„Als wir das Ziel aus den Augen verloren, verdoppelten wir unsere Anstrengung.“ (Mark Twain)
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Ende August 2024 fand der „Wattenmeertag“ in Wilhelmshaven statt. Der Wattenmeertag wird seit 2006 jährlich vom Gemeinsamen Wattenmeersekretariat (Common Waddensea Secretariat der Staaten Dänemark, Deutschland und Niederlande, CWSS) und der Nationalparkverwaltung Niedersächsisches Wattenmeer organisiert. Zitat aus der gegenderten Ankündigung: „Rund 120 Vertreter*innen aus Wissenschaft, Naturschutz und Politik kamen in Wilhelmshaven zum Wattenmeertag 2024 zusammen, um sich über den Schutz des Wattenmeeres im Kontext des Ausbaus erneuerbarer Energien in der Nordsee auszutauschen.
Das Wattenmeer – seit 15 Jahren als UNESCO-Weltnaturerbe anerkannt – ist bekannt für seine einzigartige biologische Vielfalt und seinen wesentlichen Beitrag zu globalen ökologischen Prozessen. Der Schutz seines außergewöhnlichen universellen Wertes ist Kern der Trilateralen Wattenmeerzusammenarbeit zwischen Dänemark, Deutschland und den Niederlanden. […] Eingebettet zwischen Festland und Nordsee, entwickelt sich das Wattenmeer zunehmend zu einer Transitzone zwischen Offshore-Ökostromanlagen und Verbraucher*innen an Land. Der heutige Wattenmeertag war der Entwicklung der Nordsee zum grünen Kraftwerk Europas und deren Bedeutung für die Welterbestätte gewidmet.“
Zitate vom Treffen, zitiert nach der Pressemitteilung des Gemeinsamen Wattenmeersekretariats (Link ganz unten) und der Wilhelmshavener Zeitung vom 29. Aug. 2024:
Sascha Klöpper, Exekutivsekretär des Gemeinsamen Wattenmeersekretariats: „Um die natürlichen Werte des Weltnaturerbes Wattenmeer zu schützen und gleichzeitig die Ziele der Energiewende zu erreichen, müssen wir auf die besten Technologien und Verfahren setzen. Die Energiewende ist ein zentraler Baustein im Kampf gegen den Klimawandel, der zugleich das Wattenmeer existenziell bedroht.“…Und die Wilhelmshavener Zeitung vom 29. August 2024: „Die aktuelle geopolitische Lage hat eine schnelle Änderung unserer Energiefrage nötig gemacht. Dafür sind die Offshore-Windparks von großer Bedeutung und wir müssen eine Balance zwischen dem Naturschutz und der Windenergie finden.“
Anne-Marie Vaegter Rasmussen, dänische Delegation der Trilateral Wadden Sea Cooperation (TWSC) : „Das Wattenmeer ist eines der bedeutendsten Naturgebiete der Welt. Wir müssen es sichern und schützen. Gleichzeitig brauchen wir die Nordsee in der Energiewende. Die komplexe Frage dieses Wattenmeertages, wie wir diese beiden großen Anliegen in Einklang bringen können, wird unsere Arbeit in den nächsten Jahren begleiten.“
Nationalparkleiter Peter Südbeck schwurbelte: „Für den Schutz des Wattenmeeres brauchen wir die konsequente Vermeidung negativer Umweltauswirkungen durch kluge Standortentscheidungen und eine größtmögliche Minimierung durch fortlaufende, technische Innovationen. Auch im Zuge der Beschleunigung des Ausbaus der Energieinfrastruktur für Erneuerbare sollten wir unsere Umweltstandards und beste Umweltpraxis aufrechterhalten.“
Kritisches kam von Dr. Hans-Ulrich Rösner, Leiter des WWF-Wattenmeerbüros in Husum (zitiert nach der Wilhelmshavener Zeitung vom 29. Aug. 2024 :
„Die Energiefrage ist zur Schicksalsfrage für das Wattenmeer geworden. Es wird insgesamt zu viel: Förderung von Öl und Gas, LNG-Terminals, Öltanker mit Havarie-Risiko – und zur fossilen Energiegewinnung kommt noch der richtige Umgang mit der Windenergie und den zugehörigen Kabeltrassen hinzu.“
Der WWF unterstützt aber nach wie vor den Windparkausbau in der Nordsee: „Ein starker Ausbau der Offshore-Windenenergie ist erforderlich.“ Aus: „Stellungnahme des WWF Deutschland 17.3.2022, Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Windenergie-auf See-
Gesetzes und anderer Vorschriften (WindSeeG)“, vom selben Dr. Rösner als „Ansprechpartner“ unterzeichnet.
