Kängurusiel? So nennen Spötter den Ort Dornumersiel, eine Touristenhochburg am Wattenmeer im Landkreis Aurich. Die dazugehörige Gemeinde Dornum ist zwar finanziell notorisch klamm und auf staatliche Unterstützung angewiesen, was aber die Tourismusmacher in Dornumersiel nicht davon abhält, große Sprünge mit nichts im Beutel zu wagen, wie ein Känguru aus Downunder.
So stellte schon 2009 der rührige und ideenreiche Tourismusmanager der Gemeinde, Rolf Kopper, einen bis zu 35 Millionen Euro teuren „Indoorhafen“ vor, mit Glas überdacht vor, für Fischkutter und Sporboote und dazu eine Shopping-Mall. Nur, es fanden sich keine Investoren für diese 35 Millionen Euro teure Kopfgeburt eines Disneylandes an der Wattenmeerküste. Schon damals gab es einen breiten örtlichen Protest gegen diese Schnapsidee. Der Ort hat ca. 450 (vierhundertfünfzig) Einwohner, die Region Dornum/Neßmersiel verzeichnet ein Gästeaufkommen von mehr als 80.000 Personen jährlich mit ca. 550.000 Übernachtungen (Quelle: IHK für Ostfriesland und Papenburg): Massentourismus.
Objekt der Entwicklungsbegierde: der Mahlbusen
Hinter dem Deich liegt ein weiteres Gewässer der Begierde, der „Mahlbusen“, der mit weiblichen Formen nichts zu tun hat. Der Mahlbusen ist ein See und ein Vorfluter, der das Niederschlagswasser aus den Gräben des Binnenlandes sammelt und dann bei Niedrigwasser über das angeschlossene Siel in das Watt des Nationalparks entwässert. Der Mahlbusen gehört zudem zu einem Europäischen Vogelschutzgebiet und ist als Landschaftsschutzgebiet ausgewiesen, aber nicht als solches beschildert.
75 Millionen oder 35 Millionen Euro für eine Kopfgeburt?
2020 wurde die „Mahlbusen-Entwicklungsgesellschaft“ gegründet, deren Aufgabe es sein soll, Investoren zu werben, Genehmigungen einzuholen und Grundstücke zu kaufen. Es wurden gar 75 Millionen Euro für das Projekt veranschlagt. Aber auch diese Pläne werden skeptisch gesehen und nun wird eine „Alternative“ dazu vorgeschlagen: Eine „nur“ 35 Millionen teure „Idee für einen grünen Hafen“ erlebt jetzt ihre Wiedergeburt, etwas nebulös und widersprüchlich vorgestellt in den Lokalzeitungen „Ostfriesischer Kurier“ aus Norden und dem „Anzeiger für Harlingerland“ aus Wittmund. Akteure sind diesmal Uilke van der Meer, ehemaliger Leiter des BUND-Nationalparkhauses in Dornumersiel und zwei SPD-Lokalpolitiker.
Anzeiger für Harlingerland, 17. Sept. 2021
[…] Plan vom Indoor-Hafen wird weiter verfolgt […] Zudem seien Konflikte mit dem Naturschutz vorprogrammiert, so Uilke van der Meer. Der Mahlbusen ist Teil eines europäischen Vogelschutzgebietes mit strengen Auflagen. […]Alternativvorschlag zur Diskussion gestelltTheessen, van der Meer und Heinz-Ludger Henning möchten einen anderen Weg beschreiten, weshalb sie den Dialog mit der Dornumersieler Bevölkerung, Natur- und Umweltschützern, Fischerei sowie Gemeinde, Tourismus GmbH und Projektentwicklungsgesellschaft suchen. Wie in den Niederlanden möchten sie eine ganzheitliche Entwicklung „von unten“ anstoßen. „Das kommt auch der dörflichen Entwicklung zugute“, glaubt Uilke van der Meer. Viele Dornumersieler würden sich in ihrem Heimatort nicht mehr wohlfühlen. „Alles ist auf den Tourismus ausgerichtet.“ […] Der beabsichtigte Deichdurchbruch – abgesichert durch Sturmflutbarriere oder Schleuse – soll auch ein Durchbruch sein für Mensch und Natur. Die Aufwertung des Naturraums durch die Wiederherstellung des Seezugangs wird gefolgt – so die Hoffnung – von wirtschaftlicher Entwicklung. Geplant sind ein Hafen, ein Deichstrand, Ferienhäuser und Besucherzentren. Was Uilke van der Meer so fasziniert an dem Projekt, ist die Verbindung von Ökologie mit Ökonomie. „Es spricht nichts dagegen, wenn Leute Geld verdienen wollen“, sagt der langjährige Leiter des Nationalpark-Hauses in Dornumersiel. Nur müssen für den Naturschützer touristische Vorhaben in Einklang mit der Natur erfolgen. […] Die Idee der drei Männer ist, das Dorf Dornumersiel nachhaltig weiterzuentwickeln und kein Feriensondergebiet zu schaffen. „Die Dorfbewohner sollen dort noch leben mögen.“ Herzstück ist ein „grüner Hafen“. Denn an dem schiffbaren Sielzug halten sie fest. Theessen: „Dadurch wäre Fischkuttern, Sportbooten oder Traditionsseglern die Einfahrt in den Mahlbusen möglich.“ […] Zwar greife man mit der Öffnung des Mahlbusens in einen sensiblen Naturraum ein, werte ihn aber gleichzeitig auch auf.
