+++ aktualisiert am 29. Dez. 2017, bitte die Ergänzung am Ende des Beitrages beachten: Nun darf er doch… +++
Der Wattenrat Ostfriesland weist seit Jahren darauf hin, dass das Böllern auf den Inseln und am Festland direkt am Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer („Weltnaturerbe“ und EU-Vogelschutzgebiet) zu Silvester oder sogar mehrfach im Sommer zur Touristenbespaßung zu panikartigen Störungen der Zugvögel bzw. Brutvögel führt. Die vorsätzliche Störung dieser Arten ist bereits nach dem Bundesnaturschutzgesetz verboten. Nur die Insel Spiekeroog hat eine Lärmschutzverordnung erlassen, nach der das Böllern auf der Insel verboten ist:
„§ 10
Pyrotechnik
Das Abbrennen von Feuerwerk oder Feuerwerkskörpern der Kategorien 2, 3, 4, P1, P2, T1 oder T2 sowie das Steigenlassen von sogenannten Himmelslaternen ist ganzjährig verboten. Dies gilt auch für Silvester und die Neujahrsnacht.“
Dagegen klagte ein Insulaner, der in der Silvesternacht 2016/2017 Feuerwerkskörper abgebrannt hatte, nach einem verhängten Bußgeld, vergeblich. Nun hat das Oberlandesgericht Oldenburg die Inselkommune Spiekeroog bestätigt und die Klage abgewiesen. Das wäre eigentlich die Steilvorlage für alle Insel- und Küstenkommunen, endlich mit dieser Rechtssicherheit die Unsitte von Feuerwerken direkt an einem europäischen Vogelschutzgebiet zu unterbinden. Leider sieht die Realität anders aus: Die Touristiker dieser Kommunen bieten die Feuerwerke gezielt an, z.T. sogar mehrfach im Jahr; das „Weltnaturerbe“ ist nur Vermarktungskulisse und zu Werbezwecken gut, Naturschutzinhalte sind offensichtlich nebensächlich oder gänzlich unbekannt.
Wattenrat-Sammellink, bitte scrollen: http://www.wattenrat.de/tag/feuerwerk/
Pressemitteilung Nr. 61/2017, Oberlandesgericht Oldenburg, vom 19.12.2017
Verbotene Silvesterknallerei auf Spiekeroog
Auf der Insel Spiekeroog ist seit einigen Jahren Feuerwerk verboten. Wer sich nicht an dieses Gebot hält, muss mit einem Bußgeld rechnen. Dies hat jetzt der Bußgeldsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg bestätigt.
Ein Inselbewohner hatte in der Silvesternacht des Jahreswechsels von 2016 auf 2017 eine Batterie Feuerwerkskörper abgebrannt, was nach der Lärmschutzverordnung der Insel verboten ist. Das daraufhin verhängte Bußgeld von 100,- Euro wollte er nicht akzeptieren und zog vor das Amtsgericht Wittmund, das die Geldbuße bestätigte.Auch damit war der Mann nicht einverstanden und rief das Oberlandesgericht an. Er war der Meinung, die Lärmschutzverordnung der Insel Spiekeroog sei nichtig. Das Niedersächsische Gesetz über Verordnungen der Gemeinden zum Schutz vor Lärm, auf dessen Grundlage die Lärmschutzverordnung der Insel erlassen wurde, komme nicht als Rechtsgrundlage für das Feuerwerksverbot in Betracht. Denn die Inselgemeinde habe das Verbot nicht zum Lärmschutz erlassen, sondern nur, um ihr besonderes Image zu unterstreichen und ihr Engagement für den Naturschutz und ihre enge Beziehung zum Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer zu betonen. Außerdem sei er in seinem Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit verletzt.
Der Senat konnte dieser Argumentation nicht folgen. Die Lärmschutzverordnung der Insel und das darin enthaltene Feuerwerksverbot seien wirksam. Das Verbot diene ersichtlich der Vermeidung von Lärm und sei daher von der Rechtsgrundlage gedeckt. Dass die Inselgemeinde daneben auch ihre Naturnähe zum Ausdruck bringen wolle, sei unschädlich. Auch das Recht des Mannes auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit sei nicht verletzt, zumal in der Lärmschutzverordnung für Einzelfälle die Möglichkeit von Ausnahmen von dem Verbot vorgesehen sei.Oberlandesgericht Oldenburg, Az. 2 Ss(OWi) 323/17, Beschluss vom 29.11.2017
Aktualisierung am 29. Dezember 2017:
Nun darf er doch: Der offensichtlich klage- und knallfreudige Spiekerooger Insulaner Christian Kiesow, der auch Ferienwohnungen und ein Restaurant auf Spiekeroog betreibt und dessen Familie laut Pressebericht (s.u.) „schon seit dem 17. Jahrhundert auf der Insel im Norderloog 15″ ansässig ist, musste zwar wegen einer verbotswidrigen Silvesterknallerei in der Neujahrsnacht 2016/2017 ein Bußgeld in Höhe von 100 Euro abdrücken und verlor mit seiner Klage dagegen vor dem Oberlandesgericht Oldenburg. Nun hat das Verwaltungsgericht Oldenburg entschieden, dass er doch ballern darf, aber nur mit einer Ausnahmegenehmigung, die ihm die Gemeinde Spiekeroog auch erteilte. Das Gericht erklärte die Lärmschutzverordnung der Insel in Teilen für rechtswidrig. „Der Schutz der Vogelwelt unterliege überdies nicht der Regelungskompetenz der Gemeinde“, so das Gericht völlig richtig. Ob Kiesow dem Spiekerooger Inselimage damit „nachhaltig“ geschadet hat, steht auf einem anderen Blatt.