Dabei waren auch Vertreter von Offshore-Energiekonzernen. Tobias Grindsted, Dänische Energieagentur: „Ein schneller und groß angelegter Einsatz erneuerbarer Offshore-Energie ist der Schlüssel zur Energiesicherheit und zum Erreichen unserer Klimaziele, und die Nordsee spielt dabei eine besonders wichtige Rolle.“
Timo Kahl, TenneT TSO GmbH: „TenneT arbeitet im Rahmen unseres 2GW Programms gemeinsam mit Lieferanten kontinuierlich an der technischen Weiterentwicklung unserer Offshore-Netzanschlusssysteme, um die Auswirkungen auf den Meeresboden und insbesondere den Nationalpark Wattenmeer zu minimieren. So können wir die Potenziale der Nordsee als grünes Kraftwerk Europas mit den besonderen Schutzbedürfnissen des Weltnaturerbes Wattenmeer vereinbaren.“
Die Quadratur des Kreises
Es hat den Anschein, dass auf dem Wattenmeertreffen die Quadratur des Kreises verkündetet wurde. Das Wattenmeer mit der angrenzenden offenen Nordsee wird seit Jahrzehnten zum riesigen Industriegebiet ausgebaut: Öl- und Gasplattformen und riesige Windparks; gleichzeitig ist das Wattenmeer mit der Nordsee die Drehscheibe und das Durchzugsgebiet des Ostatlantischen Vogelzuges von Nordamerika bis Sibirien und Lebensraum verschiedener Hochseevogelarten, dazu findet der Durchzug von Millionen Kleinvögeln über See statt. Massenkollisionen bei unsichtigem Wetter sind die Folge, die Kadaver werden kaum gefunden (Link: Zugvögel und Windparks, Finobird und „Large-scale effects of offshore wind farms on seabirds of high conservation concern„).
Die Nordsee ist Kinderstube und Lebensraum der Schweinswale (Kleiner Tümmler), deren empfindliche Ortungssysteme enorm unter den Rammarbeiten für die Offshore-Windkraftfundamente und der Verlärmung der Nordsee leiden.
Auch landseitig ist der Nationalpark Wattenmeer dicht von Windparks umstellt, in den ehemaligen Hochwasserflucht- und Rastplätzen der Küstenvögel. Hier die Karte nur aus dem Bereich der ostfriesischen Halbinsel, ohne Schleswig-Holstein:
„Klimaschutz“ durch Offshore-Windenergie?
Es kann und darf nicht die Aufgabe von behördlichen oder beruflichen Wattenmeerschützern sein, diese industrielle Entwicklung zu verharmlosen und dafür den den wohlfeilen und allgegenwärtigen „Klimaschutz“ zu bemühen.
Auch Offshore-Windkraftwerke speisen nur dann Strom ins Netz ein, wenn ausreichend Wind weht, und der ist auch See sehr unbeständig; weil sie nur wetterabhängig einspeisen, können sie keine Auswirkungen auf „das Klima“ haben, abgesehen vom Mikroklima innerhalb der Windparks durch z.B. Feuchtigkeitsentzug durch Wirbelschleppen.
