Naturschutz auf Abwegen: ´Der Niedersächsische Weg´

Im Mai 2020 unterzeichneten der Ministerpräsident, Umwelt- und Landwirtschaftsminister, die Präsidenten von Landvolk und Landwirtschaftskammer und die Vorsitzenden von BUND und NABU Niedersachsen eine als „Maßnahmenpaket für den Natur-, Arten- und Gewässerschutz“ bezeichnete Vereinbarung zwischen Land, Landwirtschaft und Umweltverbänden. „Der Niedersächsische Weg“, so bezeichnen die Unterzeichner die knapp zehn Seiten Text – mutmaßlich in Abgrenzung zu einem Bayerischen Weg. In Bayern hatte ein Volksbegehren der dortigen Staatsregierung und dem Bauernverband substantielle Verbesserungen der rechtlichen und wohl auch tatsächlichen Lage von Natur und Landschaft abgerungen. Aus dem Niedersächsischen Umweltministerium heißt es, Umweltminister Lies fürchte nichts mehr als ein Volksbegehren im Bundesland Niedersachsen für mehr Artenschutz.

Das gilt mindestens gleichermaßen für Landvolk und Landwirtschaftskammer. Ob ein solches Volksbegehren nun vom Tisch ist, dürfte von BUND und NABU abhängen. Dass „Der Niedersächsische Weg“ den Naturschutz eher auf Abwege, jedenfalls nicht aus der Talsohle in die Höhe führt, deutet die unklare Analyse der Ausgangslage eingangs des Papiers bereits an. Die Landwirtschaft als der Hauptverursacher des Biodiversitätsdesasters wird erst gar nicht genannt; nicht von Bioziden, Nitrat und Phosphat aus der Agrarwirtschaft ist die Rede, sondern sybillinisch von einem „Eintrag von verschiedenen Stoffen in unsere Gewässer“. Ohne eine ehrliche Diagnose gibt es aber keine verlässliche Therapie.

Versäumnisse beim Grünlandschutz seit Jahrzehnten

Eine Verbesserung brächte gewiss die angekündigte Ergänzung der Liste der gesetzlich besonders geschützten Biotope um bestimmte Typen des Grünlandes. Eine solche Unterschutzstellung hätte der niedersächsische Gesetzgeber bereits vor 30 Jahren durchsetzen können. Nach den dramatischen Verlusten dieser Grünlandgebiete infolge von Entwässerung, Umbruch und Nutzungsintensivierung geht es nur mehr um einen Grünlandanteil von wenigen Prozenten – die Auswirkungen z.B. auf die Wiesenvögel sind desaströs. Den Umbruch bestimmter Grünlandtypen hatte der Bundesgesetzgeber bereits 2009 als Verstoß gegen die gute fachliche Praxis definiert, ohne dass Niedersachsen daraus je Konsequenzen zog. Im Gegenteil: Der Grünlandumbruch ist in Niedersachsen bis heute (von BUND und NABU unbemerkt) nicht einmal Gegenstand der gesetzlich geforderten Eingriffsregelung. Dass nun auch in Niedersachsen Streuobstwiesen gesetzlich geschützte Biotope werden sollen, ist zu verschmerzen. Sie sind in Niedersachsen weithin untypisch und kaum verbreitet.

Grünlanderneuerung, EU-Vogelschutzgebiet Rheiderland/LK Leer, 26. März 2020 – Foto: privat

Einige Bedeutung darf den angekündigten „15 weiteren Einrichtungen“ zur Betreuung von besonders schutzwürdigen Gebieten beigemessen werden, und zwar nicht allein für einen verbesserten Schutz der Gebiete selbst, sondern für das gedeihliche Verhältnis zwischen Landesregierung und Umweltvereinigungen, denn diese Vereinigungen dürfen sich bei der Einrichtung Hoffnungen auf Stellen, Budget und Einfluss machen, ohne dass sich substantiell etwas am Biodiversitätsdesaster außerhalb dieser „Landschaftsaquarien“ ändern würde.

Wirkungsloser Vertragsnaturschutz

Den seit Jahren fortschreitenden Verzicht auf ordnungsrechtliche Beschränkungen naturschutzkritischer Nutzungen will die Landesregierung offenbar noch forcieren. Die Unterzeichner setzen auf den Vertragsnaturschutz, der sich bereits bei der Sicherung der Natura 2000 Gebiete als Wunsch- und Trugbild erwiesen hat. Der Naturschutz hängt damit von der Kooperationsbereitschaft der Landwirte und der Verfügbarkeit von Haushaltsmitteln ab. In Aussicht gestellt werden in der Vereinbarung Zahlungen an die Landwirtschaft für eine moderate freiwillige Rücksichtnahme. Auch dafür leisten BUND und NABU ihre Unterschrift.

Böhmerwold/Stadt Leer: (Aus-) Mähen im Mai, EU-Vogelschutzgebiet Emsauen, keine Chance für Wiesenbrüter – Fot (C): Eilert Voß

Biotopverbund, auf dem Papier

Biotopverbund auf 15 Prozent der Landesfläche. Diese Ankündigung klingt progressiv. Allerdings verlangt dieses Ziel keine große Anstrengung. Auf diesen Anteil sind beispielsweise Landschaftsschutzgebiete anrechenbar, die in Niedersachsen fast 20 Prozent der Landfläche einnehmen, oft allerdings ohne sich von nicht besonders geschützten Gebieten ökologisch oder nur optisch zu unterscheiden. Zu einem Biotopverbund verpflichtet das Bundesnaturschutzgesetz die Länder im Übrigen seit 2009. Der im Papier den „Weg- und Feldrainen“ für die Biotopvernetzung zugeschriebene Wert ist überhöht; jüngste Studien zeigen, dass die üblicherweise schmalen Raine und Blühstreifen aufgrund der sie verbotswidrig permanent erreichenden Dünger- und Biozidfracht aus der Landwirtschaft weitgehend wirkungslos sind und erst ab etwa 6 Meter eine Wirkung für den Artenschutz entfalten.

