Der Bundeswirtschaftsminister und der Artenschutz

Grafik: EGE

Textübernahme von der Europäischen Gesellschaft zur Erhaltung der Eulen (EGE)

Der Bundeswirtschaftsminister und der Artenschutz

11. Mai 2023

2022 hat der Bundesgesetzgeber die Liste der an Windenergieanlagen kollisionsgefährdeten Brutvogelarten auf 15 Arten und die zu ihren Brutplätzen zu beachtenden Abstände erheblich reduziert. Artenliste und Abstände weichen von den begründeten Empfehlungen der Länder-Arbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten aus dem Jahr 2015 ab. Eine Begründung für diese Abweichungen hat der Gesetzgeber nicht vorgelegt.

Zugleich hat der Gesetzgeber es der Windenergiewirtschaft ermöglicht, ein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko unter Verzicht auf Erfassungen der tatsächlichen Raumnutzung dieser Arten mit einer weitgehend am buchstäblich „grünen Tisch“ erstellten Habitatpotentialanalyse zu widerlegen.

Der Entwurf eines vom Bundeswirtschaftsministerium in Auftrag gegebenen Fachkonzepts für solche Potentialanalysen liegt seit Ende März 2023 vor. Das von der Arbeitsgruppe für regionale Struktur- und Umweltforschung GmbH erarbeitete Konzept soll Grundlage einer geplanten Rechtsverordnung sein. Kritikwürdig ist der Entwurf aus einer Reihe von Gründen, die hier darzulegen zu weit führen würde. Einen Eindruck von den Schwächen des Konzepts vermittelt exemplarisch der Umgang mit zwei der verbliebenen 15 Brutvogelarten: Sumpfohreule und Uhu.

Der Gesetzgeber hat den für die Habitatpotentialanalyse zu betrachtenden „Zentralen Prüfbereich“ bezogen auf diese beiden Eulenarten auf 1.000 m um den Brutplatz begrenzt. Viele Sumpfohreulen und Uhus jagen jedoch regelmäßig 1.000-2.000 m oder weiter vom Nest entfernt. Die LÄNDER-ARBEITSGEMEINSCHAFT DER VOGELSCHUTZWARTEN (2015) empfiehlt für beide Eulenarten einen Mindestabstand von 1.000 m und einen Prüfbereich von 3.000 m.

Im Fachkonzept heißt es auf Seite 70 zur Sumpfohreule, „aufgrund der arttypischen niedrigen Flugweise bei der Nahrungssuche wird durch die Einhaltung einer hohen Rotorunterkante das Kollisionsrisiko (> 80 m) bereits sehr weitgehend reduziert.“ Balzflüge spielen für das Fachkonzept keine Rolle. SCHERZINGER & MEBS (2020) schreiben mit Verweis auf CLARK (1975): „Zum spektakulären Balzflug steigt das Männchen rasch in die Höhe, kreisende Segelstrecken dazwischenschaltend, und singt mit weichen bu.bu.bu-Serien in zum Teil sehr großer Höhe.“ Die STAATLICHE VOGELSCHUTZWARTE BRANDENBURG (2022) schreibt, dass die Sumpfohreule besonders nach Störungen oder bei Belästigung durch hassende Vögel sich nach Art des Mäusebussards in große Höhen schraubt und der Imponierflug 200 bis 300 m hoch erfolgen kann.

Bewegt sich das Fachkonzept bei der Sumpfohreule noch in dem vom Gesetzgeber vorgegebenen Rahmen, schlägt es bezogen auf den Uhu auf Seite 72 eine Absenkung der vom Gesetzgeber vorgenommenen Einstufung vor: Auch im Nahbereich des Nestes – d. h. im 500 m-Radius – seien Uhus nicht kollisionsgefährdet, wenn die im Gesetz genannte Höhe der Rotorunterkante von mindestens 30 m im Flachland und 80 m im hügeligen Gelände eingehalten werde. Dabei ist bereits die bestehende Rechtslage für Uhus mehr als prekär, denn die Berücksichtigung der Höhe der unteren Rotorkante ist beim Uhu grundsätzlich nicht plausibel. Tatsächlich sind die Kollisionsumstände keines der bisherigen Kollisionsopfer geklärt. Weder kann mit Gewissheit gesagt werden, dass die Topografie eine Rolle spielte, noch um welche Art Flüge es sich handelte. Auch ist offen, auf welcher Höhe es zur Kollision kam. Auch an den Anlagen mit niedrigem Freiraum zwischen unterer Rotorspitze und Grund kann der Vogel in größerer Höhe kollidiert sein. Die Abstandsempfehlungen der LÄNDER-ARBEITSGEMEINSCHAFT DER VOGELSCHUTZWARTEN (2015) sowie die darin formulierten Prüferfordernisse stellen vernünftigerweise weder auf den Rotorabstand zum Boden ab noch unterscheiden sie zwischen Anlagen im Flach- und Hügelland. Uhus steuern hohe Bauwerke wie Hochspannungsmasten, Industriebauten und Fernmeldetürme gezielt an, um von dort zu rufen oder dort zu brüten (LINDNER 2016). Dieses Verhalten kann die vergleichsweise hohe Zahl von 21 an Windenergieanlagen kollidierten Uhus (STAATLICHE VOGELSCHUTZWARTE BRANDENBURG 2022a Stand 17.06.2022) bei einer Art mit an sich niedrigen Flughöhen erklären. Der Entwurf des Fachkonzepts verkennt diese Gefahr; mit der vorgeschlagenen Absenkung würde diese Gefahr im Nahbereich noch ausgeweitet.

Im Bundeswirtschaftsministerium wird an weiteren Standardisierungen für einen – wie es heißt – „naturverträglichen, beschleunigten Ausbau der Windenergie an Land“ gearbeitet. So an einer probabilistischen Methode zur Berechnung der Kollisionswahrscheinlichkeit von Vogelarten. Die Ampelparteien schauen wohlwollend zu und die Oppositionsparteien weg.

Literatur:

  • CLARK, R. (1975): A field study of the Short-eared Owl Asio flammeus (Pontoppidan), in North America. Wildlife Monogr. 47: 67 S.
  • LÄNDER-ARBEITSGEMEINSCHAFT DER VOGELSCHUTZWARTEN (LAG VSW) (2015): Abstandsempfehlungen für Windenergieanlagen zu bedeutsamen Vogellebensräumen sowie Brutplätzen ausgewählter Vogelarten. Berichte zum Vogelschutz Band 51. 2014: 15-42.
  • LINDNER, M. (2016): Uhus als Bauwerksbrüter in Deutschland. Eulen-Rundblick Nr. 66 –April 2016: S. 90-95.
  • SCHERZINGER, W. & T. MEBS (2020): Die Eulen Europas. Biologie, Kennzeichen, Bestände. KOSMOS: S. 295.
  • STAATLICHE VOGELSCHUTZWARTE BRANDENBURG (2022): Informationen über Einflüsse der Windenergienutzung auf Vögel, Stand 17.06.2022.
  • STAATLICHE VOGELSCHUTZWARTE BRANDENBURG (2022a): Daten aus der zentrale Fundkartei über Anflugopfer an Windenergieanlagen (WEA) zusammengestellt von Tobias Dürr; Stand vom: 17.06.2022.
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