Gänsehetze in der Lokalpresse: ´agressiver Gänsekot´ gefährdet Deichsicherheit

Screenshot-Bildzitat: Emder Zeitung_Mai 2019

Wildlebende Gänsearten an der ostfriesischen Küste, die aus den arktischen Brutgebieten hier überwintern, haben es nicht leicht in ihren Schutzgebieten. Bauern und Deichschützer – von denen ebenfalls viele Bauern sind – blasen in jedem Jahr zur Hatz auf die arktischen Gäste, in der Regel recherche- und faktenfrei von Teilen der Lokalpresse unterstützt. Gänse sollen angeblich die Bauern arm fressen und neuerdings sogar die Deichsicherheit gefährden, weil sie aus den Schutzgebieten auf die Deiche ausweichen und dort das kurze Gras abweiden, das ihnen die Schafe übrig gelassen haben. Die neueste Horrormeldung, herbeifantasiert von der Deichacht Moormerland im Landkreis Leer und der Deichacht Krummhörn im Landkreis Aurich, ist der „aggressive Gänsekot“, der vorgeblich die Grasnarbe der Deiche schädigen soll (Emder Zeitung, 06. Mai 2019: „Viel zu viele Gänse auf dem Jarssumer Deich“).

Deich bei Jarßum/östl. Emden: Gänseköttel verätzen die Grasnarbe nicht! Mai 2019 – Foto (C): EIlert Voß/Wattenrat

Gänseköttel sind pH-neutral, nicht aber die Gülle

Nur: Der Gänsekot, der laut Deichachtbefürchtungen die Grasnarbe verätzen soll und damit angeblich die Deichsicherheit gefährdet und Ostfriesland an den Rand des Unterganges bringen könnte, ist pH-neutral (pH-Wert 7) und kann gar nichts verätzen. Gänsekot besteht überwiegend aus Zellulose. Der Säuregrad ausgebrachter Gülle aus der Massentierhaltung kann jedoch im Gegensatz zum Gänsekot je nach Zusammensetzung deutlich unter „pH-neutral“  absinken. Zu kompliziert für einige Lokalredakteure? Im März 2018 hatten sich Deichachtmitarbeiter, unter ihnen der ehemalige Emder Oberbürgermeister Alwin Brinkmann (SPD), ausgedacht und öffentlich behauptet, Gänsekot übertrage Krankheitserreger auf weidende Schafe, um ein neues Fass gegen die Gänse aufzumachen. Der Schafgesundsheitsdienst der Landwirtschaftskammer schloss die Verbreitung von Krankheiten über Gänse auf Schafe aber aus, die Deichacht war blamiert.

Das ständige Gänse-Ping-Pong zwischen Deichachten und Landwirtschaftsfunktionären wird nur gespielt, damit die Politik etwas gegen die lästigen Gänse unternimmt, von Vergrämung bis Abschuss lauteten schon die Forderungen, in den EU-Vogelschutzgebieten. Küstenschutz zieht immer bei Politikern, auch wenn dabei viel Abstruses an den Haaren (oder Federn) herbeigezogen wird. Die willfährige Lokalpresse macht den Beschleuniger. Dass sich im Nordwesten Deutschlands für arktische Gänse die überlebensnotwendigen Überwinterungsgebiete befinden, wird meistens ausgeblendet. Hier konzentrieren sich die verschiedenen Gänsearten vom Herbst bis in den Frühling, um sich dann nach dem Rückflug in die nordeuropäischen oder asiatischen Brutgebiete in riesigen Landschaftsräumen zu verteilen. Nordwestdeutschland und der Niederrhein gehören mit zum unverzichtbaren Jahreslebensraum dieser Gänsearten. Nicht nur die EU-Vogelschutzrichtlinie, auch die Bonner-Konvention schützt wandernden Gänse.

Deich bei Jarßum/östl. Emden: Überweidung des Deiches mit Schafen, Mai 2019 – Foto (C): Eilert Voß/Wattenrat

Es ist alles ganz anders: Trockenrisse und Überweidung durch Schafe

Unser Mitarbeiter Eilert Voß, der seit Jahrzehnten ehrenamtlich Vogeldaten für die Staatliche Vogelschutzwarte erhebt und die Flächen an der Ems seit seiner Kindheit kennt, hat sich die Sache an den Emsdeichen angesehen. Er stellte fest, dass Deiche östlich von Emden Trockenrisse durch den letzten langen und trockenen Sommer aufwiesen (Wetter, nicht Klima!). Dazu kommt eine sehr hohe Schermausdichte auf den Deichen. Teile des Emsdeiches war von Schafen überweidet, die Schafdichte ist also örtlich viel zu hoch. Fotos liegen hier vor, siehe auch die Fotostrecke weiter unten. Zusätzlich wurde der Deich mit einem Traktor und einer Schleppe bearbeitet, was ebenfalls zu Schäden an der Grasnarbe führte. Sein Angebot an die Redakteurin der Emder Zeitung, sich mit ihm diese Schäden „vor Ort“ anzusehen und dann darüber ergänzend zu berichten, wurde von dieser aus „Zeitmangel“ abgelehnt. Ein Leserbrief von Manfred Knake zur Sache wurde von der Emder Zeitung nicht gedruckt. Am 09. Mai erschien dafür eine stark verkürzte Kritik der so bezeichneten „Umweltaktivisten“ Eilert Voß und Manfred Knake an der Darstellung der Deichachten.

