Windenergie und Vogelschutz: „Helgoländer Papier“ weiter unter Verschluss (mit Update: nun doch veröffentlicht!)

Suchbild: balzende Bussarde direkt am Rotor einer Windkraftanlage. Horst befindet sich links im Bild im Feldgehölz. Die Vögel leben gefährlich. Theoretisch könnte diese Anlage (und die benachbarten) wegen des "signifikant erhöhten Tötungsrisikos" vorübergehen abgeschaltet werden (§ 44 Bundesnaturschutzgesetz)

Suchbild: balzende Bussarde direkt am Rotor einer Windkraftanlage. Der Horst befindet sich links im Bild im Feldgehölz. Die Vögel leben gefährlich, nicht nur wegen des Rotors, auch wegen möglicher Nachstellungen durch Windkraftbetreiber. Theoretisch könnte diese Anlage (und die benachbarten) wegen des „signifikant erhöhten Tötungsrisikos“ vorübergehen abgeschaltet werden (§ 44 Bundesnaturschutzgesetz). Roggenstede, LK Aurich/NDS, 16. März 2015. Foto (C): Manfred Knake

Bitte das Update ganz unten beachten. Seit heute, 17. März 2015,  ist das „Neue Helgoländer Papier“ online!

Über das „Helgoländer Papier“ der Länder-Arbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten (LAG-VSW) als wichtige Bewertungshilfe für den Artenschutz haben wir schon öfter berichtet. Das Papier listet Prüfradien und Mindestabstände zu Windkraftstandorten auf, um die Auswirkungen auf bestimmte Vogelarten zu minimieren. Nur: Die Länderumweltministerien halten in enger Abstimmung mit der Windenergiewirtschaft diese Arbeitshilfe aus politischen Gründen immer noch zurück, sie würde die Expansion der Windkraftstandorte behindern und die Rendite der Betreiber schmälern. Beim Wattenrat ist das Papier jedoch in der Entwurfsfassung vom 13. Mai 2014 veröffentlicht (.pdf LAG_VSW_13Mai2014_Entwurf). Nun sollte ursprünglich bei der Frühjahrstagung 2015 der Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaft Naturschutz (LANA) über die Veröffentlichung dieses Geheimpapiers entschieden werden, dazu kam es aber nicht: Das Thema wurde kurzerhand von der Tagesordnung genommen. „Dem Vernehmen nach“ waren das grüne niedersächsische Umweltministerium unter dem Wind-Minister Stefan Wenzel und die grüne Umweltministerin Ulrike Höfken aus Rheinland-Pfalz die treibende Kräfte [edit: …und sind schließlich doch fulminant gescheitert, siehe Update unten]. Wenzels Ministerium arbeitet an einem „Leitfaden“ und einem Windenergieerlass im Lande, der maßgeblich von der Windenergiewirtschaft beeinflusst wird. Die Europäische Gesellschaft zur Erhaltung der Eulen (EGE) hat über die skandalöse und beispiellose Selbstzensur bei der „Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaft Naturschutz, Landschaftspflege und Erholung“ (LANA) berichtet. Den Beitrag übernehmen wir nachfolgend:

Die „Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaft Naturschutz, Landschaftspflege und Erholung“ (LANA) hatte bei ihrer Frühjahrstagung 2015 über die bereits vor Jahren von der Länder-Arbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten (LAG VSW) vorbereiteten „Abstandsregelungen für Windenergieanlagen zu bedeutsamen Vogellebensräumen sowie Brutplätzen ausgewählter Vogelarten“ entscheiden wollen. Eigentlich. Dem Vernehmen nach wurde die Sache kurzerhand von der Tagesordnung genommen. Über viele Monate war das Papier heftigen Attacken ausgesetzt, die zu immer neuen inhaltlichen Abschwächungen geführt hatten.
Die LANA ist eine Arbeitsgemeinschaft der Länderumweltminister und des Bundesumweltministeriums. Mindestens einige, wenn nicht alle diese Minister und Ministerinnen suchen die Veröffentlichung des Vogelschutzwarten-Papiers zu verhindern oder es wenigstens in seiner Substanz zu schwächen. Im letzten Jahr hatten sie die Veröffentlichung von der Zustimmung des Bundesverbandes Windenergie abhängig machen wollen und die Katze aus dem Sack gelassen. Die EGE schrieb damals, es sei so, als würde die deutsche Ärzteschaft gezwungen, die Veröffentlichung ihres Memorandums über die Gefahren des Rauchens von der Zustimmung der Tabakindustrie abhängig zu machen.
Der Vorgang ist beispiellos in der Geschichte des deutschen Vogelschutzes, zeigt aber, wie weit der Einfluss der Windenergiewirtschaft reicht. Den Vogelschutzorganisationen fällt seit Monaten nichts Besseres ein, als die unverzügliche Veröffentlichung des Papiers zu fordern. Wenn ihnen überhaupt etwas einfällt. Der Artenschutz ist in diesem Lande die Beute der Funktionäre einer neuen Energiewirtschaft, die ebenso wenig Rücksicht auf Natur und Landschaft nimmt wie Atom- und Kohlewirtschaft Jahrzehnte zuvor, sich aber als Heilsbringer präsentiert.
Wie gut, dass die Zeitschrift „Naturschutz und Landschaftsplanung“ in Heft 12/2014 den Beitrag von Matthias Schreiber [Schreiber_NuL12-14] veröffentlicht hat. Damit sind die Empfehlungen der Vogelschutzwarten nämlich an sich in der Welt. Der Widerstand gegen das Vogelschutzwarten-Papier entzündet sich vor allem an dem Abstand von 1.500 m, den Windenergieanlagen zu Rotmilan-Vorkommen einhalten sollten. An Windenergieanlagen in Deutschland verunglücken Rotmilane in so großer Zahl, dass die Verluste bereits ein populationsrelevantes Niveau erreichen. Deutschland trägt für den Schutz der Art eine nationale Verantwortung, weil etwa 60 Prozent des Weltbestandes der Art in Deutschland leben. Die Marginalisierung des Naturschutzes im Namen der Energiewende ist ein großes Geschäft wie die Energiewende selbst. Dass die Rechnung der Branche aufgeht, verdankt sie einer unheiligen Allianz aus profaner Gier, Heilsversprechen und naturwissenschaftlicher Ahnungslosigkeit.

