In Oldersum im Landkreis Leer macht die evangelisch-refomierte Kirche Politik für die Bauern und gegen den gebotenen Naturschutz. Es geht um die Umsetzung der EU-Vogelschutzrichtlinie in nationales Recht, also die Ausweisung von Schutzgebieten im Kreisgebiet.
Die Vogelschutzrichtlinie der Europäischen Union gilt in ihrer ursprünglichen Form seit 1979 und ist geltendes EU-Recht, auch in Deutschland. Zusammen mit der Flora-Fauna-Habitatrichtlinie bildet sie das Schutzgebietsnetz „Natura-2000“.
Diese Richtlinie (englisch „directive“!) verpflichtet die Mitgliedstaaten, also auch Deutschland, zur Verwaltung von Schutzgebieten als wesentliche Maßnahme zur Erhaltung, Wiederherstellung oder auch Neuschaffung von Lebensräumen seltener oder bedrohter europäischer Vogelarten. Nur wird die Richtlinie auch von Deutschland seit nunmehr 45 Jahren nur sehr schleppend und unzureichend umgesetzt, immer wieder gab es daher Vertragsverletzungsverfahren der EU gegen Deutschland, mit der Androhung von hohen Strafzahlungen, die dann ggf. der Steuerzahler aufzubringen hat. Zuletzt am 13. März 2024 legte die EU nach und forderte Deutschland auf, ausreichend Gebiete für bestimmte Arten des Grünlandes nachzumelden.
Hemmschuh der ordentlichen Ausweisung von Schutzgebieten ist oft die Landwirtschaft, die zwar üppige Subventionen von der EU einstreicht (Beispiel in diesem Wattenrat-Beitrag), sich aber stets gegen die nationale Umsetzung der Vogelschutz- oder FFH-Richtlinie in Naturschutz- oder Landschaftsschutzgebieten wehrt. Als Druckmittel wurden auch schon Treckerdemonstration wie im Landkreis Aurich organisiert, die den Verkehr lahmlegten.
In Niedersachsen (und nur in Niedersachsen!) kommt es erschwerend dazu, dass mit der Auflösung der Bezirkregierungen die Umsetzung der Natura-2000-Richtlinien „nach unten“ auf die Landkreise übertragen wurde. Dort entscheidet nun der lokale Kreispolitikerklüngel einschließlich der Landwirte über die Verordnungstexte der Schutzgebiete mit den oft großzügigen Ausnahmen, Naturschutz besteht dann nicht selten nur auf dem Papier.
Der aktuelle Fall betrifft das EU-Vogelschutzgebiet „V10 Emsmarsch von Leer bis Emden„. Hier soll nun zwischen Terborg und Petkum im Landkreis Leer/Ostfriesland ein 1500 Hektar großes Landschaftsschutzgebiet ausgewiesen werden, eigentlich ein viel zu niedriger Schutzstatus mit den zu erwartenden vielen Ausnahmen der Nutzung, abträglich für den Wiesenvogelschutz. Ausgerechnet Kirchenvertreter („Die Bewahrung der Schöpfung“ war wohl gestern) machten sich für die lamentierenden Bauern stark und meldeten selbst Einkommensverluste an, so wird in der Emder Zeitung vom 07. August 2024 berichtet. Wortführer sind der Moormerländer Pastor Michael Weber aus Oldersum als Vorsitzender des Kirchenverbandes und die Pastorin Edith Lammering, Vorsitzende des Kirchenrats, die sich mit einem offenen Brief an Landrat Matthias Groote (SPD) und die Mitglieder des Leeraner Kreistags wandten: „Auch Flächen der Ev.-ref. Kirchengemeinden Gandersum, Oldersum und Rorichum sind von der geplanten Maßnahme betroffen. Wir haben sie verpachtet und müssen mit Wert- und Einnahmeverlusten rechnen.“ Und dann dieser kenntnisfreie Unsinn: „Grundsätzlich suchen die meisten der zu schützenden Vögel gepflegte Flächen zum Brüten auf. Die Wiesenbrüter folgen der Landwirtschaft. Deshalb sind sie hier heimisch.“
Die Kirchenvertreter stellten die Fakten auf den Kopf. Nein, die Wiesenbrüter sind seit Jahrzehnten Opfer der Landwirtschaft, die „gepflegten Flächen“ sind drainiert und zu trocken, die frühere Pflanzenvielfalt mit den Insekten wurde durch die Einsaat von ertragreichem Weidelgras für die Silage ersetzt. Feuchtwiesen als Lebensraum sind selten geworden.
Durch das Walzen und die häufige Mahd sind die Vögel am Existenzlimit und kaum noch „heimisch“. Nur durch die Verlegung der Mähtermine außerhalb der Brutzeit haben sie überhaupt noch eine Überlebenschance.
Die Emder Zeitung berichtete dann am 13. August 2024 über eine Diskussionsveranstaltung in der Reformierten Kirche in Oldersum, die am 08. August 2024 stattfand. Landrat Matthias Grote (SPD) „zeigte sich bemüht, eine ausgewogene Lösung zu finden“, Pastor Michael Weber: „Durch die geplante Verordnung würde sich die Landschaft gravierend verändern. Als Kirche haben wir die Not der Landwirte gesehen. Zwischen den Polen Artenschutz und Landwirtschaft muss eine Lösung gefunden werden. Letztlich geht es um die Zukunft der Landwirtschaft in der betroffenen Region.“ Was dem Kirchenmann entgangen ist: „Die Landschaft“ hat sich bereits in den letzten 50 – 60 Jahren durch die intensive industrielle landwirtschaftliche Nutzung enorm verändert, vermutlich ist der Oldersumer Gottesmann auch zu jung, um das bewusst erlebt zu haben. Es geht bei der Vogelschutzrichtlinie vordringlich um die Zukunft der betroffenen Vogelarten, die bereits jetzt um ca. 80 Prozent abgenommen haben. Dazu gehört auch der Charaktervogel Ostfrieslands, der Kiebitz oder die Uferschnepfe, die offenbar gar nicht vermisst werden. Es sei neben der EU-Gesetzgebung auch an den Artikel 14 des Grundgesetzes erinnert, der u.a. ausführt: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen“…..