Deich bei Jarßum/östl. Emden: Trockenrisse durch den trockenen Sommer 2018, Mai 2019 – Foto (C): Eilert Voß Wattenrat

Wenn man den überwinternden Gänse zusätzlich noch Nahrungsflächen binnendeichs durch Umpflügen und Neueinssaat nimmt und auch das Deichvorland (EU-Vogelschutzgebiete) durch örtlichen Überwuchs mit Quecke durch zu starke Entwässerung kaum noch ausreichend Nahrung bietet, muss man sich nicht wundern, wenn die Gänse auf die Deiche ausweichen und das kurzrasige Gras, das die Schafe übrig gelassen haben, abweiden. Auch das frühe Aufbringen von Gülle auf die deichnahen Flächen schon ab Januar und verbotenerweise auch häufig bei Schneelage oder Frost vertreibt die Gänse auf die Deiche. Die Vögel, die weite Zugstrecken zurück in ihre Brutgebiete zurücklegen müssen, werden also noch nicht einmal mehr in den EU-Vogelschutzgebieten ihrer Überwinterungsgebiete ausreichend satt.

Fraß oder Frost?

Es ist unbestritten, dass Gänse den Bauern auch Saat und Gras wegfressen, es kann durchaus auch zu Fraßschäden kommen, nur wird das von der Lobby mit der stets offenen Hand maßlos übertrieben. Oft sind es auch Staunässe oder Frostschäden, die den Gänsen in die Schnäbel geschoben werden, um an noch mehr Subventions-Bares zu kommen.
(siehe auch hier: Fraß oder Frost?)

Lückenpresse

Landwirte bekommen dann eine Gänse-Kompensation pro Hektar und Jahr, wenn sie am Vertragsnaturschutz teilnehmen, egal ob Fraßschäden aufgetreten sind oder nicht. Die Mittel kommen vom Steuerzahler. Den Bauern reichen diese Mittel nicht, obwohl sie auch EU-Mittel „zum Erhalt und zur Förderung der Biodiversität und Artenvielfalt„ aus dem ELER-Fonds abgreifen können, sie wollen noch mehr Geld. Landwirte machen mehrere Grasschnitte im Jahr, der erste Schnitt kann örtlich tatsächlich durch die Gänse geringer ausfallen, aber das sind die naturgegebenen Nachteile, mit denen auch dieser Berufsstand leben muss. Nur werden mit dem ersten Schnitt ab Mai auch gleich die bodenbrütenden Vögel von der Lerche über den Rotschenkel, die Uferschnepfe bis zum Kiebitz mit vernichtet, auch in den EU-Vogelschutzgebieten. Der „stumme Frühling“ ist auch in den nur auf dem Papier geschützten Flächen längst Wirklichkeit geworden, Stichwort Artenvielfalt oder neudeutsch Biodiversität.

Es ist ein Trauerspiel, dass die neue Generation der Redakteure die Recherche gerade bei Naturschutzthemen wahrnehmbar vernachlässigt und überwiegend einseitigen interessengeleiteten Nutzerinfomüll abliefert, 1:1, copy and paste. Die Politik greift diese Unwahrheiten aber dankbar auf und macht daraus Realität, zum Nachteil der Gänse. Das Problem sind zunächst nicht die Gänse, sondern die dreisten Übertreibung von Bauern und Deichschützern in Zusammenarbeit mit Teilen der Presse. Und da wundert man sich über den gar nicht so abwegigen Begriff „Lückenpresse“…

Fotostrecke, Deich bei Jarßum/östl. Emden im Mai 2019, alle Fotos (C): Eilert Voß/Wattenrat:

Es waren nicht de Gänse: Vertritt durch weidende Schafe zerstört die Grasnarbe des Deiches, Jarßum, Mai 2019

Schafe, nicht Gänse: intensive Schafbeweidung, Deich bei Jarßum/östl. Emden, Mai 2019

Schermausgänge auf dem Deich bei Jarßum/östl. Emden, Mai 2019

Trockenrisse auf der Außenberme bei Jarßum/östl. Emden, hier wurde von einem Traktor geschleppt, Mai 2019

Schermauslöcher auf der Außenberme bei Jarßum/östl. Emden, Mai 2019

Nonnengänse und Schafe weiden auf dem Deich bei Jarßum, Mai 2019

aus dem Archiv: Gülledusche auf rastende Nonnengänse, Woltersterbor/Ems, Febr. 2015 – Foto (C): Eilert Voß

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