Abgefahren: IC der Deutschen Bahn getauft

08. Sept. 2018, Norddeich: Fahrtziel Tourismus. Vorne links: Peter Südbeck, Leiter des Nationalparks Niedersächsisches Wattenmeer, rechts neben ihm: Irmgard Remmers, seine Vorgängerin im Amt. Ganz vorne (mit rotem Rucksack): Holger Wesemüller, früher Leiter des Fachbereiches Meere und Küsten beim WWF, dort entlassen und jetzt für Europarc tätig. Rechts neben Wesemüller Walter Theuerkauf (SPD), ehem. Landrat des LK Aurich und Motor für die Ausweisung des Nationalparks als „Weltnaturerbe“ zur Tourismusförderungen. Vor der offenen Zugtür: nds. Umweltminister Olaf Lies (SPD), links neben ihm (mit Krawatte): Jochen Beekhuis (SPD, MdL), rechts neben Lies: Harm-Uwe Weber (SPD, Landrat Aurich) – Foto: privat

Aktualisiert 18. Sept. 2018

„Fahrtziel Natur“ heißt die Nummer, die vom BUND, NABU, dem Verkehrsclub Deutschland (VCD) und der deutsch Bahn aufgeführt wird, um noch mehr Touristen an und in die Schutzgebiete Deutschlands, Österreichs und der Schweiz zu fahren. Das wird als „nachhaltige Mobilität“ und „sanfter Tourismus“ verkauft, Zitat: „Seit 2001 engagieren sich die drei großen deutschen Umweltverbände Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Naturschutzbund Deutschland (NABU) und der Verkehrsclub Deutschland (VCD) sowie die Deutsche Bahn in der Kooperation Fahrtziel Natur. Gemeinsam setzen sie sich für umweltfreundliche Mobilität und nachhaltigen Naturtourismus ein.“ Die Frage ist jedoch, ob es die Aufgabe von Naturschutzverbänden ist, den Tourismus in Schutzgebieten zu fördern.
Am 08. September 2018 wurde in Norddeich mit 350 geladenen Gästen ein IC der deutschen Bahn auf den Namen „Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer“ getauft, der Zug trägt auch den Schriftzug „Fahrtziel Natur“.

Als „Taufpaten“ erschienen Vertreter aus Politik, Verwaltungen, Wattführer und Veteranen des Verbändenaturschutzes, die alle an der touristischen Vermarktung dieses Großschutzgebietes als „Weltnaturerbe“ teilhaben. Der Bahnhof Norddeich ist die Drehscheibe für den Inseltourismus nach  Norderney und Juist. Ab hier übernehmen die Fährschiff-Reedereien den Massentransport in den Nationalpark. Der Zug für echten Naturschutz in dieser Naturlandschaft ist jedoch längst abgefahren, auch ein IC mit dem Namen „Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer“ wird daran nichts mehr ändern, im Gegenteil. Vom Massentourismus im Großschutzgebiet Nationalpark mit „offiziellen“ ca. 20 Millionen Übernachtungen im Jahr von Cuxhaven bis Emden und einem zusätzlichen Heer von Tagestouristen (incl. Motorbootfahrer, Kitesurfer, Lenkdrachen, freilaufende Hunde, Geocacher, Drohnenpiloten) profitiert auch die Deutsche Bahn, die die Touristen „nachhaltig“ im Zweistundentakt an das Schutzgebiet fährt. Daran ist für die Natur nichts „nachhaltig“. Der Zug trägt sogar vorgeblich zum „Klimaschutz“ bei, Bullshit-Bingo vom Feinsten. Die Nationalparkverwaltung mit ihrem Leiter Peter Südbeck hat diesen „Nationalpark“ (der auch EU-Vogelschutzgebiet ist), längst zu einem riesigen Freizeitpark entwickelt, mit vielen nicht-nationalparkkompatiblen zugelassenen Nutzungen: von der Wasservogeljagd über die Baggergutverklappungen, uneingeschränkte Fischerei bis zur Einführung von Kitesurfer-Spots in den Schutzzonen, alles unterstützt von der Landesregierung. Die an den Nationalpark angrenzenden Festlandbereiche, ehemalige Rastgebiete der Zugvögel des Wattenmeeres, sind überbaut mit riesigen Windparks, deren Bau auch von den politischen Akteuren mit beschlossen wurde, die in Norddeich den Nationalpark-Zug tauften. Diese auch landwirtschaftlich intensiv genutzten Flächen hinter den Deichen sollen nun das Etikett „UNESCO-Biosphärensreservat“ aufgepappt bekommen, für die Tourismusförderung.

Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer: Ringelgänse aus Sibirien auf Nahrungsssuche im Watt. Im Hintergrund die mit Windkraftanlagen abgeriegelte Küste (Ausschnitt) zwischen Bensersiel und Dornumersiel, Foto (C): Manfred Knake

Die Naturschutzverbände BUND und NABU unterstützen die (massen-) touristische Entwicklung mit dem Projekt „Fahrtziel Natur“, die dabei nicht nur unter die Räder der Deutschen Bahn gekommen ist. Das Geschwurbel der Akteure (s.u. in der Pressemitteilung der Nationalparkverwaltung) ist bezeichnend.

Das Gros der Touristen, das zum Urlaub in den Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer und „Weltnaturerbe“ reist, kommt wegen der Erholung, des Strandes und des Badens im Meer. Nur ein kleiner Teil sind tatsächliche Naturtouristen, die z.B. wegen des Vogelzuges an die Küste kommen. Der Bekanntheitsgrad des niedersächsischen Wattenmeer-Nationalparks ist ohnehin gering: Nur 47 Prozent der Befragten kannten ihn, und das nur mit einer Hilfestellung durch Vorlesen der Nationalparknamen in Deutschland. Quelle: Sozio-ökonomisches Monitoring (SÖM Watt) in der Nationalpark-Region, 2016, Seite 6

Wenn weniger als die Hälfte der Bevölkerung vom Nationalpark Wattenmeer nur mit Hilfestellung Kenntnis hat, ist davon auszugehen, dass die große Mehrheit der Touristen auch kaum Kenntnisse von den Regeln in den Wattenmeer-Nationalparks hat. Die Zahl der Regelverstöße zum Nachteil der Tiere im Schutzgebiet ist daher enorm. Nur elf Ranger ohne hoheitliche Befugnisse auf 3.500 qkm Nationalparkfläche in Niedersachsen können dagegen wenig ausrichten. Dennoch wird der Nationalpark stark als Tourismusziel beworben, unterstützt von einigen Naturschutzverbänden und auch mit Hilfe der Nationalparkverwaltung, und das ist das eigentliche Ärgernis. Es ist kaum davon auszugehen, dass ein Zug der Deutschen Bahn mit dem Namen des Nationalparks zu einer Änderung des touristischen Verhaltens führen wird.

Juist-Ostende, strengste Schutzzone, das Betreten ist während der Brutzeit nicht erlaubt: Primärdünen, eigentlich Brutplätze von Strandbrütern. Kampfsportler und Spaziergäner haben die Flächen für sich entdeckt. Alltag im Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer und „Weltnaturerbe“, 11. Mai 2018, Foto (C): Eilert Voß

Was also haben die hochgradig gefährdeten Strandbrüter wie Zwergseeschwalben oder die Sand- und Seeregenpfeifer – um nur einige Arten zu nennen – von einem „getauften“ IC der Deutschen Bahn? Nichts, nur noch mehr Touristen in ihren ehemaligen Brutgebieten, in einem EU-Vogelschutzgebiet…

Pressemitteilung der Nationalparkverwaltung vom 08. Sept. 2018:

Fahrtziel Natur
Nachhaltigkeit
Moderner Doppelstockzug wirbt für Fahrtziel Natur – Olaf Lies und Dr. Michael Peterson betonen Bedeutung umweltfreundlicher Mobilität für den Klimaschutz

350 Paten tauften den IC2 auf den Namen „Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer. Foto: Zwoch / NLPV

Mehr als 350 geladene Gäste haben heute gemeinsam einen modernen Intercity 2 der Deutschen Bahn (DB) mit Nordseewasser auf den Namen „Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer“ getauft.

