Die Vereinigung „Ostfriesische Landschaft“ als Nachfolgerin der mittelalterlichen ostfriesischen Landstände der Region feiert sich jährlich um den 10. Mai herum- am sog. „Oll´ Mai“ – selbst. Die „Ostfriesische Landschaft“ hat offiziell keine politische Funktion mehr, wird aber von Regionalpolitikern aus den Landkreisen und der Stadt Emden „regiert“. Sie gilt heute als Kultur- und Wissenschaftsparlament und ist als Körperschaft des öffentlichen Rechts eingetragen. Am Oll´Mai finden Ehrungen statt, verdienstvolle Nicht-Ostfriesen bekommen an diesem Tag von der Landschaftsversammlung die ostfriesische Ehrenbürgerschaft, das „Indigenat“, verliehen. Ort der Feierlichkeiten ist das Denkmal „Upstalsboom“ in Aurich, das so etwas wie ein Nationalheiligtum für Ostfriesen ist. Der Upstalsboom war im späten Mittelalter der Versammlungsort der Abgesandten der friesischen Landstände, die sich unabhängig vom Adel als „freie Friesen“ und Hüter der „Friesischen Freiheit“ sahen.
Wie die Pressestelle der Ostfriesischen Landschaft bekanntgab, soll in diesem Jahr statt einer Person „die Herstellerfirma von Windkraftanlagen geehrt“ werden, „die in Aurich ihren Stammsitz und Ostfriesland weltweit berühmt gemacht hat“. Um die historische Stätte Upstalsboom soll „als weithin sichtbares Zeichen der Verbundenheit mit Ostfriesland und dem Hersteller“ ein Windpark entstehen, als „gelungene Symbiose der Neuzeit mit dem historischen Ostfriesland“. „Ziel sei es“, so die Pressestelle weiter, „die Auricher Herstellerfirma in die Gedenkstätte Upstalsboom in Zeiten der Energiewende und des Klimaschutzes optisch mit einzubinden und damit nachhaltig zu ehren“.
Derzeit wird mit dem Bau des Windparks um das Denkmal Upstalsboom begonnen. Das Planungsbüro Schmalz & Ratzbock lieferte das Fachgutachten für die Planungen. Die windhemmenden Bäume, die bisher den geschichtsträchtigen Ort umgeben, sollen vor Inbetriebnahme des Windparks fallen; Fledermausvorkommen schloss das Gutachterbüro aus. An den Autobahnen, die nach Ostfriesland führen, wird das umgestaltete Upstalsboom-Denkmal demnächst mit einem Hinweisschild beworben. Ostfriesland wird um eine Attraktion reicher sein.
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Nachtrag 02. April 2017:
Alle echten oder zugezogenen Ostfriesen werden erkannt haben, dass die Upstalsboom-Nummer ein Aprilscherz war. Dennoch, wie einige Rückmeldung zeigen, wurde die Meldung auch geglaubt. So soll es sein.
Wie übel die Windenergiewirtschaft derzeit tatsächlich ganz ohne Aprilscherze wütet, zeigt ein Beispiel aus Hessen: Die kultur- und geschichtslose, dafür aber unglaublich skrupellose Windlobby hat vor nichts mehr Respekt, nun soll in Angersbach/Hessen für eine Windkraftanlage (Lebensdauer ca. 30 Jahre, wenn überhaupt) ein Hügelgrab weichen, Alter: ca. 4.500 Jahre! Verantwortlich ist die HessenEnergie, gegründet 1991 von der damaligen hessischen Landesregierung zusammen mit Partnern aus dem Bereich der öffentlichen Banken als Landes-Energieagentur. Die vom Land Hessen gehaltenen Anteile am Stammkapital der HessenEnergie hat im Jahr 2001 die Landesbank Hessen-Thüringen (HELABA) und im Jahr 2002 die Oberhessische Versorgungsbetriebe AG (OVAG) übernommen. Alleingesellschafter ist innerhalb der OVAG-Gruppe die ovag Energie AG.
Lauterbacher Anzeiger, 21. März 2017, Angersbacher Hügelgrab aus der Jungsteinzeit – oder: Archäologie vs. Windkraft
Von Annika Rausch
ANGERSBACH – „Natürlich blutet einem Archäologen in diesem Moment das Herz“, erklärt Dr. Andreas Thiedmann vom Landesamt für Denkmalpflege Hessen in Marburg. Er steht in diesem Moment vor einem Hügelgrab, das schon seit mehreren Wochen von einem Archäologen-Team fachgerecht abgetragen und dokumentiert wird. „Denn hier soll ein 4 500 Jahre altes Kulturdenkmal einer gewerblichen Anlage weichen.“ In wenigen Wochen wird an genau dieser Stelle eine Windkraftanlage stehen. Eine von fünf auf dem „Steinberg“ in der Gemarkung Angersbachs. „Unsere Einwendungen wurden vom Regierungspräsidium abgewogen und wegen des übergeordneten Interesses abgelehnt“, erläutert Thiedmann weiter. Dabei könne es sich bei den Ausgrabungen „für Vogelsberger Verhältnisse um etwas Sensationelles“ handeln.
Eine „kontrollierte wissenschaftliche Zerstörung“ nennt Andreas Thiedmann die Freilegung des Hügelgrabes. „Das Windrad hält vielleicht 30 Jahre, das Grab war mehrere tausend Jahre hier.“ Etwas Frust ist dem Denkmalfachmann bei dieser Aussage durchaus anzusehen. Auch wenn bei einer Ausgrabung wie dieser interessante Funde zu Tage treten können, gehört es nämlich eigentlich zum Selbstverständnis seiner Arbeit, Dinge „zu bewahren, zu schützen und für zukünftige Generationen zu erhalten“. Und das heißt, dass der Experte das Grab am liebsten unangetastet gelassen hätte. […]