Hlber Bussard (brutzeit 2014) im Windpark Utgast/Holtgast/LK Wittmund/NDS

Halber Bussard (Brutsaison 2014) im Windpark Utgast/Holtgast/LK Wittmund/NDS, Foto (C): Manfred Knake

Update 17. März 2015, 20:30h: Nach der Veröffentlichung dieses Beitrages wird bekannt, dass der NABU-Bundesverband in einer Pressemitteilung vom heutigen Tage verbreitet: „In der vergangenen Woche bestätigte dazu die Länderarbeitsgemeinschaft Naturschutz (LANA) das sogenannte `Neue Helgoländer Papier´, das den aktuellen Fachstandard für den empfohlenen Mindestabstand zwischen Windkraftanlagen und sensiblen Vogelvorkommen darstellt. Diese Empfehlungen waren bereits vor zwei Jahren von der Länderarbeitsgemeinschaft der staatlichen Vogelschutzwarten erarbeitet und seither diskutiert worden.“ Demnach gibt es ein überarbeitetes Papier, das die Länderarbeitsgemeinschaft als .pdf bereitstellt. Nun ist davon auszugehen, dass die Umweltminister von Bund und Ländern der Veröffentlichung der neuen Empfehlungen der Länder-Arbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten zu Windenergie und Vogelschutz nach Angaben des NABU-Bundesverbandes jetzt offenbar doch noch zugestimmt haben. Bemerkenswert ist die NABU-Bewertung: „Das aktuelle Papier ist eine aufgrund neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse aktualisierte Version der Abstandsempfehlungen. Sie enthält bei vielen Arten eine fachlich gut begründete Reduzierung der Abstandsempfehlung, beim Rotmilan hingegen einen vergrößerten Mindestabstand von 1.000 auf aktuell 1.500 Meter.“  Tatsächlich dürften es aber weniger die „neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse“ sein, die zu einer Reduzierung der Abstandsempfehlungen geführt haben, sondern der Druck der Windenergiewirtschaft, der zu Abstrichen an den Prüfradien und Abstandsempfehlungen geführt hat, die vom NABU als „fachlich gut begründete Reduzierung der Abstandsempfehlung“ verkauft werden. Der NABU wackelt und eiert wie gewohnt: „Der NABU befürwortet den naturverträglichen Ausbau der Windkraft sowohl an Land als auch auf dem Meer, weist jedoch auf gravierende Versäumnisse bei der Standortwahl und Umsetzung einzelner Projekte hin. Trotz aller Bekenntnisse der Branche ist wiederholt festzustellen, dass Naturschutzbelange nicht in ausreichendem Maße berücksichtigt und auch höchst kritische Projekte realisiert werden.„  Bemerkenswerterweise findet sich die heutige NABU-Pressemitteilung auch auf der WebSeite der „Windmesse“! Der NABU  (und der BUND!) tritt auch als Ökostromvermittler auf, ist also Teil des ökonomischen Komplexes der Erneuerbaren Energien. In Ostfriesland, am Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer und Weltnaturerbe, dem Landstrich mit der höchsten Windkraftdichte in Deutschland, sind keine Aktionen des NABU gegen den ungebremsten Windenergieausbau bekannt. Der Wattenrat wird die verschiedenen Versionen des „Helgoländer Papiers“ prüfen und dann weiter berichten. Das sog. „Neue Helgoländer Papier“ liegt hier als .pdf zum Download bereit: lag-vsw_abstandsempfehlungen_beschlussversion_lana_03-2015 .

Screenshot_Windmesse_17. März 2015

Screenshot_Windmesse_17. März 2015, w3.windmesse.de

 

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