Wattenmeertage haben schon Tradition. In früheren Jahren wurden sie vom WWF und anderen Naturschutzorganisationen organisiert, mit großer öffentlicher Resonanz. Themen waren damals die Salzwiesen, Ästuare, der sog. „Sanfte Tourismus“ oder Ranger in Schutzgebieten. Seitdem sich die Naturschutzorganisationen aus dem mühsamen Tagesgeschäft des Wattenmeernaturschutzes zurückgezogen haben und sich fachfremd mehr mit meteorologischen Themen wie dem Klima beschäftigen, wurde der Name „Wattenmeertag“ von staatlichen Institutionen übernommen. Der 5. Wattenmeertag dieser Art fand in Wilhelmshaven statt, mit dem etwas reißerischen Arbeitstitel „Gemeinsam gegen Aliens im Weltnaturerbe“.
Nun, UFOS waren damit nicht gemeint, sondern die Tiere, die durch menschliches Handeln neu in das Gebiet des Wattenmeers eingewandert sind, „Neobiota“ nennt man diese eigentlich gebietsfremden Arten mit „Migrationshintergrund“. Dazu gehört die Sandklaffmuschel, die schon vor mehreren hundert Jahren vermutlich durch Wikinger aus Nordamerika ins Wattenmeer gelangte. Ebenfalls aus Nordamerika gelangte die Amerikanische Schwertmuschel (Ensis directa) 1978 ins europäische Wattenmeer und hat sich hier seitdem stark verbreitet. Aktuell ist es die Pazifische Auster, die nicht zu Fuß aus ihren asiatischen Gewässern ins Watt einwanderte, sondern aus Kommerzgründen von Fischern in den Siebzigern des letzten Jahrhunderts in der Schelde und auf Sylt („Sylter Royal“) zu Konsumzwecken eingeführt und gezüchtet wurde und so ins Wattenmeer gelangte. Nun sollen diese Einwanderer gar „bekämpft“ werden, was bei der Rasanz der Ausbreitung einiger „Neubürger“ und dem starken Schiffsverkehr wohl illusorisch bleiben wird. Tatsächliche Probleme bereiten ganz andere temporäre „Einwanderer“, die in jedem Jahr ab April in großen Horden ins Wattenmeer einfallen und hier die Tierwelt erheblich belästigen können: Der Massentourismus mit 37 Millionen Übernachtungen im Jahr von Cuxhaven bis Emden ist DER Belastungsfaktor für die wildlebenden Tiere des Wattenmeeres. Noch mehr Tourismus im „Weltnaturerbe“ wird auch von der Nationalparkverwaltung propagiert, obwohl das nicht ihre Aufgabe ist. Ob dieses Problem des temporär- invasiven Homo sapiens jemals auf die Tagesordnung eines Wattenmeertages gelangen wird, ist daher fraglich.
Presseinformation vom 27.08.2010
Nationalparkverwaltung Niedersächsisches Wattenmeer
Virchowstr. 1, 26382 Wilhelmshaven
Nationalparkverwaltung Niedersächsisches Wattenmeer – 27. August 2010 / Bericht Wattenmeertag NeobiotaGemeinsam gegen Aliens im Weltnaturerbe
Über 100 Teilnehmer des diesjährigen Wattenmeertages diskutierten Strategien zum Umgang mit Neobiota im Wattenmeer
Pazifische Auster, Blaukrabbe, japanischer Tang: Immer mehr exotische Arten siedeln sich im Wattenmeer vor der deutschen, dänischen und niederländischen Küste an. Dies belegt der Bericht über den Qualitätszustand des Wattenmeeres (Quality Status Report) von 2009. Gleichzeitig steigt mit der Anerkennung des Wattenmeeres als Weltnaturerbe die internationale Verantwortung für den Erhalt der natürlichen Artenvielfalt in diesem Gebiet. Deshalb widmete sich der diesjährige fünfte Internationale Wattenmeertag am 26. August dem Thema „Neobiota im Wattenmeer – Herausforderungen für den Naturschutz.“ Organisiert wurde das Treffen von der Nationalparkverwaltung Niedersächsisches Wattenmeer (NLPV) in Zusammenarbeit mit dem Trilateralen Wattenmeersekretariat (CWSS) in Wilhelmshaven.
Die Bedeutung des Themas wurde schon durch das große Interesse deutlich: Bei der Zahl von 110 Anmeldungen von Experten aus Ministerien, Verwaltung, Nutzergruppen, Forschung und Naturschutzorganisationen mussten die Organisatoren Gerald Millat (Nationalparkverwaltung) und Kristine Jung (CWSS) die Teilnehmerliste schließen, weil die Kapazität des Sitzungssaals im Wattenmeerhaus erschöpft war.
