Im Vorlandbereich der Ems wird seit Jahrzehnten stark auf Enten und Gänse gejagt, die hier auf ihrem Zug rasten und sich Fett für ihre weiten Luftreisen anfressen. Dabei sind die Jäger nicht zimperlich: Sogar im Nebel und Schneetreiben wird auf die Tiere geschossen, also auch dann, wenn man die Arten gar nicht unterscheiden kann. Eine besondere Form der Jagd im Wattenmeer stellte die Pooljagd dar, bei der der Jäger in einem holzverschalten Loch oder in einer Tonne hockte, vor sich flugunfähige Lockenten angebunden hatte und dann auf Beute vor der Flinte wartete. Im Wattenmeer ist die Wattenjagd seit fast 25 Jahren durch die Einrichtung des Nationalparks verboten, an der Ems wird allerdings weiter auf Zugvögel geballert.
Eine „edler Waidmann“ ließ sich im Außendeichbereich in einem Natur- und EU-Vogelschutzgebiet bei Midlum an der Ems etwas ganz Besonderes einfallen, um Enten oder Gänse vor die Flinte zu bekommen: An einem extra angelegten Teich im Deichvorland pferchte er mit einem nach oben offenen Maschendrahtgeflecht zehn flugunfähige Enten auf wenigen Quadratmetern ein, um wildlebende Wasservögel anzulocken. Damit die Enten nicht fliehen konnten, waren sie kupiert worden.
Kupieren bei Vögeln heißt das Abtrennen des Handflügelknochens an einem Flügel, damit ist der Vogel auf Lebenszeit flugunfähig. Kupieren von Vogelküken war bis vor einigen Jahren eine gängige Methode, um Hausenten am Fortfliegen zu hindern, auch in Zoos wurde dies praktiziert. Inzwischen ist das Kupieren nach dem Tierschutzgesetz verboten. Auch die Lockjagd mit verstümmelten Tieren ist nach dem Bundesjagdgesetz nicht zulässig, das kümmerte den Waidmann an der Ems allerdings nicht. Von einem Mitarbeiter des NABU in Leer wurden die Behörden auf diese Tierquälerei aufmerksam gemacht, Eilert Voß vom Wattenrat dokumentierte diesen Missstand und eine Lokalzeitung griff das Thema auf. Die Behörden allerdings sahen das ganz anders:
Die Untere Naturschutzbehörde in Leer, deren Leiter ebenfalls Jäger ist und der zuständige Kreisjägermeister Jan-Wilhelm Hilbrands, in dessen Jagdrevier die Enten eingesperrt waren, sahen keine jagdrechtlichen Verstöße. Der Justitiar der Landesjägerschaft stellte kein jagdrechtliches Fehlverhalten fest; zur Frage erhoben wurde gar, ob das Kupieren eine „Verstümmelung“ darstellt, man war sich also mal wieder einig. Jagdrechtlich hat man dem Lockentenjäger damit den Rücken freigehalten, das riecht nach jagdlicher Kumpanei. Allerdings soll er nun eine Ordnungswidrigkeitsanzeige erhalten, wegen des Verstoßes gegen die Geflügelpestverordnung, sprich Entenhaltung und Vogelgrippe. An der Ems ziehen jährlich abertausende von Enten und Gänsen durch, ohne dass sie jemals mit Vogelgrippe auffällig geworden sind.
Werner Hupperich, der die WebSeite der „Gänsewacht“ betreibt, hat nachgelegt. Sein Schreiben an das Amt für Veterinärwesen und Lebensmittelüberwachung in Leer wegen des Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz können Sie hier nachlesen: Lockenten_Anschreiben_LK_Leer_17_10_10 .
Diese Art der Jagd hat eine lange Tradition, hier einige Bilder aus dem Archiv von Eilert Voß aus den 1980er Jahren, die einen Pooljäger in seinem Poolfass und angepflockte Lockenten zeigen.
Was noch zu bemängeln ist: Es ist ein Skandal, dass die Landesjägerschaft in Niedersachsen die Jagd auf Wasservögel in Schutzgebieten unterstützt. Die Jäger in Niedersachsen dürfen sich „anerkannter Naturschutzverband nennen….
DER WECKER, ZGO, Landkreis Leer
17. Oktober 2010 Nr. 42 – 17. Jahrgang
Unabhängige Sonntagszeitung für den Landkreis Leer und das angrenzende Oldenburgerland
Lebende Enten im Lockvogel-Einsatz
Ein Jäger sperrte die flugunfähigen Vögel im Midlumer Vorland in einen Käfig, um Wildgänse und -enten leichter vor die Flinte zu bekommen.