Stiefkind Eingriffsregelung

Auch die im Bereich der Eingriffsregelung angestrebten Initiativen sind nicht von Fachverstand getrübt. Die Übernahme der flächenmäßig großenteils unbedeutenden Kompensationsflächen aus Bebauungsplänen in ein Verzeichnis der Naturschutzbehörden lohnt kaum den bürokratischen Aufwand. Diese wenigen Flächen sind ohnehin bereits in Bebauungsplänen hinterlegt. Die in der Vereinbarung ins Spiel gebrachte produktionsintegrierte Kompensation wird leicht zum Spielball landwirtschaftlicher Interessen. Am Ende werden oft nicht die Schäden behoben, die der Eingriff verursacht, sondern die Anforderungen eines echten und dauerhaften Schadensausgleichs unterlaufen.

Auch die Entwicklung von Liegenschaften des Landes hin zu mehr Naturnähe ist keine neue Verpflichtung, es verlangt sie das Bundesnaturschutzgesetz seit Jahrzehnten auf allen Grundstücken, Acker- und Grünland, an Gewässern und Gebäuden der öffentlichen Hand.
„Der Niedersächsische Weg“ ist ein Weg in die Bedeutungslosigkeit, nicht des Naturschutzes, aber seiner staatlich bestellten Sachwalter: der Naturschutzbehörden. Naturschutz ist immer noch staatliche Aufgabe, aber wo es langgeht, bestimmt der behördliche Naturschutz am wenigsten und zusehends weniger. Die Vereinbarung verweist die Landesfachbehörde für Naturschutz auf den Platz des Chronisten des Staatsversagens: Sie soll künftig alle fünf Jahre die Roten Listen aktualisieren. BUND und NABU haben sich als die für die Regierung bequemeren Akteure in Position gebracht – leichtfertig und leichtgewichtig. Sie für eine als zu leicht befundene Vereinbarung zu gewinnen, war offenbar ein Leichtes.

Blick in ein EU-Vogelschutz- und Landschaftsschutzgebiet: Bensersiel- eine illegal gebaute Umgehungsstraße (mit Zustimmung der NABU-Kreisgruppe Wittmund!) , inzwischen gerichtlich für den Verkehr gesperrt. Ein Windpark, viel zu dicht direkt am Vogelschutzgebiet repowert, keine Einwände von Naturschutzverbänden. – Foto (C): Manfred Knake

Absichtserklärungen im Konjunktiv

„Der Niedersächsische Weg“ ist vor allem eine Absichtserklärung, ein Katalog bekundeter Selbstverständlichkeiten, eine Liste des Konjunktiv, bisweilen bloßer Scheinverbesserungen und eine angekündigte Umverteilung finanzieller Mittel an die Landwirtschaft für eine großenteils ohnehin rechtlich und entschädigungslos geschuldete Rücksichtnahme auf Natur und Landschaft. Der Berufsstand mit der stets offenen Hand profitiert. Von einem Paket kann kaum die Rede sein, eher vom einem Päckchen – von einem Mogelpäckchen. Allerdings mit Geldgeschenken zur Befriedung gesellschaftlicher Konflikte, wie sie auch in anderen Politikbereichen zur Gewohnheit wurden. Insofern ist der Naturschutz im Hier und Jetzt angekommen. Ob das hierfür ausgelobte Budget am Ende der COVID-19-Pandemie allerdings für die Maßnahmen reicht, die man nicht bloß „umsetzen“, sondern „konsequent umsetzen“ will, darf bezweifelt werden.

Klageverzicht gegen Bares

BUND und NABU haben sich in Niedersachsen schon mehrfach zu heute vergessenen Vereinbarungen hinreißen lassen, die sich für sie auszahlten – nicht aber für die Sache des Naturschutzes. Erinnert sei an das unsägliche Geschachere um die Emsvertiefung für die Riesenschiffe der Meyer Werft im binnenländischen Papenburg, das in einem „Generationenvertrag“ einschließlich Klageverzicht der Umweltverbände NABU, BUND, WWF mit dem Land Niedersachsen und der Meyer Werft in Papenburg mündete. Ein anderes Beispiel ist der Klageverzicht des BUND-Niedersachsen gegen Bares vor dem Bau des Near-Shore-Windparks Nordergründe in der Außenweser, nur 570 Meter vom Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer entfernt. Die vom Investor zu zahlenden Naturschutz-Kompensationsmittel in Höhe von 0,8 Millionen Euro flossen nach Absprachen im Umweltministerium in eine BUND-Stiftung – und wurden nicht, wie eigentlich vorgesehen, der Fachbehörde NLWKN für Naturschutzmaßnahmen zur Verfügung gestellt.

Der „Niedersächsische Weg“ im Wortlaut (PDF: Der_Niedersächsische_Weg_Mai2020)

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