Der Wattenrat Ostfriesland begrüßt die erfolgreiche Bürgerbefragung in der Samtgemeinde Esens mit dem Ausgang, die bisherigen Flächen für die Windkraftnutzung festzuschreiben. Das von der Samtgemeinde Esens vorgestellte Repoweringkonzept „1 zu 2“ , also der Abbau von zwei Altanlagen Tacke-TW 600 für eine neue repowerte Anlage Enercon-70, ist jedoch nach Auffassung des Wattenrates eine Irreführung der Öffentlichkeit. Tatsächlich sollen in Utgast/Gemeine Holtgast von ursprünglich 49 alten Anlagen, die inzwischen zusammen mit einigen neuen Anlagen auf 53 Anlagen erweitert wurden, schließlich 42 Anlagen nach dem Repowern übrigbleiben. Das wird, ganz frei von Adam Riese, der Öffentlichkeit als „1 zu 2“ verkauft.
Samtgemeinde Esens
Windenergie- und Repoweringkonzept zur 121. Flächennutzungsplanänderung, Februar 2016[…] Die Anzahl der zulässigen Windenergieanlagen in den Konzentrationszonen wird wie folgt festgeschrieben:
– WP Holtgast – Utgast max. 42 WEA
– WP Werdum / Neuharlingersiel max. 04 WEA
– WP Stedesdorf max. 10 WEA3. Neue Windenergieanlagen in den Konzentrationszonen für Windenergie sind ausschließlich im Rahmen von Repoweringmaßnahmen zulässig. Dabei sind neue Anlagen im Verhältnis 1:2 zu errichten bzw. eine neue Windenergieanlage ist für mindestens zwei vorhandene abzubauende Windenergieanlagen zu errichten. […]
Samtgemeindedirektor Harald Hinrichs antwortete am 24. Februar 2016 auf die konkrete Wattenrat-Anfrage vom 18. Februar 2016 zum vorgeblichen „1 zu 2“-Repowering-Konzept in der Samtgemeinde Esens am Beispiel des Windparks Utgast, dass erst bei einem nächsten Repowering die Vorgabe “1 zu 2″ umgesetzt werden soll, also in der nicht näher bezeichneten Zukunft! Zitat Hinrichs: “…d.h. nach einem nächsten Repowering darf der Windpark max. 21 Anlagen oder weniger enthalten.” Die Antwort lässt also offen, wann tatsächlich “1 zu 2″ repowert wird; erst in 20 Jahren, wenn die nun neuen Anlagen abgängig sein werden?
Zu den vom Wattenrat monierten völlig unzureichenden faunistischen Datenerfassungen (Vögel und Fledermäuse) vor der Neuerrichtung der Anlagen und der beharrlichen Missachtung der fachlich empfohlenen und mehrfach gerichtlich bestätigten Mindestabstände von Windkraftanlagen zu EU-Vogelschutzgebieten von 1.200 Metern – der Windpark Utgast grenzt unmittelbar an das Vogelschutzgebiet V63 “Seemarschen Norden-Esens” an – schreibt Herr Hinrichs lapidar: “Zukünftig werden neue Standorte einen erhöhten Abstand zum Vogelschutzgebiet aufweisen. Die Belange des Artenschutzes und der Natura 2000- Gebiete werden hierbei umfassend ermittelt und bewertet.” Der Wattenrat weist darauf hin, dass nicht erst „zukünftig“, sondern bereits jetzt vor dem Repowering diese Artenschutzbelange hätten umfassend ermittelt werden müssen. Naturschutzfachliche Arbeitshilfen, z.B. vom Niedersächsischen Landkreistag oder den Staatlichen Vogelschutzwarten der Länder, gehen wegen des Scheucheffekts und des Tötungsrisikos der Vögel von Windkraft-Abständen von 1.200 Metern zu Vogelschutzgebieten aus. Diese Abstandsempfehlungen wurden bereits in mehreren Verwaltungsgerichtsurteilen bei anderen Planungen in Deutschland bestätigt. Tatsächlich stehen die Windkraftanlagen in Utgast nur ca. 300 Meter vom Schutzgebiet entfernt.
Der Landkreis Wittmund, so der Wattenrat, genehmigt weiter unverdrossen und betreiberfreundlich an der geltenden Rechtslage vorbei. Naturschutzverbände wie BUND oder NABU schweigen dazu. Betroffene Anwohner beschweren sich durch die bereits neu errichteten, wesentlich höheren und leistungsstärkeren Anlagen des Auricher Anlagenbauers über die unerträgliche Lärmbelästigung durch die Anlagen, die nun noch zunehmen wird. Der Bürgermeister von Holtgast, Enno Ihnen, weiß von der Lärmbelästigung, winkt aber die neuen Anlagen inzwischen ohne Ratsbeschluss mit dem „gemeindlichen Einvernehmen durch“, für wenige Betreiber. Ihnen (CDU) ist auch Vorsitzender des Bau- und Umweltauschusses in der Samtgemeinde Esens. In Esens-Bensersiel wurde bereits eine Umgehungsstraße illegal in diesem Vogelschutzgebiet gebaut. Die enorm teuren finanziellen Folgen, die letztlich der Steuerzahler zu tragen hat, sind bekannt.