Es ist indes zu befürchten, dass Zukunft jeder knallbewegte Bürger eine Ausnahmegenehmigung erhalten wird, damit er nicht in seinen Persönlichkeitsrechten beeinträchtigt wird. Nur haben freilebende Tiere jedoch auch Rechte, die häufig gar nicht bekannt und missachtet werden.
Das Gericht weist zu recht darauf hin, dass lärmintensive Großveranstaltungen auf der Insel Spiekeroog zwar zugelassen sind, die Gemeinde aber bei einem Kleinfeuerwerk im Ort in der nationalparkfreien Zone strenge Maßstäbe anlegt. Die lärmintensiven Veranstaltung direkt an der Grenzen des Nationalparks haben zudem zugenommen: z.B. seit drei Jahren die Silvester-Strandparty in Norden-Norddeich mit dem öffentlich-rechtlichen Sender NDR2, Musikfestivals auf Norderney, sommerliches Höhenfeuerwerk nahe am Nationalpark in Bensersiel und zum ersten Mal in diesem Jahr ein Höhenfeuerwerk in Neuharlingersiel nur ca. 500m vom Nationalpark entfernt. Veranstalter sind die identischen Touristiker, die das „Weltnaturerbe Wattenmeer“ heftigst vermarkten, aber nichts zu dessen Schutz beitragen. Da liest sich der jährliche Böllerverbotsappell der Nationalparkverwaltung in Wilhelmshaven wie eine Realsatire.
Um aus dem unterschiedlichen örtlichen Verordnungswirrwarr herauszukommen wäre es angebracht, eine weitergehende landesweite Regelung oder eine Ergänzung im Nationalparkgesetz, die Feuerwerke auch im Umkreis in einem zu bestimmenden Bereich von den Nationalparkgrenzen untersagt, zum tatsächlichen Schutz der Vogelwelt auf den Weg zu bringen. Das gäbe das Bundesnaturschutzgesetz zweifellos her. Die enormen kilometerweiten Störauswirkungen von Großfeuerwerken auf freilebende Vögel sind ausreichend untersucht. Nur ist die Landespolitik zweifellos mehr den Vermarktungswünschen der Fremdenverkehrsindustrie verpflichtet als dem Schutz von streng geschützten Vogelarten in einem Nationalpark und EU-Vogelschutzgebiet.
Ein Würzburger Gericht urteilte bereits 2010 gegen ein Hochzeitspaar, dass für seine Feier ein Feuerwerk bestellt hatte, weil das Abbrennen eines privaten Feuerwerks zum Schutz einer Fledermausart in Verbindung mit § 69 Bundesnaturschutzgesetz eine Ordnungswidrigkeit darstellt.
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Anzeiger für Harlingerland, Wittmund/NDS
Spiekeroog muss privates Feuerwerk zulassen
Ausnahme vom Böllerverbot erteilt
MH , 28.12.2017SPIEKEROOG
Auf Spiekeroog ist Feuerwerk an Silvester jetzt doch erlaubt – allerdings nur, wenn man dafür eine Ausnahmegenehmigung hat. Diese muss die Inselgemeinde für Privatgrundstücke erteilen, entschied das Verwaltungsgericht Oldenburg. Inselbewohner Christian Kiesow hat diese Entscheidung erwirkt und erreicht, dass die Lärmschutzverordnung der Insel teilweise für rechtswidrig erklärt wurde.Bei Kiesow handelt es sich um denselben Inselbewohner, der in der Silvesternacht 2016/17 eine Batterie Feuerwerkskörper auf seinem Grundstück am Noorderlog abgebrannt hatte und deshalb ein Bußgeld von 100 Euro bezahlen musste (wir berichteten). Damit wollte er sich nicht abfinden, weil er sein Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit verletzt sah. Weil in der Lärmschutzverordnung der Insel für Einzelfälle die Möglichkeit von Ausnahmen vom Böllerverbot vorgesehen
ist, beantragte Kiesow eben eine solche für diesen Jahreswechsel.Das Verwaltungsgericht Oldenburg sieht ihn im Recht. Die Inselgemeinde könne nicht einerseits größere Veranstaltungen, die nachweislich Lärm erzeugten (Beispiel: „Rock im Watt“) zulassen, andererseits ein etwa halbstündiges Feuerwerk auf privatem Grund untersagen. Der Schutz der Vogelwelt unterliege überdies nicht der
Regelungskompetenz der Gemeinde. „Im Ergebnis dürfte die ganzjährige Untersagung jeglichen Feuerwerks rechtswidrig sein“, so das Gericht. Ausnahmen müssten zugelassen werden.Die Gemeinde Spiekeroog hat darauf bereits reagiert. „Wir haben Herrn Kiesow die Ausnahmegenehmigung erteilt, auch damit unsere gesamte Lärmschutzverordnung nicht gekippt wird“, sagt Bürgermeister Matthias Piszczan.