Rezension: „Natur Natur sein lassen“

Heute stellen wir Ihnen ein aktuelles Buch zur Entstehung des ersten deutschen Nationalparks vor: der Bayerische Wald. Die Gründerväter waren noch ganz andere Kaliber als die nicht wenigen heutigen behördlichen Naturschutzverwalter, die z.B. den Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer – oder was dafür gehalten wird – „managen“. Die tatsächlichen Zustände an der Küste sind den Wattenrat-Leserinnen und Lesern bekannt. Auch durch das Adelsprädikat „Weltnaturerbe“ – eingefädelt von Politikern und Tourismusmachern – hat sich die marode Naturschutzsituation im und am Wattenmeer nicht verbessert, im Gegenteil. Der Nationalpark Wattenmeer und das „Weltnaturerbe“ wurden zur Beute der Tourismusindustrie. Deshalb der Hinweis auf die Neuerscheinung „Natur Natur sein lassen“. Die Rezension verfasste Wilhelm Breuer, bei Naturschutzfachleuten kein Unbekannter. Breuer ist Geschäftsführer der Gesellschaft zur Erhaltung der Eulen (EGE), von deren Webseite wir seine Rezension mit freundlicher Genehmigung übernommen haben.

Natur Natur sein lassen. Die Entstehung des ersten Nationalparks Deutschlands: Der Nationalpark Bayerischer Wald. Hans Bibelriether (2017). 978-3-942509-61-9, 260 S., 14 x 21,5 cm, € 19,90 (A € 20,50) E-Book: € 7,99

Vordergründig betrachtet sind Nationalparke in Deutschland eine allseits akzeptierte Sache. Immerhin gibt es hier 16 solcher Gebiete (zusammengenommen allerdings nur 0,6 Prozent der Landfläche der Bundesrepublik), in denen gesetzlich verpflichtend Wildnis Vorrang hat vor Wirtschaft und wo ungestörte Natur das primär zu schützende Gut ist. 1970 schlug dieser Anspruch (der Leitspruch des Autors „Natur, Natur sein lassen“) Wurzeln auf deutschem Boden – mit der Gründung des Nationalparks „Bayerischer Wald“. Sein profiliertester Kenner ist Hans Bibelriether, der als erster Nationalparkleiter die Geschicke dieses Gebietes über drei Jahrzehnte entscheidend mitgeformt und den Nationalpark zusammen mit Bernhard Grzimek, Hubert Weinzierl, Horst Stern, Landwirtschaftsminister Hans Eisenmann und anderen Weggefährten gegen einflussreiche forst- und jagdwirtschaftliche Interessen ungeachtet persönlicher Anfeindungen vor Etikettenschwindel verteidigt und zu einer Blaupause deutscher Nationalparke entwickelt hat. Man denke an die Auseinandersetzungen um Einschlagverbote und Nutzungsverzicht, überhöhte Schalenwildbestände und Trophäenkult, die Wiederansiedlung des Luchses oder an den Umgang mit Orkanschäden und der Massenvermehrung des Borkenkäfers.

Konflikte, die von der Nationalparkverwaltung aufgelöst, ausgefochten oder ausgehalten werden mussten. Bibelriether schildert auf unaufgeregte, aber eindrückliche Weise die damaligen teils glücklichen, zumeist aber schwierigen von Angriffen, Blockaden und Intrigen der Nationalparkgegner geprägten Umstände, mit denen der Nationalpark „Bayerischer Wald“ vor und nach Gründung und bei seiner späteren Erweiterung konfrontiert war. Das Buch ist das redliche und bescheidene Resümee des Insiders. Es ist ein spannendes Geschichtsbuch und gewissermaßen ein Lehrbuch und hochaktuell, zeigt es doch, dass profitorientierte und karrieremotivierte Machenschaften mit Anstand, Beharrlichkeit, Weitsicht und Mut durchkreuzt werden können. Eigenschaften, die angesichts eines unübersehbaren Trends zur hohlen Inszenierung und unverhohlenen Kommerzialisierung von Nationalparken mindestens so nötig sind wie damals und vor allem eines erfordern: Menschen von Format.

Wilhelm Beuer

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