(Dieser Text wurde zwei Lokalzeitungen als Pressemitteilung angeboten, er wurde aber nicht abgedruckt.)
Manfred Knake vom Wattenrat hatte beim Niedersächsischen Umweltministerium mit Bezug auf das Umweltinformationsgesetz evtl. fachliche behördliche Stellungnahmen zu seiner Fachaufsichtsbeschwerde angefordert (pdf. WP-Utgast_Repowering_Fachaufsichtsbeschwerde). Die Fachaufsichtsbeschwerde wurde von ihm im Februar 2105 eingelegt und erst im November 2015 vom Umweltministerium in Hannover lapidar mit einem Fünfzeiler abgeschmettert, man sehe „keine Möglichkeit in der Angelegenheit fachaufsichtlich tätig zu werden“. Vom Ministerium bekam er nun einige fachliche Stellungnahmen zugeschickt.
Der Sachbearbeiter im Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN), Dipl. Ing. Wilhelm Breuer, ausgewiesener und bundesweit anerkannter Fachmann für die Eingriffsregelung, das Artenschutzrecht und die damit verbundenen FFH-Verträglichkeitsprüfungen, schrieb bereits im April 2015 u.a. das Folgende in seiner Stellungnahme zum Repowering im Windpark Utgast an das Umweltministerium (pdf: NLWKN_Wind_Utgast):
„[…] 5. Der Umweltbericht zum Bebauungsplan vom 12.07.2011 verneint mit Verzicht auf eine planungs- und problemangemessene Sachverhaltsermittlung eine erhebliche Beeinträchtigung von V 63. Dieses Ergebnis ist nicht nachvollziehbar. Dass die Maßstäbe, welche die Rechtsprechung an eine Bewertung der FFH-Verträglichkeit anlegt, beachtet wurden, ist nicht erkennbar. Die Bewertung des Landkreises, die Verträglichkeit mit V 63 sei „umfassend geprüft“ worden, teile ich insofern nicht. Problematisch könnte auch sein, dass sich die Prüfung der Verträglichkeit nur auf die wertbestimmenden Vogelarten bezieht. Angesichts der Vorgeschichte der Planung dürfte es auch nicht genügen, lediglich solche Beeinträchtigungen in die Betrachtung einzubeziehen, welche über die Befundlage vor Aufstellung des Bebauungsplanes hinausreichen. Dafür spricht der Umstand, dass zwischenzeitlich ein Vogelschutzgebiet unmittelbar an die im Flächennutzungsplan dargestellte Fläche für Windenergie eingerichtet wurde.
6. Hinsichtlich der übrigen Folgenabschätzung und –bewältigung (§ 44 BNatSchG sowie Eingriffsregelung) bleibt der Umweltbericht ausgesprochen allgemein, was angesichts einer unzureichenden Sachverhaltsermittlung nicht verwundert. Im Kern verweist der Umweltbericht lediglich auf das nachfolgende immissionsschutzrechtliche Zulassungsverfahren des Landkreises.
7. Ob und mit welchem Ergebnis der Landkreis die auf der Bebauungsplan-Ebene weitgehend ausgefallene Sachverhaltsermittlung und Prognose von Umweltfolgen im immissionsschutzrechtlichen Zulassungsverfahren nachgeholt bzw. vorgenommen hat, ist fraglich. Ob in diesem Zulassungsverfahren dem Betreiber lediglich noch „Kompensationsmaßnahmen, gegebenenfalls ein Monitoring“ auferlegt werden können, wie der Landkreis schreibt, ist eine rechtliche Frage und dementsprechend von juristischer Seite zu beantworten. Ob und welche Auflagen dem Betreiber letztendlich vom Landkreis auferlegt worden sind, ist mir nicht bekannt. Dass mit den im Umweltbericht skizzierten und am Ende der Stellungnahme des Landkreises erwähnten Kompensationsmaßnahmen oder einem Monitoring die aufgezeigten naturschutzfachlichen Defizite behoben werden können, erscheint nicht sehr wahrscheinlich.“
Es hat nie (!) eine vorgeschriebene FFH-Verträglichkeitsprüfung (FFH-VP) nach § 34 Bundesnaturschutzgesetz a) vor der Errichtung des Windparks 1995 und b) zum aktuellen Repowering direkt am Vogelschutzgebiet stattgefunden, es gab lediglich einen „Umweltbericht“ aus 2011 (Gutachterbüro Thalen Consult, Neuenburg) mit einer inhaltlich unzureichenden FFH-VP. Fazit: Der Landkreis Wittmund als immissionsschutzrechtliche Genehmigungsbehörde hat ausschließlich im Sinne der Betreiber genehmigt und wesentliche artenschutzrechliche Belange missachtet. Damit ist dieser Windpark rechtlicht angreifbar, es fehlt nur noch ein Kläger.