Deutsche Generalanwältin beim EuGH empfiehlt Aufweichung des Artenschutzes

„Allerweltsvögel“? Junge Haussperlinge beim Baden – Foto (C): Manfred Knake

Zwei schwedische Naturschutzorganisationen („Naturskyddsföreningen“ und „Härryda Göteborgs Ornitologiska Förening“) klagten gegen den Verwaltungsrat des Landkreises Västra Götalands im Westen Schwedens wegen des Eingriffes in eine Waldlandschaft und die damit verbundene Vernichtung von Habitaten. Die Causa gelangte vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH). Bemerkenswert und bedenklich: Die Generalanwältin der EU, Juliane Kokott (Deutschland), schlägt dem Gerichtshof in ihrem Schlussantrag des Verfahrens vor, das bisher geltende Tötungs- und Verletzungsverbot nach der Vogelschutzrichtlinie für „Allerweltsarten“ aufzuweichen (Rn. 75 ff., 113).

Bisher sind alle Vogelarten „besonders geschützt“, davon einige Arten nach der deutschen Bundesartenschutzverordnung „streng geschützt“.

Juni 2019: „Klage zweier gemeinnütziger Vereine gegen die Entscheidung der Provinzverwaltung, in Bezug auf eine Abholzungsanmeldungfürein Waldgebiet, das Lebensräume einer Reihe von Tierarten umfasst, die nach der Richtlinie 92/43/EWG und der Richtlinie 2009/147/EG geschützt sind, keine Aufsichtsmaßnahmen zu ergreifen“

Die Europäische Gesellschaft zur Erhaltung der Eulen (EGE) hat die Sache im September kommentiert. Mit freundlicher Genehmigung der Eulenfreunde:

Bisher gilt das Tötungs- und Verletzungsverbot der EG-Vogelschutzrichtlinie allen europäischen Vogelarten. Es untersagt nicht nur das willentliche Töten und Verletzen, sondern auch das wissentliche Inkaufnehmen solcher Schädigungen. Deswegen können beispielsweise auch Vogelarten, die nicht bereits auf der Roten Liste stehen, in Zulassungsverfahren von Straßen, Windenergieanlagen und sonstigen Bauvorhaben mit einem Schutz zumindest vor einem signifikant erhöhten Tötungsrisiko rechnen.

Doch nun schlägt die Generalanwältin am Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH), Juliane Kokott, in den Rechtssachen C-473/19 und C-474/19 (pdf-Datei, ca. 348 KB) dem EuGH vor, das Tötungs- und Verletzungsverbot nach der Vogelschutzrichtlinie wie folgt auszulegen (Rn. 75 ff., 113):

„Wenn die Beeinträchtigung von Vögeln nicht bezweckt, sondern nur in Kauf genommen wird, gelten die Verbote nach Art. 5 Buchst. a und b der Richtlinie 2009/147 allerdings nur, soweit dies notwendig ist, um diese Arten im Sinne von Art. 2 auf einem Stand zu halten oder auf einen Stand zu bringen, der insbesondere den ökologischen, wissenschaftlichen und kulturellen Erfordernissen entspricht, und dabei den wirtschaftlichen und freizeitbedingten Erfordernissen Rechnung trägt.“

Zur Begründung wird u. a. ausgeführt, dass eine identische Auslegung des Absichtsbegriffs in Art. 12 Abs. 1 der FFH-Richtlinie und Art. 5 der Vogelschutzrichtlinie nicht sinnvoll sei, da dies im Vogelschutz deutlich weiterreichende Auswirkungen hätte. Während das strenge Schutzsystem im Artenschutz der FFH-Richtlinie auf wenige, in der Regel sehr seltene Arten beschränkt sei und Konflikte mit ihnen nicht sehr häufig seien, gelten die Verbote des Art. 5 der EG-Vogelschutzrichtlinie auch für Allerweltsarten, deren Beeinträchtigungen von modernen Gesellschaften bei verschiedensten menschlichen Aktivitäten, etwa der Errichtung von Gebäuden oder im Straßenverkehr in Kauf genommen werde. Die Erhaltung von Allerweltsarten erfordere in der Regel keine Verbote, die schon eingreifen, wenn eine Beeinträchtigung lediglich in Kauf genommen wird. Allerweltsarten seien deshalb so häufig, weil menschliche Aktivitäten ihren Bestand nicht gefährden würden.

Anmerkung der EGE: Was in aller Welt sind Allerweltsarten? Arten, die wie der Mäusebussard, die Schleiereule oder die Waldohreule noch nicht oder Arten wie der Uhu, die nicht mehr auf der Roten Liste stehen? Kann dann deren nicht bezweckter Tod auf Straßen oder an Windenergieanlagen in Kauf genommen werden? Der Schlussantrag der Generalanwältin dürfte die Bestrebungen befördern, den individuenbezogenen Schutz der Vögel zugunsten eines auf die Population bezogenen Schutzes abzusenken. Will heißen: Solange die Population einer Art nicht gefährdet ist, sind Verluste an neuen Straßen, Stromleitungen, Windenergieanlagen usw. hinzunehmen. Eine solche Vorgehensweise strebt das Bundeswirtschaftsministerium zugunsten von Energiewendevorhaben an. Auch Umweltverbände haben sich in der Vergangenheit in dieser Weise positioniert. Ist dies vielleicht ein Teil des „European Green Deal“?

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