Mitten im Winter, in der weitgehend touristenlosen Zeit im und am Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer, berichtete der Wattenrat bereits über die neueste Marketingnummer der kräftig angegrauten „weißen Industrie“: Schlafstrandkörbe: hier
Dabei werden diese speziellen Strandkörbe schon seit zwei Jahren, nicht nur auf den Inseln, vermarktet, allerdings oftmals ohne Rechtsgrundlage. Das Campen auch in der Erholungszone des Nationalparks, den Stränden, ist laut § 15 des Nationalparkgesetzes verboten, aber was heißt das heutzutage schon.
§ 15 Niedersächsisches Nationalparkgesetz, Erholungszone:
[…] Es ist insbesondere verboten,
1. Campingzelte oder Wohnwagen aufzustellen,
2. lärmintensive Veranstaltungen durchzuführen […]
Die ganz Spitzfindigen meinten nun, ein Schlafstrandkorb sei ja kein Campingzelt, aber was denn sonst? Es ist ein Strandkorb mit Zeltüberdachung, zum Übernachten gemacht, also doch Camping. Rechtzeitig zum diesjährigen Saisonbeginn begann die tourismusaffine Lokalpresse, die Übernachtung in Schlafstrandkörben erneut zu bewerben: hier
„Glamping“
Eine junge Redakteurin des Jeverschen Wochenblattes berichtete als „Testerin“ über ihre Nacht im Schlafstrandkorb auf Wangerooge: „Insgesamt ist der Korb 2,40 Meter lang, sodass es da weniger Probleme geben sollte. Es war viel Stauraum vorhanden, Licht für die Nacht und der Sonnenuntergang konnte durch Bullaugen in der Plane auch bei schlechterem Wetter beobachtet werden. Positiv überrascht war ich über die gemütliche Matratze und weiche Bettwäschegarnitur. So hatte das ganze eher einen Glamping- als Camping-Charakter.“
„Glamping“ ist ein angelsächsischer Kunstbegriff aus „Glamour“ und „Camping“, eine Marketing-Wortschöpfung, die einen Campingstil mit den Annehmlichkeiten und Leistungen des gehobenen Campings verbinden soll. Noch einmal: also doch Camping, das in der Erholungszone am Strand außerhalb von Campingplätzen eindeutig verboten ist. Ob aber die Enge eines Schlafstrandkorbes tatsächlich die Erwartung an ein „gehobenes Camping“ erfüllen kann, sei dahingestellt. Die Lifestylesender von NDR bis RTL übernahmen sommerlochfüllend die Strandkorbbewerbung, in einem Großschutzgebiet. Der Wattenrat als Spaßbremse verfasste eine kritische Stellungnahme dazu, die aber, wie gewohnt, bisher nicht die Gnade der Lokalredaktionen gefunden hat und wohl unter die Redaktionstische fiel. Da fragt man sich doch, ob statt kritischer Redakteure inzwischen auch Androiden oder Schreibroboter die Redaktionsarbeit machen, die nur noch Tourismus-PR „copy and paste“ statt kritischer Eigenrecherche können.