Von Edgar Behrendt
RHEIDERLAND. Ein Käfig mit zehn darin gefangenen flugunfähigen Stock-Enten hat in dieser Woche die Mitarbeiter mehrerer Behörden in Leer – der Polizeiinspektion, des Kreisveterinäramtes, der Unteren Jagdbehörde und der Unteren Naturschutzbehörde – auf den Plan gerufen. Das etwa fünf Quadratmeter große Drahtgehege mit den Tieren, die jeweils einseitig flügelgestutzt waren, stand im Naturschutzgebiet „Emsauen zwischen Ledamündung und Oldersum“ im Midlumer Vorland und diente einem Jäger offenbar dazu, Wildvögel vor die Flinte zu locken. Entdeckt hatte den Käfig, der mehr als zehn Tage lang aufgebaut war, Klaus Gerdes von der Kreisgruppe des Naturschutzbundes (NABU) in Leer. Am Donnerstag musste das Gehege wieder entfernt werden, nachdem sich Fachleute der Behörden ein Bild von dem fragwürdigen Schauspiel gemacht hatten. Laut Johann Vehndel von der Umweltpolizei liegt zwar kein Verdacht auf eine Straftat vor. Der Jäger muss jedoch mit einem Ordnungswidrigkeitenverfahren durch den Landkreis rechnen. „Weil er gegen die Geflügelpestverordnung verstoßen hat“, erklärt Pressesprecher Dieter Backer. Weiterhin sei aus naturschutzrechtlicher Sicht bemängelt worden, dass die „Anlage“ im Vorfeld nicht angezeigt worden war. Dagegen habe eine Prüfung der jagdrechtlicher Belange keine Verstöße ergeben.
Sonntag, den 17. Oktober 2010 / Der Wecker Seite 3
Fortsetzung von Seite 1
Sofort Abbau angeordnet
Auch Kreisjägermeister Jan-Wilhelm Hilbrands war wenig begeistert vom Einsatz lebender Enten als Lockvögel.
Von Edgar Behrendt
RHEIDERLAND. Ob der Einsatz lebendiger, flügelgestutzter und eingesperrter Enten als Lockvögel laut Jagd- oder Tierschutzgesetz verboten ist oder nicht, ist ganz offensichtlich umstritten. Nicht nur Klaus Gerdes vom NABU sieht ein eindeutiges Verbot. Auch Eilert Voss aus Emden, Mitglied des Wattenrates Ostfriesland, ist dieser Ansicht. Er verweist auf das „Herumgeballer mit Schrot“ in unmittelbarer Nähe, durch das die Stockenten derart aufgescheucht würden, dass sie sich am Maschendraht verletzen könnten. Er moniert auch, dass größere Greifvögel wie zum Beispiel ein Habicht „bequem in den nach oben hin geöffneten Käfig einsteigen könnten“, um sich eine der wehrlosen Enten zu greifen – wobei es der Jäger mit der Käfigöffnung offensichtlich „ausnahmsweise einmal gut gemeint“ habe, wie Voss ironisch anmerkte: „So müssen die Vögel wenigstens nicht bei Hochwasser ertrinken“.
Der Naturschützer beruft sich vor allem auf Paragraf 19, Absatz 5 b des Bundesjagdgesetzes. Darin heißt es, dass „Vogelleim, Fallen, Angelhaken, Netze, Reusen oder ähnlichen Einrichtungen sowie geblendete oder verstümmelte Vögel beim Fang oder Erlegen von Federwild nicht verwendet werden dürfen“. Nach Ansicht der Behörden greift dieser Paragraf offenbar nicht. Die möglicherweise entscheidende Frage: Gelten Enten, denen der Knochen der Handschwinge entfernt wurde, als verstümmelt oder nicht? Auch Kreisjägermeister Jan-Wilhelm Hilbrands stellt nach Rücksprache mit dem Justiziar der Landesjägerschaft Niedersachsen fest, dass „wohl kein jagdrechtlicher Verstoß vorliegt“. Unabhängig davon lehne er die Jagd mit Hilfe von lebenden Lockenten aber strikt ab, sagte er dem „Wecker“. Auch wenn die zehn Vögel offenbar gefüttert wurden, sei diese Vorgehensweise aus Tierschutzgründen – eingesperrt und unbeaufsichtigt – nicht zu tolerieren. Der Rheiderländer versteht ohnehin nicht, warum sich ein Jäger eine solche Mühe mache, lebende Enten einzusetzen, obwohl schon seit langer Zeit Kunststoffenten verwendet werden. Als er von dem Vorfall erfahren habe, stellt der Kreisjägermeister fest, habe er sofort Kontakt mit dem für das Gebiet zuständigen Jagdpächter aufgenommen, und angeordnet, dass der Käfig abzubauen sei und die Enten tierschutzgerecht untergebracht werden müssten.
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Links:
* Bundesjagdgesetz §19, Absatz 5 b:
Verboten ist… b) Vogelleim, Fallen, Angelhaken, Netze, Reusen oder ähnliche
Einrichtungen sowie geblendete oder verstümmelte Vögel beim Fang oder
Erlegen von Federwild zu verwenden…
* Tierschutzgesetz § 6 (1):
1) Verboten ist das vollständige oder teilweise Amputieren von
Körperteilen oder das vollständige oder teilweise Entnehmen oder
Zerstören von Organen oder Geweben eines Wirbeltieres.