Die Naturlandschaft Wattenmeer ist weltweit außergewöhnlich und einzigartig in ihrer Dynamik und Ursprünglichkeit, in ihrem Reichtum an Lebensräumen, Tieren und Pflanzen. Der Schutz von Natur und Landschaft ist ein zentrales Anliegen des Nationalparks Niedersächsisches Wattenmeer. Von Beginn an, seit 2001, ist der Nationalpark Mitglied in der von BUND, NABU, VCD und DB getragenen Kooperation Fahrtziel Natur, zu deren Zielen Klimaschutz durch Verkehrsverlagerung gehört. Die Nationalparkverwaltung und ihre Partner schaffen und unterstützen attraktive Angebote für Gäste, die die Region mit Bus, Bahn und Schiff umweltbewusst entdecken möchten. Mit der heutigen Zugtaufe würdigt die DB dieses Engagement.

Nach einer Intercity-2-Taufe im Mai 2017 auf den Namen „Nationalpark Sächsische Schweiz“ steht zum zweiten Mal ein Fahrtziel Natur-Gebiet als Namensgeber für die modernen Doppelstockzüge Pate.

Zu den Taufpaten, die dem neuen Nationalparkbotschafter eine gute Fahrt auf Deutschlands Gleisen wünschten, gehörten auch Olaf Lies, Niedersächsischer Minister für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz, Eva-Maria Kaufmann, Leiterin Angebotskommunikation DB Fernverkehr AG, Harm-Uwe Weber, Landrat des Landkreises Aurich, Matthias Kurzeck, Bundesvorstand Verkehrsclub Deutschland (VCD) und Peter Südbeck, Leiter Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer. Stellvertretend für alle Partner in der Region dankte Südbeck der Deutschen Bahn und Fahrtziel Natur „dass sie unsere schöne Nationalparkregion ausgewählt haben. Wir verstehen die Namensgebung auch als Anerkennung für unser Schutzgebiet und für die gute Zusammenarbeit bei der Stärkung eines nachhaltigen Tourismus und nachhaltiger Mobilität in unserem Nationalpark vor Ort“.

„Die vorbildliche Einstellung zum Klimaschutz durch Verkehrsverlagerung gab für uns den Ausschlag, den Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer für diese Zugtaufe auszuwählen“, betont Dr. Michael Peterson, Vorstand Marketing der DB Fernverkehr AG.

Minister Olaf Lies betonte: „Die umweltfreundliche Anreise und Mobilität vor Ort in Urlaubsregionen ist ein wichtiger Beitrag zum Klimaschutz. Wir werden auch in Zukunft alle Maßnahmen unterstützen, die zum Erhalt der einzigartigen Naturlandschaft beitragen“.

Die heutige Taufe war die fünfte Namensgebung für die Intercity 2-Flotte. Die neuen Botschafter für die Region sind Teil eines Intercity-Netzes, das in den nächsten Jahren deutschlandweit ausgebaut wird. Seit Ende 2015 fahren die Züge im Zweistundentakt zwischen Norddeich Mole, Hannover und Leipzig. Zwischen Norddeich Mole und Bremen gelten neben den IC-Tickets auch alle Nahverkehrsfahrscheine im Intercity.

Fahrtziel Natur fördert seit 2001 die Vernetzung von nachhaltigem Tourismus und umweltfreundlicher Mobilität und sichert damit das Naturerbe und die Biodiversität. Weitere Informationen im Internet unter www.fahrtziel-natur.de.

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