet habe, sei keine Frage. Dennoch schaue Esens jetzt nach vorne. Ob sich die Gemeinde durch eine frühere Einigung wirklich viel Geld gespart hätte, sei nur eine Mutmaßung.
Thema im Rat
In der konstituierenden Sitzung des Esenser Stadtrates wurde die Einigung mit dem ehemaligen Flächeneigentümer als wohl wichtigstes Ereignis der vergangnen Legislaturperiode bezeichnet. Das Nordseeheilbad Bensersiel sei auf die kommunale Entlastungsstraße angewiesen. Eine touristische wie städtebauliche Weiterentwicklung des Ortes sei ohne diese Straße nicht möglich, habe es schon in der Vergangenheit immer wieder geheißen. Jetzt, durch Einigung mit dem langjährigen Kläger, sei diese Entwicklung endlich möglich. Bensersiel soll zum Arbeitsschwerpunkt des Rates der Stadt Esens in den jetzigen Legislaturperiode werden. Bensersiel müsse entlastet werden. Geplant ist die Neugestaltung der alten Ortsdurchfahrt.
Mehr Informationen unter: bit.ly/Entlastungsstraße