„Hohe Hürden“
Also doch: die Einbeziehung des Mahlbusens. Nicht nur für bauliche Maßnahmen gäbe es, wie bereits richtig erkannt wurde, „hohe Hürden; auch die Veränderung eines Süßwassergewässers in ein Brackwassergewässer in diesem Schutzgebiet stellt eine enorme Hürde dar. Die Europäische Wasserrahmenrichtlinie, geltendes EU-Recht, beinhaltet ein Verschlechterungsverbot eines Gewässers. Und falls diese Projekte jemals konkret werden sollten, müsste nach dem Bundesnaturschutzgesetz zunächst eine Verträglichkeitsprüfung über die Auswirkungen auf die Erhaltungsziele des Schutzgebietes erfolgen, auf kommunaler Ebene wird das gerne ignoriert. Das kann dann teure Folgen haben, siehe der „Schwarzbau“ der Umgehungsstraße im Nachbarort Bensersiel.
Die neuen Vordenker
Der Vordenker für einen neuen „grünen Hafen“ ist nun neben den zwei SPD-Lokalpolitikern Uilke van der Meer. Er war bis zu seiner Verrentung 2021 Leiter des BUND-Nationalparkhauses Dornumersiel im Landkreis Aurich. Er war zudem Mitbegründer des 2001 in Dornum gegründeten Wattenrates Ostfriesland und zuvor aktives Mitglied in der Vorgängerorganisation „Konferenz der Natur- und Umweltverbände Ostfrieslands“. In den neunziger Jahren war er einer der Ersten, der nicht nur vor Fernsehkameras öffentlich seinen Unmut über die beginnende „Verspargelung“ der Landschaft an der Küste durch Windkraftanlagen äußerte. Ebenfalls in den Neunzigern nahm er an den Protesten gegen den Bau der Statoil-Gasleitung „Europipe“ quer durch den Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer teil. 2004 zitierte ihn die Tageszeitung taz so: „Drastisch drückt es Uilke van der Meer aus: ´Wir sind die Leute, die sich ehrenamtlich für den Naturschutz den Arsch aufreißen.´“
Auf Druck des BUND-Niedersachsen musste er 2006 seine Mitarbeit im Wattenrat einstellen. Die Begründung: Er gefährde die Zahlung von Landesfördergeldern für den BUND. Zuvor hatte er als Wattenratmitglied an einer Veranstaltung mit dem damaligen niedersächsischen Umweltminister Hans-Heinrich Sander in Bensersiel zu Fragen der Ausweisung von EU-Vogelschutzgebieten und Auswirkungen auf die Landwirtschaft teilgenommen. Anwesende Wattenratmitglieder hatten dem Minister kritische Fragen zur mangelnden Umsetzung der Vogelschutzrichtlinie in Niedersachsen gestellt.
Eine Wandlung vom Paulus zum Saulus?
Und dann die plötzliche wundersame Wandlung von Herrn van der Meer: Das BUND-Nationalparkhaus Dornumersiel wurde nach dem Umbau mit neuer Ausstellung 2010 neu eröffnet. Das Geld dafür kam auch von Statoil, dem Energiekonzern EON und örtlichen Windkraftbetreibern (Quelle: Ostfriesischer Kurier, 20. Mai 2010). Und hier: „Hier schaut der Naturschutz in die Gas-Röhre“. Seitdem „ziert“ ein Teilstück der Erdgasleitung den Außenbereich des Nationalparkhauses; im Haus wird über die Windenergienutzung an der Küste informiert.
„Nachhaltige touristische Entwicklung“ durch noch mehr Tourismus?
Van der Meer als ehemaliger erklärter Naturschützer unterstützt nun das neue touristische Projekt, das auch den Süßwassersee „Mahlbusen“ im Landschaftsschutz- und EU-Vogelschutzgebiet einbeziehen soll. Zitat aus den erwähnten Zeitungen: “Geplant sind ein Hafen, ein Deichstrand, Ferienhäuser und Besucherzentren“. Nur gibt es das alles bereits in Dornumersiel. Obwohl van der Meer erkannt hat, dass das hohe Touristenaufkommen vielen Dornumersielern nicht gefällt (“Viele Dornumersieler würden sich in ihrem Heimatort nicht mehr wohlfühlen. Alles ist auf den Tourismus ausgerichtet“) will er mit den zeitgeistigen Leerfloskeln „Einklang mit der Natur“, „nachhaltige touristische Entwicklung“ oder die „Verbindung von Ökologie mit Ökonomie“ für noch mehr Touristen im Ort sorgen. Die Frage ist, ob sich die Dornumersieler Einwohner mit noch mehr Touristen besser fühlen und diese Vordenker noch ernstgenommen werden.
Nachtrag 2022: Es kommt noch besser: Uilke van der Meer ist im erweiterten Vorstand des Naturschutzverbandes BUND, Landesverband Niedersachsen, tätig. Der LV Niedersachsen setzt sich vehement für den Ausbau der sog. „erneuerbaren Energien“ ein und fordert das Verbot von Öl- und Gasheizungen. Der BUND ist damit auf voll auf ideologisch zementierter Ampel-Regierungslinie. Damit soll laut BUND die „Energiesouveränität“ gesichert und „das Klima gerettet“ werden. Wo bleibt der Naturschutz beim BUND? Wurde er durch mangelnde Kenntnis der Physik in Zusammenhang mit volatiler Stromeinspeisung von Wind- und Sonnenenergie ersetzt…