Am 23. Oktober 2021 wurde der Kreuzfahrtschiff-Neubau „AIDAcosma“ von der Meyer Werft in Papenburg über die Ems an das seeschifftiefe Wasser der Nordsee in Eemshaven/NL überführt. Die Bilder der Überführungen gleichen sich jedes Mal: Sehleute, vulgo Gaffer, verstopfen mit ihren Fahrzeugen die Zufahrtsstraßen zur Ems, das Betretungsverbot der Naturschutzgebiete (europäisches Vogelschutzgebiet) an der Ems wird ignoriert, Menschenmassen strömen auf den deichparallelen Betonwegen (Teekabfuhrwege zur Abfuhr von angespültem Material) in die Schutzgebiete, deren Tore geöffnet sind.
Die arktischen Gänse oder Watvögel werden dabei massiv gestört, nicht nur durch die Menschen, sondern auch durch die sinnlose Betätigung des Schiffshorns.
Auch dieses Mal hat Eilert Voß vom Wattenrat den Ansturm bei einer Schiffsüberführung mit der Kamera festgehalten, hier sein Bericht:
„[…] im Petkumer Schutzgebiet war mal wieder der Teufel los: Auf jahreszeitlich gesperrten Teekwegen waren jede Menge Gaffer unterwegs und kümmerten sich einen Dreck um eindeutige Beschilderungen. Auf der Leeraner-Straße war an einigen Stellen der Radweg mit Wohnmobilen zugeparkt: von Rücksicht auf Radler und Spaziergänger keine Spur. Wieder einmal fand eine Schiffspassage der Meyer Werft an einem Samstag statt, die eine Gewähr dafür ist, dass Kreuzfahrt-Fans aus entfernten Gegenden zur Küste fahren. Da trifft sich`s gut, dass Umweltbehörden an Wochenenden nicht besetzt sind und die Schutzgebiete entlang der Ems nicht kontrolliert werden. Beste Voraussetzungen also, mit Kind und Kegel über die Teekabfuhrwege zu laufen und Fahrräder über Zäune und Tore zu wuchten.
Zwar wurden an Überführungsterminen der letzten Jahre von den Schiffsriesen regelmäßig größere Vogelschwärme allein durch laute Musik gestört, doch unterblieb dies aktuell bei der AIDAcosma. Weshalb dennoch in der Nähe jeder größeren Menschenansammlung an den Deichen das Schiffshorn mit 140 Dezibel-Lautstärke erklingen musste, ist nur rücksichtslos und sollte der Meyer Werft (außer zu nautischen Zwecken) für die Zukunft verboten werden. Nach der Vorbeifahrt des ´schwimmenden Plattenbaus´ Richtung Eemshaven folgten begeisterte Augen dem Spaßdampfer und legen den Grundstein womöglich dafür, sich mit dem ´Super-Erlebnis´ einer Kreuzfahrt anzufreunden. Offensichtlich ist das Faszinosum des Papenburger Schiffbaus größer, als sich evtl. mal Gedanken darüber zu machen, wie der ökologische Zustand der Ems ohne tötende Baggerungen sein könnte. Keine Bange: die Talsohle des eingebrochenen Kreuzfahrtgeschäfts ist durchschritten! Coronabedingt kann`s wieder bergauf gehen. Es werden in Papenburg weiterhin viel zu große Schiffe zusammengeschweißt, die in Großsektionen im Ostseeraum gefertigt, mit Schleppern über den Nordostseekanal bis ins Emsland gezogen und hier in einer gigantisch großen Schiffbauhalle, nach LEGO-Art, im Baukasten-System in die Länge und Höhe wachsen. Die schlammige Ems wird`s bis zum letzten Fisch weiter ertragen müssen; egal, ob in Berlin die Koalitionäre der SPD, GRÜNEN oder FDP ans Ruder kommen. Nicht erst seit Gerhard Schröders Sperrwerk-Streichen ist die Ems und sind Politiker auf den Hund gekommen. Eigentlich schade um einen ´lebenden´ Fluss, der noch vor 50 Jahren recht naturnah war! […]“
Es klingt tatsächlich wie ein teurer Schildbürgerstreich: Die Schiffssektionen für die Kreuzfahrtriesen lässt die Meyer Werft auf der Neptun-Werft in Rostock oder in Gdansk in Polen am seeschifftiefen Wasser der Ostsee zusammenschweißen. Diese Sektionen werden dann über die Ostsee, den Nordostsee-Kanal, die Nordsee und schließlich über die enge Ems nach Papenburg geschleppt, um dann als fertiges zusammengebautes Schiff wieder über die Ems an die Nordsee geschleppt zu werden.
Einfacher wäre es gewesen, die Meyer Werft in Papenburg völlig ans seeschifftiefe Wasser zu verlegen. Das hat Werftchef Bernhard Meyer stets abgelehnt. Für die Meyer Werft und die Schiffsüberführungen wurde ein Emsstauwerk bei Gandersum gebaut. Nur durch den Aufstau der Ems passen die riesigen Musikdampfer überhaupt in den engen Fluss. Damit die Europäische Kommission wegen der Verletzung der EU-Vogelschutz- und Wasserrahmenrichtlinie nicht einschritt, wurde das Stauwerk zu einem Sturmflut-“Sperrwerk“ umdeklariert. Die Ems muss dennoch ständig für die großen Schiffe auf Tiefe ausgebaggert werden, das führt zu Trübungen, Sauerstoffzehrungen und der enormen Zunahme der Fließgeschwindigkeit des Flusses. Diese gezielte Zerstörung eines ehemals intakten Flusssystems bezahlt der Steuerzahler.
Das Novum des Schiffantriebes der AIDAcosma ist der Betrieb mit Flüssiggas (LNG) statt Schweröl, was auführlich von den Medien als „klimafreundlich“ gehypted wurde, der marode Zustand der Ems ist nicht mehr Gegenstand der Berichterstattung. Nun kann sich jeder Kreuzfahrer trotz Anreise mit dem Flugzeug auf diesem Schiff als „klima- und umweltbewusster“ Erlebnisreisender fühlen, die Ems bleibt dennoch ein weitgehend toter Fluss, wegen der übergroßen Kreuzfahrtschiffe.
Zum Vergleich: Die „AIDAmar“ am 02.April 2012 beim Ausdocken in Papenburg:
Schiffsdaten: Die Kiellegung erfolgte im Oktober 2019 auf der zur Meyer Werft gehörenden Neptun Werft in Rostock – Maschinenleistung: 61.760 kW (LNG-betrieben) – Länge: 337 m, Breite: 42 m – Geschwindigkeit: 17 kn – Tiefgang: max. 8,6 m – Anzahl Decks: 20 – Stromversorgung: dieselelektrisch – Gästekabinen: 2732