Am 11. September veröffentlichte der Wattenrat den Beitrag „Nicht mehr unter Verschluss: Fachkonvention ´Abstandsregelungen für Windenergieanlagen zu bedeutsamen Vogellebensräumen sowie Brutplätzen ausgewählter Vogelarten´ liegt als .pdf vor“.
Dieses sog. „Helgoländer Papier“ der Länder-Arbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten (LAG-VSW) ist eine wichtige Bewertungshilfe für den Artenschutz. Es listet Prüfradien und Mindestabstände zu Windkraftstandorten auf, um die Auswirkungen auf bestimmte Vogelarten zu minimieren. Nur: Die Länderumweltministerien halten in enger Abstimmung mit der Windenergiewirtschaft diese Arbeitshilfe aus politischen Gründen immer noch zurück, es beschränkt die Expansion der Windkraftstandorte. Der Wattenrat fand dieses Papier jedoch zufällig in seinem Briefkasten und veröffentlichte es, u.a. auch deshalb, weil es kein namentlich gekennzeichnetes Autorenpapier ist.
Der Biologe Dr. Matthias Schreiber aus Bramsche veröffentlichte in der Zeitschrift „Naturschutz und Landschaftsplanung“ – NuL 46 (12), 2014, 361-369 – den bemerkenswerten Aufsatz „Artenschutz und Windenergieanlagen – Anmerkungen zur aktuellen Fachkonvention der Vogelschutzwarten“, den sie hier lesen können: Schreiber_NuL12-14 (siehe auch das Editorial von Prof.Dr. Jedicke „Artenschutz kontra Klimaschutz? Rechtssicherheit als gemeinsames Ziel“).
Darin steht der Satz, den gerade der Wattenrat unterstreichen kann:
„[…] Anforderungen an ein Repowering
Aus Gründen des Vogelschutzes reicht es nicht aus, Anforderungen an den künftigen Zubau von WEA zu formulieren. Trotz aller Bemühungen um den Klimaschutz und aller Euphorie beim Ausbau der Windkraft sollte nämlich erinnert werden, dass z.T. eklatante Sünden der Vergangenheit zu bereinigen sind. Beispielhaft sei auf eine Reihe von Windparks und Einzelanlagen in ostfriesischen EU-Vogelschutzgebieten verwiesen, die dort aus naturschutzfachlicher und rechtlicher Sicht nie hätten errichtet werden dürfen. […]“
Dabei handelt es sich nicht nur „um Sünden der Vergangenheit“! Aktuell wurden in den letzten Jahren für ein „Repowering“ z.B. im Windpark Utgast/Gemeinde Holtgast/LK Wittmund/NDS mehrere neue Enercon-70-Anlagen mit einer Gesamthöhe von 100m errichtet, die nun in unmittelbarer Nähe des angrenzenden Vogelschutzgebietes V63 stehen, ohne Berücksichtigung von fachlichen Abstandsempfehlungen und unter Missachtung des Baugesetzbuches.
Baugesetzbuch: § 1 Aufgabe, Begriff und Grundsätze der Bauleitplanung
[…] (6) Bei der Aufstellung der Bauleitpläne sind insbesondere zu berücksichtigen:
[…] die Belange des Umweltschutzes, einschließlich des Naturschutzes und der Landschaftspflege, insbesondere
a) die Auswirkungen auf Tiere, Pflanzen, Boden, Wasser, Luft, Klima und das Wirkungsgefüge zwischen ihnen sowie die Landschaft und die biologische Vielfalt,
b) die Erhaltungsziele und der Schutzzweck der Natura 2000-Gebiete im Sinne des Bundesnaturschutzgesetzes,
c) umweltbezogene Auswirkungen auf den Menschen und seine Gesundheit sowie die Bevölkerung insgesamt, […]
Eine vorgeschriebene Verträglichkeitsprüfung und eine vorhabensbezogene Datenerfassung durch das beauftragte Planungsbüro für die neuen Anlagen liegt nicht vor, das wurde schon 1995 vor der Errichtung des Windparks am Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer versäumt. Zudem entstand der Windpark Utgast mit dubiosen Geldangeboten an die Gemeinde durch den damaligen Anlagenhersteller Tacke, die „Vereinbarung“ von 1994 können Sie nachlesen: pdf_Vereinbarung_Tacke_Gemeinde_Holtgast_WKA_1994.
Der Wattenrat hat sich deshalb im November 2014 an das zuständige Niedersächsische Sozialministerium mit der Bitte um fachaufsichtliche Prüfung gewandt.