Vor 50 Jahren: Sterns Stunde

Horst Stern (EGE-Archiv)

Foto: Archiv EGE

Übernahme von der Seite der  Gesellschaft zur Erhaltung der Eulen e. V. (EGE):

Am Heiligen Abend vor genau 50 Jahren bescherte das deutsche Fernsehen seinem Publikum eine Tierdokumentation der besonderen Art. Ausgerechnet zur stillsten Nacht hatte der Stuttgarter Südfunk wie es eine TV-Zeitschrift formulierte „eine Bombe auf den Gabentisch geschmuggelt“: Horst Sterns Bemerkungen über den Rothirsch. Stern rief darin zum Töten auf – zum massenhaften Abschuss des Edelwildes.

Schon in neun Abendsendungen zuvor hatte der Journalist Horst Stern das sentimental verkitschte Tierbild zurechtgerückt und mit schonungsloser Offenheit eine materiell orientierte Wohlstandsgesellschaft mit dem Leid der Nutztiere konfrontiert. Im Unterschied zu den großangelegten „Expeditionen ins Tierreich“ dreht Stern „eigentlich immer Reportagen über den Menschen“, schrieb damals „Die Zeit“. Deshalb ging keine „Sterns Stunde“ (Programmtitel) – es waren bis 1979 immerhin 26 – ohne Proteste über den Sender. Das Magazin „Der Spiegel“ lag damals richtig: „Nach der Heiligabend-Sendung wird Stern wohl auch mit den deutschen Jägern Streit bekommen.“

Sterns Bemerkungen über den Rothirsch empfand die Jagdlobby als ungeheuren Tabubruch; sie lösten eine hitzige forstpolitische Debatte aus. Stern führte vor, was ein aus ökologischem Unverstand und des Trophäenkults wegen gehätschelter Wildbestand aus dem deutschen Wald gemacht hatte. Sterns Kommentar: „Zuviel Boom, zu wenig Bum.“ Es sei an der Zeit, das Rothirschgeweih als Statussymbol der Renommierjäger zu entzaubern und auf diese Weise das Schussfeld frei zu bekommen für die biologische, umweltgerechte Jagd. Man rette den Wald ja nicht, indem man „Oh Tannenbaum“ singt. Alles dies – heute unvorstellbar – zur besten Sendezeit. Der Bildungsanspruch, die Bereitschaft und die Fähigkeit zum Konflikt der öffentlich-rechtlichen Sender (andere gab es nicht) waren offenkundig größer und zumindest einzelne Programmverantwortliche von anderem Format als jetzige Ressortleiter und der überwiegende Teil des deutschen Medienbetriebs.

Stern stand mit Beginn der 1970er Jahre wie kaum ein anderer für den Naturschutz in Deutschland. Stern war eine Orientierungsgestalt für eine ganze Naturschützer-Generation. Er verschaffte dem Naturschutz eine bis dahin ungekannte und nicht wiedererlangte Aufmerksamkeit. Seit Stern hat niemand mehr die Zerstörung der Landschaft und das Elend der Tiere so öffentlich wirksam angeklagt. Seine Kritik galt nicht allein der bloßen Ahnungslosigkeit, sondern zielte auf die hemmungslose Profitgier und damit einen Eckpfeiler der Gesellschaft, die – wie Stern es formulierte – den Preis von allem und den Wert von nichts kennt. Sterns Kritik der Zustände ist aktueller denn je. Mit Sterns Wirken definierte der Naturschutz seinen Anspruch als ein alle Politik- und Wirtschaftsbereiche durchdringendes Handlungs- und Gestaltungsprinzip, vollzog sich die Professionalisierung des Naturschutzes in Verwaltung und Verbänden und nicht zuletzt die gesetzliche Absicherung seiner Ziele und Aufgaben. Seitdem haben sich die Mitgliederzahlen der Naturschutzorganisationen vervielfacht, ebenso die mediale Präsenz des Naturschutzes, die ihm zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel und etablierte sich eine zwar von der Politik vielfach blockierte, aber an sich professionelle Naturschutzverwaltung.

Trotz dieser Errungenschaften ist die Bilanz des Naturschutzes in Deutschland dramatisch negativ. Gegenüber der inneren Ursache der Misere – einer von bloßer Gier und verantwortungsloser Freiheit getriebenen Ökonomisierung aller Lebensbereiche zu Lasten des Lebens überhaupt – ist der Naturschutz weithin kritik- und sprachlos geblieben. Es fehlt in den Organisationen des Naturschutzes an analytischer, konzeptioneller und strategischer Kompetenz, an der Fähigkeit und Bereitschaft zum Konflikt, an Unabhängigkeit und moralischem Format, am wenigsten vielleicht an Personen, aber an Persönlichkeiten.

Horst Stern hat seine Wirkung eher gering veranschlagt. Über sich selbst sagte der mit Ehrungen und Preisen ausgezeichnete Journalist, er habe den Menschen den Charakter ihrer Gesellschaft vorhalten wollen, aber man habe ihn unterm Strich für einen Tierfilmer gehalten. Zum Ende der 1990er Jahre zog sich Stern vollends aus der Öffentlichkeit zurück. Sein Platz ist unbesetzt geblieben. Am 17. Januar 2019 ist Horst Stern gestorben.

Dass der Wald in Deutschland heute aufgrund einer verfehlten Forstpolitik und – am wenigsten wegen eines Klimawandels- vor nicht minder großen Problemen steht wie damals, belegt das Buch „Der Holzweg. Wald im Wiederstreit der Interessen„, das 2021 im Oekom Verlag erschienen ist. Ein hochaktuelles Buch, das als Geschenk zum Heiligen Abend 2021 passt wie Sterns „Bemerkungen über den Rothirsch“ vor 50 Jahren.

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Anmerkung vom Wattenrat: Horst Stern besuchte das Redaktionsbüro hier in Holtgast im Herbst 1998, um sich ein Bild vom Naturschutz im Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer zu machen. Zusammen mit ihm wurden mehrere Kolumnen für die inzwischen eingestellte Zeitung „Die Woche“ erarbeitet. Einige davon haben wir „gerettet“ und hier veröffentlicht. Oben in der Titelleiste (unter dem Seehund) können Sie „Horst Stern“ anklicken, dann öffnet sich ein Dropdown-Menü mit den Beiträgen, die man einzeln anklicken kann, oder hier direkt:

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