Die Konferenz sollte Einblicke geben in den aktuellen Stand von Forschung und Management, Monitoring, Bewertung, Vorbeugung und Bekämpfung der Neobiota. Zum Auftakt verdeutlichten Peter Südbeck (Leiter NLPV) und Jens Enemark (Leiter CWSS), dass eingeschleppte Arten eine zunehmende potenzielle Gefährdung für die heimische Artenvielfalt im Wattenmeer darstellen und das Problem auch in globaler Perspektive eine enorme Bedeutung erlangt hat. So haben bereits das UNESCO-Welterbekomitee – anlässlich der Anerkennung des Wattenmeeres als Weltnaturerbe – und die Minister der Wattenmeeranrainerstaaten die Fragen zur Behandlung der Neobiota auf die politische Tagesordnung gesetzt. Peter Ilsoe, Vorsitzender des trilateralen Wadden Sea Board, machte auf die ökonomischen Folgen von invasiven Arten aufmerksam und kündigte einen gemeinsamen Managementplan für das Wattenmeer an.
Für ein zielgerichtetes Management muss man wissen, über welche Wege die tierischen und pflanzlichen Neubürger zu uns gelangen und wie sie sich ausbreiten, und die Arten genau und frühzeitig erfassen. Hierzu lieferten die insgesamt neun Referenten wertvolle Beiträge. Die Hauptursachen für das Einschleppen gebietsfremder Arten sind bekannt: Aquakulturen und der internationale Seeverkehr, der die „blinden Passagiere“ im Ballastwasser oder als Bewuchs an der Bordwand in die Wattenmeerhäfen mitbringt. 2016 tritt eine Verordnung in Kraft, wonach das Ballastwasser mit Filteranlagen vorbehandelt werden muss. Zusätzlich gibt es Überlegungen, Ballastwasser auf hoher See zu tauschen, so dass mitgeschleppte Organismen nicht an die empfindlichen Küsten gelangen können. Kerstin Stelzer (Brockmann Consult) stellte den „Ballast Water Risk Index“ vor, ein System, mit dem Karten für eventuell geeignete Meeresgebiete erstellt werden können.
Für die eigentliche Etablierung eingeschleppter Arten bei uns ist die Meereserwärmung verantwortlich. Christian Buschbaum (Alfred-Wegener-Institut) berichtete von „ökologischen Schläfern“, Arten, die zwar seit den 1930er Jahren bereits ins Wattenmeer gelangten, sich aber erst in den letzten 20 Jahren infolge des Temperaturanstiegs auch hier vermehren können. Darüber hinaus gibt es inzwischen Synergieeffekte zwischen den verschiedenen Exoten: Die Pazifische Auster bildet Riffe, auf denen sich Japanischer Seetang ansiedelt, in dem sich wiederum der Gespensterkrebs wohlfühlt.
Um bei den Gegenmaßnahmen richtige Prioritäten zu setzen, muss man die Gefahren abschätzen, die von den einzelnen exotischen Arten auf das hiesige Ökosystem ausgehen. So weiß man inzwischen, dass Miesmuscheln und Pazifische Austern sich miteinander arrangiert haben. Der Rückgang der Miesmuschelbestände war nicht direkt mit der Ausbreitung der Pazifischen Auster zu erklären. Beide scheinen innerhalb des gleichen Muschelriffs eine eigene ökologische Nische zu besetzen. Für die Miesmuschelfischerei bleibt es jedoch ein Problem, da die Austern die Fischerei auf Saatmuscheln erschweren. Auch für den Tourismus, insbesondere bei Wattwanderungen oder beim Baden, sind die scharfkantigen Austernschalen ein Risiko.
Wesentlich für die Bekämpfung ist die Früherkennung von invasiven Arten. Arjan Gittenberger (GiMaris, Niederlande) hatte in einem Pilotprojekt mit verschiedensten Methoden (Absuchen von Bootsstegen, Tauchen, Unterwasserfotos und -videos) während eines Untersuchungszeitraumes von 3 Wochen 11 verschiedene neue Exoten entdeckt. Helene Nyegaard Hvid (Dänisches Umweltministerium) präsentierte das Projekt NOBANIS, ein Neobiota-Melde- und Frühwarnsystem, an dem 18 europäische Staaten beteiligt sind. Rainer Borcherding (Schutzstation Wattenmeer) stellte den „Beach Explorer“ vor. Bei diesem Programm sind neben Wissenschaftlern besonders interessierte Laien, Touristen, Strandwanderer aufgerufen, nach Neobiota Ausschau zu halten. Mit Hilfe einer Datenbank sollen die Funde bestimmt und der zentralen Erfassung zugeleitet werden. Dadurch soll auch die Öffentlichkeit über das Problem invasiver Arten im Wattenmeer besser informiert werden.
Zum Abschluss der Tagung wurde deutlich, dass der Umgang mit den immer weiter zunehmenden fremden Arten im Wattenmeer nur gemeinsam weiter angegangen werden kann. „Wir werden den Auftrag des UNESCO-Welterbekomitees zügig umsetzen und eine gemeinsame Strategie für den Umgang mit invasiven Arten entwickeln“ sagte Jens Enemark, Leiter des CWSS.
Der internationale Wattenmeertag findet jedes Jahr am letzten Donnerstag im August statt und behandelt aktuelle Themen, die Wattenmeer-weit von Bedeutung sind.