Allerdings veröffentlichte dpa am 16. Juli 2019 auch etwas zu Schlafstrandkörben an den Stränden im Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer. Der Bericht lief bundesweit, u.a. in der Nordwest Zeitung aus Oldenburg; der Wattenrat kam auch kurz zu Wort:
„Urlaub an der Küste – Touristen begeistert vom Schlafen am Strand
[…] Es gibt aber auch Kritik am Übernachten am Strand: So sei der Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer vor allem für den Naturschutz gedacht. Nehme das Übernachten in Schlafstrandkörben zu, könnten auch nächtlicher Lärm, Alkoholkonsum und Lagerfeuer zunehmen, warnte der Wattenrat. Er verweist auf das Nationalparkgesetz, nach dem Campen in den Erholungszonen des Parks verboten ist. […]“
Die Hintertür: „Befreiungen“
Die ausführlich begründete Stellungnahme des Wattenrates wurde bei dpa nur stark verkürzt wiedergegeben. Eine Anfrage zur Rechtsgrundlage bei der Kurverwaltung Wangerooge mit Kopie an den Landkreis Friesland, dessen Landrat Sven Ambrosy (SPD) und der – man lese und staune – auch Vorsitzender des Tourismusverbandes Nordsee e.V. und des Tourismusverbandes Niedersachsen e.V. ist, blieb bisher unbeantwortet. Ganz nebenbei: Ambrosys Ehefrau Yvonne Ambrosy ist „Klimaschutzmanagerin“ im ebenfalls SPD-geführten Nachbarlandkreis Witmund. Spötter vermuten, dass ihre Aufgabe darin bestehen soll, ein stets einkömmliches Urlaubswetter an der Küste zu gewährleisten… Auch die Nationalparkverwaltung in Wilhelmshaven erhielt eine Kopie der Wattenrat-Anfrage – und stellte sich bisher tot. Ein Mitarbeiter der Nationalparkverwaltung hatte sich bereits im Januar 2019 aufgrund einer Anfrage eines Norderneyer Inselpolitikers deutlich zu Schlafstrandkörben positioniert (Mail siehe unten): „Das Aufstellen von Übernachtungsgelegenheiten halte ich im gesamten Nationalpark für grundsätzlich unzulässig“, lässt aber, offensichtlich zur Konfliktvermeidung mit den Touristikern und der damit verbandelten Politik, das Hintertürchen der „Befreiung“ von den Vorschriften des Nationalparkgesetzes offen. „Befreiungen“ können nach dem Bundesnaturschutzgesetz aber nur dann erteilt werden, wenn ein „überwiegendes öffentliches Interesse“ vorliegt, es zu keiner „unzumutbaren Belastung“ für den Antragsteller führt und und die Abweichung mit den Belangen von Naturschutz und Landschaftspflege vereinbar ist. Das „überwiegende öffentliche Interesse“ ist aber in einem Nationalpark der Naturschutz, nicht die nächtliche Bespaßung von Touristen in eigentlich verbotenen Campingkörben an den Stränden der Erholungszonen. Touristen verbringen ihre Nächte gewöhnlich in Hotels oder in Pensionen, oder auf den eigens dazu eingerichteten Campingplätzen. Dort kann man in der Tat rechtlich nicht gegen Schlafstrandkörbe vorgehen. Das zu transportieren ist offensichtlich für den überwiegenden Teil der Lokalpresse zu kompliziert oder nicht gewollt. So wird dieses Großschutzgebiet „Nationalpark“ und „Weltnaturerbe“ eigentlich rechtswidrig immer weiter zu einem Freizeitpark ausgebaut.
Höher, schneller, weiter: Kitesurfer und Sportbootführerschein erst ab 15 PS-Motorleistung
Das wurde bereits deutlich, als die Nationalparkverwaltung in Wilhelmshaven nach Anträgen der Tourismuskommunen unmittelbar nach der Ausweisung als „Weltnaturerbe“ im Jahr 2009 zahlreiche Kitesurfer-Spots von Cuxhaven bis Emden in den zweit strengsten Schutzzonen, den Zwischenzonen, genehmigte, auch über das Instrument „Befreiung“, mit dem alles möglich scheint. Kritiker nennen das „Rechtsbeugung“. Schon die Verwendung von Kinderdrachen ist in den Ruhe- und Zwischenzonen verboten. Und es kommt noch besser: 2012 lockerte der Bundestag die Führerscheinpflicht für Sportbootfahrer. Aufgrund einer Initiative der damaligen Bundestagsabgeordneten Torsten Staffeldt (FDP) und Hans-Werner Kammer (CDU) aus Wilhelmshaven, der oft für die Tourismusförderung im „Weltnaturerbe“ trommelte, wurden die Vorschriften für Sportbootführerscheine gelockert. Davor musste man ab einer Motorleistung von 5 PS einen Sportbootführerschein erwerben. Die theoretische und praktische Prüfung hat es in sich: Kenntnisse der Navigation, Lichterführung, Vorfahrtsregelungen, An- und Ablegemanöver etc. waren Pflicht. Nun darf jedermann ab 16 Jahren ein Boot mit bis zu 15 PS-Motorleistung bewegen, ohne nachgewiesene Kenntnise, ohne Führerschein.