Die angeführte „Energiesicherheit“ mit dem Geschäftsmodell Offshore-Windenergie funktioniert schon physikalisch nicht. Windenergie ist abhängig von verlässlich einspeisenden Wärmekraftwerken, die die Netzstabilität von 50 Hertz gewährleisten, zudem ist die Windenergie durch die schwankende Einspeisung nicht grundlastfähig. Windkraftwerke werden bei Starkwind und zu hoher Einspeisung vom Netz genommen, damit das Stromnetz nicht zusammenbricht, Stichwort „Redispatch“. Die Kabelanbindung könnte auch durch die Flusstrichter erfolgen, um das Wattenmeer zu schonen.
Die „geopolitische Lage“ als Rechtfertigung?
Die erwähnte „aktuelle geopolitische Lage“ hat angeblich „eine schnelle Änderung unserer Energiefrage nötig gemacht.“ Ist das so? Offshore-Windparks wurden schon viele Jahre vor der „aktuellen Lage“ projektiert und gebaut. Ist mit der „aktuellen Lage“ der Einmarsch Russlands in die Ukraine gemeint, der zum selbst auferlegten Boykott der EU und Deutschlands – noch nicht einmal „als Sanktion“ – des vorher verlässlich gelieferten russischen Erdgases durch die Nordstream-Pipeline gemeint, die dann auch noch, und sicher nicht von Russland, in feindlicher Absicht gesprengt wurde?
„Balance“ – oder schon vom Seil gefallen?
Und nun sollen die nur volatil einspeisenden Offshore-Windparks, siehe oben, die „Energiesicherheit“ gewährleisten? Die behördlichen Wattenschützer müssen auch keine „Balance“ „zwischen dem Naturschutz und der Windenergie“ finden, sie sind bei diesem Akt bereits vom Seil gefallen – in Richtung des energieideologisch-verblendeten Zeitgeistes der „Energiewende“, statt sich deutlich gegen die Zerstörung der Meeresumwelt und für den Biotop- und Artenschutz zu positionieren.
Bankrotterklärung des behördlichen Wattenmeerschutzes
Diese Veranstaltung offenbarte die Bankrotterklärung des behördlichen Wattenmeerschutzes; Arten- und Biotopschutz war gestern, mit dem vorgeblichen und nicht messbaren Schutz der Atmosphäre durch Windparks wird nun die Biosphäre „nachhaltig“ zerstört. Dem „Weltnaturerbe Wattenmeer“ sollte schleunigst wegen des offensichtlichen Etikettenschwindels das „Welterbe“-Prädikat von der UNESCO entzogen werden, nicht nur wegen der Industrialisierung der Meeresumwelt, sondern auch wegen der vielen abträglichen zugelassenen Nutzungen im Schutzgebiet, angefangen vom Massentourismus, über die Überfischung, die Baggergutverklappungen bis zur Jagd auf Zugvögel auf den Inseln!
Zur Erinnerung: das „Great Barrier Reef“ in Australien
Zur Erinnerung: Die deutschen Wattenmeer Nationalparke werden wegen ihres Status “Weltnaturerbe“ oft und gerne mit dem „Great Barrier Reef“ in Australien verglichen „Auf einer Stufe mit dem Great Barrier Reef“. Nur ist das dortige Welterbe einhundertmal größer als allein der Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer und umfangreicher geschützt. 2015 wurde bekannt, dass an der Ostküste Australiens der Kohlehafen „Abbot Point“ erweitert werden sollte. Das führte zu weltweiten Protesten, auch die UNESCO meldete Bedenken wegen der Gefährdung des Reefs an. Der Kohlehafen liegt jedoch 20 km vom Schutzgebiet entfernt. Gibt es weltweite Proteste gegen die Industrialisierung der Nordsee mit Windparks in den Zugrouten der Vögel? Keine! Es gibt noch nicht einmal nationale Proteste der Naturschutzverbände, die ein Totalausfall sind.
Hier die Pressemitteilung des CWSS im Wortlaut: https://www.nationalpark-wattenmeer.de/news/fachleute-diskutieren-uber-schutz-des-wattenmeeres-angesichts-der-energiewende/