Über lautstarke Musikveranstaltungen, Feuerwerke und Böller im oder am Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer („Weltnaturerbe“!) ist in den Beiträgen auf dieser WebSeite schon viel berichtet worden. Mehrfach im Jahr, nicht nur zu Silvester, werden durch solche Veranstaltungen Vögel mit enormem Getöse gestört, mit dröhnenden Bässen, dem unvermeidlichen Feuerwerk und damit auch von ihren Brut- oder Rastplätzen vertrieben, in ihrem Schutzgebiet! Eine „nachhaltige“ Änderung dieser vielerorts an der Küste durchgeführten lautstarken Touristenbespaßungen ist nicht in Sicht; Naturschutz auf dem Papier und in der Realität unterscheiden sich völlig. Tourismusmanager zeigen sich in der Regel ignorant gegenüber den Erfordernissen des Naturschutzes, scheuen sich aber nicht, das Wattenmeer als Naturidylle zu vermarkten, als wohlfeile Kulisse ihres Marketings. Die Nationalparkverwaltung und die Unteren Naturschutzbehörden der Landkreise ziehen sich auf die bequeme Aussage zurück, nicht einschreiten zu können, wenn die Feuerwerke auch nur einen Meter außerhalb der Nationalparkgrenzen gezündet werden. Die Auswirkungen auf die Vögel über und im Nationalpark sind indes identisch. Auch wenn Feuerwerke verbotenerweise innerhalb des Nationalparks zu Silvester abgebrannt werden, zieht das keine Sanktionen nach sich; die Auswüchse des Massentourismus an der Küste werden stillschweigend toleriert. Der Eindruck, dass hier längst ein rechtsfreier Raum bei Verstößen gegen Naturschutzgesetze entstanden ist, lässt sich nicht von der Hand weisen. Von den mittlerweile 15 „anerkannten“ Naturschutzverbänden in Niedersachsen kommt kaum Unterstützung für die Einstellung dieser Veranstaltungen.
An Untersuchungen und Beobachtungen zu den Störungen der Vögel durch Feuerwerke fehlt es jedoch nicht. Im Heft 52/2015 „Berichte zum Vogelschutz“ veröffentlichte Dr. Hermann Stickroth eine ausführliche Darstellung zu „Auswirkungen von Feuerwerken auf Vögel – ein Überblick (Stickroth, H. (2015): Effects of fireworks on birds – a critical overview. Ber. Vogelschutz 52: 115–149)“.
Die Zusammenfassung seiner Veröffentlichung finden Sie nachstehend. Das Jahresheft, in dem der vollständige Beitrag enthalten ist, können Sie hier für 18,00 Euro plus Versandkosten bestellen:
Landesbund für Vogelschutz (LBV), Artenschutz-Referat, Eisvogelweg 1, 91161 Hilpoltstein, E-Mail: bzv@lbv.de
Zusammenfassung
Basierend auf Beobachtungen von 133 Feuerwerken mit 272 dokumentierten artspezifischen Reaktionen wird ein kritischer Überblick über die Auswirkungen von Feuerwerken auf Vögel gegeben. 70 % der Beobachtungen stammen aus Deutschland, der Rest aus den USA und einigen europäischen Landen. Die Beobachtungen verteilen sich auf 88 Taxa. Die drei am häufigsten genannten Arten sind Graugans, Weißstorch und Kranich. Das Abbrennen eines Feuerwerks im Umfeld wild lebender Tiere stellt einen anthropogenen Störreiz dar. Die visuellen Reize eines Feuerwerks haben manchmal nur geringe Auswirkungen. Hauptwirkung dürfte der Überraschungseffekt durch das plötzlich hereinbrechende Blitz- und
Licht“gewitter“ sein. Anders als Dauerlärm, auf welchen Vogel häufig mit Gewöhnung reagieren, bewirken die akustischen Reize eines Feuerwerks oft starke Reaktionen bis hin zu Paniken, wobei Wasservögel anscheinend empfindlicher reagieren als Greifvogel und Säugetiere. Eine Verstärkung der Reaktionen wahrend der Jagdzeit wird beobachtet. Die Störung von Vögeln durch pulsierende Bässe, Überschallknalls und Vergrämung mittels „Pulse Detonation Technology“ lassen es als sehr wahrscheinlich erscheinen, dass Vogel mittels paratympanischem Organ oder Luftsäcken auch die Druckwellen von Feuerwerksexplosionen wahrnehmen und darauf reagieren; eine Gewöhnung auf diesen Reiz findet angeblich nicht statt. Eine Serie von Feuerwerken führte zu einer Sensibilisierung und somit stärkeren Störwirkungen, bis hin zur völligen Aufgabe des Platzes. Koloniebrüter zeigen sich wahrend der Brutzeit besonders störungsempfindlich. Alle Artengruppen scheinen sich im Winter, wenn sie im Energiesparmodus sind, weniger leicht stören zu lassen. Die Intensität des Störreizes wird von der Höhe, der Lautstärke und der Entfernung des Feuerwerks und somit seiner Wahrnehmbarkeit am Störungsort bestimmt. Abschirmende Strukturen verringern die Reaktionsstärke, reflektierende (Gebäude, Dünen, Berge) oder tragende Strukturen (Wasserfläche) verstärken sie. Höhe und Lautstärke eines Feuerwerks hängen auch von der Art des Feuerwerks ab.
Tötungen und Verbrennungen scheinen in Einzelfällen vorzukommen, sind aber meist nicht ausreichend belegt. In der Regel führt ein Feuerwerk zum Einstellen des bisherigen Verhaltens und stattdessen zu erhöhterWachsamkeit oderweiterreichenden Störwirkungen. Auch ohne erkennbare Reaktion können Feuerwerke eine Belastung für den Vogel darstellen (Stress, Erhöhung des Stoffwechsels). Oftmals belegt sind Veränderungen der Körperhaltung, Aufmerken, Sichern, Rufe, Unruhe, Schreckbewegungen oder Drücken. Am häufigsten wurde jedoch Flucht dokumentiert (laufend, schwimmend oder fliegend in die schützende Vegetation oder entfernte Bereiche). Jungvögel springen im Extremfall aus dem Nest (z. B. Störche, Reiher). Flucht beinhaltet grundsätzlich die Gefahr von Folgeschäden (Verletzungen, Erschöpfung, Prädation), vor allem bei Panik (etwa ein Drittel der dokumentierten Fluchten). Besonders oft betroffen sind Schwarmvögel, vor allem Gänse und Kraniche. Neun von zehn dokumentierten Todesereignissen entfielen auf Paniken. Silvesterfeuerwerke wirken sich auf großer Fläche aus. Durch Feuerwerke kann sich der Reproduktionserfolg verringern, auch durch Aufsprengen der Familienverbände (am Brutplatz, auf dem Zug). Die erzwungenen Fluchten verringern die Fitness des einzelnen Vogels (Schwächung, Zeit- und Lebensraumverluste, Verschlechterung der Energiebilanz). Das Ausmaß der erzwungenen Ortswechsel ist erheblich, was zu einer Erhöhung des Energiebedarfs führt. In Zeiten hohen Energiebedarfs bei gleichzeitig schlechter Versorgungslage kann das zu einer lebensbedrohlichen Notlage führen. Bei Populationen mit instabilem Erhaltungszustand, negativer Bestandsentwicklung oder geringen Individuenzahlen sowie sensiblen Artspezifika (Schwarmvogel, Koloniebrüter) kann sich dadurch der Erhaltungszustand verschlechtern.