Die Mail der Nationalparkverwaltung im Wortlaut:
> Betreff:
> AW: Schlafstrandkörbe Norderney
> Datum:
> Mon, 14 Jan 2019 17:12:59 +0000
> Von: [Mitarbeiter der Ntionalparkverwaltung]
> <*.*>
> An: *.*
>
> Sehr geehrter Herr *.*,
>
> das Aufstellen der Schlafkörbe auf Norderney beurteile ich wie
> folgt: Das Aufstellen von Übernachtungsgelegenheiten halte ich im
> gesamten Nationalpark für grundsätzlich unzulässig, auch in der
> Erholungszone, z.B. Bereiche des Strandes vor der „Weißen Düne“ und
> einem Teil des Strandes im Bereich der „Oase“.
>
> Die Erholungszone dient allein der Erholung. Dass das
> Übernachten hiervon nicht umfasst sein soll, folgt aus § 15 Abs. 2
> Nr. 1 NWattNPG, wonach es „insbesondere verboten [ist], Campingzelte
> oder Wohnwagen aufzustellen“. Dem sind sonstige
> Übernachtungsgelegenheiten gleichzustellen. Denn auch hier würde das
> Übernachten zu einer erheblichen, nicht erwünschten Zusatzbelastung
> führen. Eine übermäßige Nutzung tritt auf, wenn das Lagern zu einer
> Übernachtung ausgedehnt oder ein Zelt aufgestellt wird
> „Schlafstrandkörbe“ und auch „Zelte“ müssten ausdrücklich zugelassen
> werden. Vermieden werden sollen die mit einer Übernachtung
> typischerweise einhergehenden Belastungen, also die Lärm erzeugende,
> verfestigte Anwesenheit von Menschen, sanitäre
> Belastungen, Anfall von Müll u. ä. von den Verboten des
> NWattNPG können bekanntlich insbesondere unter Beachtung von § 25
> NWattNPG Befreiungen nach § 67 BNatschG erteilt werden. Für dieses
> Vorhaben „Strandschlafkörbe“ in der Erholungszone oberhalb MThw ist
> der Landkreis Aurich als Untere Naturschutzbehörde für eine Befreiung zuständig.
>
> Dies wäre auch hier erforderlich, nach meiner Einschätzung aber
> unter Umständen möglich, wenn entsprechende Nebenbestimmungen in
> eine Befreiung aufgenommen würden und eingehalten werden. Diese
> Nebenbestimmungen sollten insbesondere sicher stellen, dass Art und
> Umfang der Nutzung der Schlafkörbe zu keiner erheblichen
> Beeinträchtigung des Schutzgebietes führen können, indem • die mit
> einer Übernachtung üblicherweise einhergehenden Belastungen (s. o.) wirksam unterbunden werden,
> • eine Begrenzung der Anzahl an Strandkörben festgestellt wird,
> • sensible Bereiche, auch in der Erholungszone, von der Nutzung ausgenommen werden,
> • der besondere Artenschutz (Strandbrüter) gewährleistet werden kann und
> • jederzeit die Möglichkeit besteht, erforderliche Änderungen in die Befreiung aufzunehmen.
>
> Da mit den potentiellen Nutzern der Körbe ein Vertrag
> geschlossen wird und diese damit namentlich bekannt sind, halte ich
> es grundsätzlich für möglich, die entsprechenden Nebenbestimmungen auch durchzusetzen.
>
> Für Rückfragen stehe ich gerne zur Verfügung.
> *.*> Nationalparkverwaltung Niedersächsisches Wattenmeer
> Virchowstraße 1
> D-26382 Wilhelmshaven